"Ein unverantwortlicher Kniefall vor der Jagdlobby"
Vogelschützer Axel Hirschfeld fordert einen besseren legalen Schutz für Vögel in der EU und warnt vor Fehlinterpretationen durch Rote Listen
Trotz Aussterbe-Gefahr werden bedrohte Arten in der EU legal gejagt
Obwohl sie stark bedroht sind und in der neuen Roten Liste teilweise in noch höhere Gefährdungsstufen überführt wurden, dürfen einige der besonders um ihr Überleben kämpfenden Vogelarten auch in Europa legal gejagt werden. Das Bonner Komitee gegen den Vogelmord hat das Ausmaß der legalen Jagd auf bedrohte Vogelarten zuletzt für das Jagdjahr 2014/2015 untersucht. Das Ergebnis der akribischen Auswertung nationaler Daten aus fast 30 Ländern ergibt ein Bild, das dem Image einer traditionellen Jagd, die nachhaltig nur bestehende „Überschüsse“ abschöpfe und selbst Teil des Naturschutzes sei, diametral widerspricht.
In jedem Jagdjahr werden in den untersuchten Ländern beispielsweise mehr als 1,6 Millionen Wachteln legal getötet; mehr als 107.000 Kiebitze und 205.000 Bekassinen fallen der erlaubten Jagd zum Opfer, von der auch weltweit vom Aussterben bedrohten Turteltaube waren es im Untersuchungsjahr sogar 1,5 Millionen Vögel.
Vogelschützer sehen in der legalen Jagd einen Verstoß gegen die Europäische Vogelschutzrichtlinie, der wichtigsten Grundlage für Vogelschutz in Europa. Denn nach Artikel 7 der Richtlinie müssen die EU-Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Jagd auf von ihr freigegebene Vogelarten die Bemühungen um deren Erhalt in ihrem Verbreitungsgebiet nicht gefährdet.
Wir sprachen mit Studienautor Axel Hirschfeld über seine Einschätzung der neuen Roten Liste und darüber, welche Schlussfolgerung die EU-Kommission ziehen sollte.
Thomas Krumenacker: In der neuen Roten Liste werden abermals Arten in höhere Gefährdungsstufen eingeordnet, die weiterhin legal in der EU bejagt werden dürfen. Die Rechtfertigung von Jägern und Gesetzgebern dafür lautet, die hier getöteten Tiere entstammten Populationen aus Gebieten, in denen sie nicht gefährdet seien. Wie haltbar ist dieses Argument?
Axel Hirschfeld: Das ist eine gefährliche Vereinfachung. Unseren Spießenten, Bekassinen oder Brachvögeln nützt es wenig, dass etwa in Frankreich neben ihnen selbst auch Vögel aus anderen Populationen geschossen werden. Abgesehen davon nutzen Tiere aus verschiedenen Brutgebieten im Herbst und Winter oft dieselben Zugrouten und Rastgebiete. Die sehen alle gleich aus.
Was bedeutet das für die Jagdpraxis?
Dass eine selektive Bejagung einzelner, angeblich ungefährdeter Populationen in der Praxis schlicht nicht möglich ist. Die EU sollte sich deshalb auf diese Diskussion nicht einlassen, sondern konsequent alle europäischen Arten mit unvorteilhaftem Erhaltungsstatus von der Liste der jagdbaren Arten streichen. Alles andere wäre ein unverantwortlicher Kniefall vor der Jagdlobby.
Nach Artikel 7 der Vogelschutzrichtlinie darf die Jagd auf eine Art nicht gleichzeitig die Schutzbemühungen für sie innerhalb der EU sabotieren. Geschieht aber nicht eben das durch die weitere Jagd auf bedrohte Arten wie Turteltaube, Kiebitz und andere?
Genau das passiert. Arten, deren Bestände in einem Land zurückgehen, produzieren keinen „Überschuss“ der im Sinne der gängigen Definition von Nachhaltiger Nutzung vorsichtig abgeschöpft werden könnte. Ergo ist die Jagd auf diese Arten nicht nachhaltig und steht somit in krassem Widerspruch zu Artikel 7. Wir haben die EU-Kommission immer wieder darauf hingewiesen, dass es ihre Pflicht ist, den Mitgliedstaaten hier eine klare Ansage zu machen.
Die neue Rote Liste für die europäischen Vogelarten wendet die strikten Kriterien der Internationalen Naturschutzunion IUCN an. Das kann dazu führen, dass selbst Vogelarten mit weiter deutlich sinkenden Beständen in eine niedrigere Bedrohungskategorie eingestuft werden. Spiegelt die Rote Liste das wirkliche Bedrohungsniveau für die europäischen Vögel wider?
Nein! Für die Beurteilung vieler Schutzfragen sind solche globalen oder kontinentalen Einstufungen viel zu ungenau, weil sie nicht zwischen akut bedrohten und weniger gefährdeten Populationen unterscheiden, sondern deren Erhaltungsstatus über ein riesiges Gebiet gepoolt wird.
Welche politischen Folgen kann das haben?
Ich befürchte, dass sie von Jägern und jagdfreundlichen Politikern, aber auch anderen „Naturverbrauchern“ zur Verwässerung der Bedrohungslage einzelner Arten und damit zur Rechtfertigung von Jagdfreigaben, Bauprojekten und anderen Gefährdungsursachen benutzt werden wird.