Alles anders bei der Wahl zum „Vogel des Jahres“
Der LBV-Vorsitzende Norbert Schäffer über einen unbekümmerten Umgang mit dem Thema Naturschutz, die Straßentaube und seinen Favoriten bei der laufenden Wahl zum Jahresvogel
Norbert Schäffer ist Vorsitzender des Landesbund für Vogelschutz (LBV), der gemeinsam mit dem NABU die Wahl zum „Vogel des Jahres“ organisiert.
Thomas Krumenacker: Bisher haben sich ungefähr 80.000 Menschen an der sogenannten Vorwahl zum Vogel des Jahres beteiligt. Sind Sie zufrieden mit dem Verlauf der Kampagne?
Norbert Schäffer: Das Interesse ist groß und bisher haben wir genau das erreicht, was wir erreichen wollten. Viele Menschen beschäftigen sich jetzt mit heimischen Vögeln und rühren die Trommel für ihre Lieblingsart. Wir hoffen aber auf eine noch deutlich größere Beteiligung in der zweiten Runde.
Ist es nicht albern, im Stile einer Wahl wie die zum US-Präsidenten mit Nominierungen, Kampagnenteams, Vorwahl und Wahlparty einen „Vogel des Jahres“ auszurufen?
Die Idee, dass man die Leute teilhaben lässt, ist gut. Dass in diesem Jahr nicht, wie sonst, aus einem kleinen Kreis von Funktionären entschieden wird, zeigt sich schon als erfolgreich. Es ist ein unbekümmerter und komplett unproblematischer Umgang mit der Natur, wenn die Leute sich treffen und fragen: „Hey, hast du eigentlich schon für meinen Eisvogel gestimmt?“ und einmal nicht zu hören kriegen: „Da stirbt was aus“.
Aber bei der Aktion „Vogel des Jahres“ geht es seit 1971 darum, Inhalte des Naturschutzes an die Leute zu bringen. Wie soll das bei diesem Konzept gelingen, das eher nach Fankurve im Fußballstadion klingt?
Es ist ja auch irrational, dass viele Menschen sich mit Inbrunst für einen Fußball-Verein einsetzen, für den sie sich irgendwann in ihrem Leben entschieden haben, ohne, dass sie wirklich etwas mit ihm zu tun haben. Wenn man sowas bei der Vogelwelt macht, wenn man darüber redet wie über Fußball, dann hilft uns das natürlich nicht unmittelbar im Vogelschutz. Aber es ist ja auch nichts Unanständiges. Ich finde das nett und besser als wenn einem vorgelegt wird, dass jetzt bitte der Flussregenpfeifer wichtig zu sein hat. Der stärker spielerische Umgang ändert nicht die Welt, ist aber doch besser als die Verkündung von oben.
30 Jahre Mauerfall, Weißrussland bröckelt und jetzt auch endlich Demokratie beim „Vogel des Jahres“?
Es ist doch schön, wenn die Leute mitreden. Und alleine die Tatsache, dass wir beide jetzt darüber sprechen, zeigt doch, dass es funktioniert, das Thema Natur wachzuhalten. Das würden wir nämlich nicht tun, wenn der Vogel vor drei Wochen im Oktober bekanntgegeben worden wäre wie in den vergangenen 50 Jahren und das Thema damit durch wäre. Es zeigt sich hier ein unbekümmerter Umgang mit Vogelarten, auch ein bisschen Konkurrenz – aber immer mit einem Augenzwinkern. Es gibt ja keine richtige oder falsche Antwort auf die Frage ‚Wasseramsel oder Weißstorch?‘ Der unbekümmerte Umgang mit der Vogelwelt, ohne dass man sich dafür schämt. Das ist der Grundgedanke für mich. Ich unterstütze alles, was eine Beschäftigung mit der tatsächlichen Natur ist.
Die breite Bevölkerung ist da entspannter als Experten, die in solche Entscheidungen immer auch eine fachliche Bedeutung legen?
Logisch. Es wird niemand einen Heulkrampf kriegen, wenn sein Favorit nicht gewählt wird. Ich sehe das auch bei unserer Tochter. Irgendjemand von ihren Freunden hat sich ausgedacht, die Wasseramsel zu unterstützen. Plötzlich beschäftigen die sich mit der Wasseramsel und wollen jetzt, dass sie das Rennen macht. Eine Kindergruppe wird beteiligt, sie gehen raus und sehen sich die Wasseramsel an. Auch hoch auf der Liste ist das Schneehuhn. Dann reden die Leute eben über das Schneehuhn – Menschen, die vorher nicht wussten, dass es das überhaupt gibt, sprechen über das Schneehuhn, da bin ich mir sicher. Das ist doch super. Ich habe da keine Probleme.
Sprechen wir also über die „Kandidaten“. Die Straßentaube – unter dem Namen Stadttaube präsentiert – liegt vorne. Nicht gerade die Flaggschiffart des Naturschutzes.
Wenn es die Straßentaube wird, wird sie es und wir werden auch dazu eine Botschaft haben. Das wäre natürlich nicht, was wir erwartet haben. Ich persönlich sehe sie auch nicht wirklich als eine heimische Vogelart an.
Was sagt es über die Einstellung der Leute zu heimischen Vogelarten aus, wenn die Straßentaube mit Abstand vorne liegt?
Es sind weniger als zehn Prozent aller Stimmen und ich denke nicht, dass sie das Rennen machen wird. Aber sie steht für zwei unterschiedliche Betrachtungsweisen über Vögel, die es bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Abstimmung gibt. Leute, die sich ernsthafter mit Vögeln beschäftigen, setzen sich für eher speziellere Arten ein. Und alle anderen treffen sich halt bei der Straßentaube. Es ist ein bisschen: Straßentaube oder Nicht-Straßentaube. Auch viele Tierschützer engagieren sich für die Straßentaube.
Die Straßentaube spiegelt im Kleinen den Unterschied zwischen Tierschutz und Artenschutz, mit dem Naturschutzverbände ja dauernd zu tun haben?
Exakt das passiert und diese Diskussion ist auch richtig. Da sind Leute, die sagen: „Wir müssen uns um jedes einzelne Tierindividuum kümmern.“ Denen geht es um die Straßentaube, die am Bahnhof auf der Leitung sitzt und ein kaputtes Bein hat und nicht abstrakt um eine Art. Beides hat seine Berechtigung. Ich denke, viele unterstützen die Taube, weil sie denken, der Artenschutz muss einfach ein bisschen näher an den Tierschutz heranrücken.
Muss er das?
Dieser Meinung bin ich nicht. Aber allein, dass eine ganze Menge Leute sich damit beschäftigen ist besser, als wenn sie es nicht täten oder wenn sich die Naturbegeisterung damit erschöpft, zum hundertsten Mal am Fernseher die Gnu-Herde anzugucken, wie sie durch den Mara-Fluss in der Serengeti stampft. Die Wasseramsel in Bayreuth hat auch was zu bieten.
Es liegen viele Vogelarten vorne, die man da nicht erwartet hätte. Besonders eindrucksvolle Arten sind dagegen abgeschlagen. Seeadler zum Beispiel erst auf Platz 60 abwärts.
Was wir beobachten ist eine immense Aufspaltung über viele Arten. Das ist klar bei der Auswahlmöglichkeit zwischen mehr als 300 Arten. Wenn jemand einen größeren Freundeskreis hat und sich hinter die Wasseramsel klemmt, dann rutscht sie unter die Top-10. Mit ein paar hundert Stimmen ist man in der ersten Runde mit dem großen Feld von mehr als 300 Arten schon oben dabei. Wenn jemand eine gute Kampagne fährt, wie die „Goldregenpfeifer-Ultras“ um den Schriftsteller und Buchpreisgewinner Saša Stanišić, dann steht der Goldregenpfeifer einfach ganz oben. Wenn es dann am Mitte Dezember um die Auswahl aus den Top 10 geht, werden die Mehrheitsverhältnisse ganz andere sein. Aber es ist doch schön, dass selbst die Trottellumme 500 Stimmen kriegt.
Der neue Wahlmodus sollte die 50. Wahl zum Vogel des Jahres zu etwas Besonderem machen. Wird das Konzept in den nächsten Jahren übernommen oder wird der Jahresvogel dann wieder im kleinen Kreis bestimmt und verkündet?
Ich könnte mir vorstellen, dass wir das in den nächsten Jahren ähnlich machen, aber das ist noch nicht entschieden. Eine Möglichkeit wäre, dass man eine inhaltliche Eingrenzung vornimmt. Dass man einen Schwerpunkt Wald, Siedlung, Landwirtschaft und so weiter vorgibt und dann eine Art aus diesem Lebensraum gesucht wird, die frei gewählt werden kann.
Wer wird in diesem Jahr das Rennen machen?
Das Rotkehlchen liegt schon auf Platz drei. Für mich ein echter Favorit.
Ganz falsch. Es wird das Rebhuhn!