Wenn beim Blick aus dem Fenster Schwarzstorch, Steinadler und Ortolan erscheinen

Was Vogelbeobachterinnen und -beobachter so alles in Zeiten des Lockdowns aus den eigenen vier Wänden beobachtet haben.

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter:
4 Minuten
Fernglas, das aus einem Fenster in einen Hinterhof schaut [AI]

Der Lockdown ist beendet, vorerst zumindest. Ob berechtigt oder voreilig – auch für viele Vogelbeobachterinnen und Vogelbeobachter ist die weitgehende Aufhebung von Beschränkungen der Bewegungsfreiheit rechtzeitig zur Ankunft der letzten Zugvögel eine Erleichterung. Dass passionierte Birder aber auch die Zeit des Lockdowns zu nutzen wussten, zeigt die Auswertung der in den vergangenen Wochen aus den eigenen vier Wänden gemeldeten Beobachtungen.

Vogelbeobachten zuhause als Solidaritätsaktion

Der Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) hatte zur Unterstützung der Bewegung „Flatten the curve“ zur Verlangsamung der Infektionsgeschwindigkeit und aus Solidarität mit den benachbarten Ländern mit teilweise viel drastischeren Infektionsverläufen und Ausgangsbeschränkungen dazu aufgerufen, die Zeit der Ausgangsbeschränkungen zum „Homebirding“ zu nutzen. Über das Online-Meldeportal ornitho.de sollten die Ergebnisse der Fenster-, Garten- oder Balkonbeobachtungen gemeldet werden. Motto der Aktion, an der sich auch die Ornitho-Portale in anderen Ländern beteiligten: #StayHomeAndWatchOut ‒ je nach Lesart „Bleib zuhause und pass (auf andere und dich) auf!“ oder „Bleib zuhause und schau nach draußen!“. Mit der Lockerung der Beschränkungen ist es an der Zeit für ein kleines Fazit auf Basis der uns vom DDA zur Verfügung gestellten Daten.

Ein Blick in die Artenliste verrät, dass auch der menschliche Siedlungsraum hierzulande noch eine verblüffende gefiederte Vielfalt aufweist

Ein Blick auf die Daten zeigt, dass viele Beobachterinnen und Beobachter bundesweit dem Solidaritäts-Aufruf gefolgt sind. Zwischen dem 16. März und dem 26. April wurden mehr als 31.000 Meldungen hinterlegt, über 80.000 Vögel beim Blick aus dem Fenster erspäht. Die Entwicklung des Meldeaufkommens spiegelt auch den Verlauf der Krise. Als Bundesregierung und Länder-Ministerpräsidenten am 22. März die bis dato noch nie dagewesene Entscheidung trafen, Kontakte von mehr als zwei Menschen zu untersagen, fanden offenbar viele Vogelbegeisterte Trost beim Griff zum Fernglas. In der Woche nach dem 20. April, als erste Lockerungen verkündet wurden, nahm auch die Zahl der Meldungen aus dem Home-Observatorium wieder deutlich ab.

Ein Blick in die Artenliste verrät, dass auch der menschliche Siedlungsraum hierzulande noch eine verblüffende gefiederte Vielfalt aufweist. Eher nebenbei und etwas neidvoll stellen wir fest, dass viele Beobachterinnen und Beobachter offenbar einen bemerkenswerten Ausblick aus dem eigenen Garten, Wohnzimmer- oder Küchenfenster haben: Besonderheiten wie Steinadler, Schwarzstorch, Rohrdommel, Triel, Zaunammer oder Ortolan wurden gemeldet. Auch für die richtige Immobilie zum Homebirding gilt offenbar das alte Makler-Motto: Lage, Lage, Lage.

ein Diagramm von einer Anzahl von Jahren [AI]
Die zeitliche Verteilung der eingegangenen Beobachtungslisten spiegelt auch die Entwicklung der Ausgangsbeschränkungen. Eine Beobachtungsliste umfasst durchschnittlich etwa 18 Arten.
Eine Kohlmeise auf einem Ast vor rotem Hintergrund
Die Kohlmeise führt die Liste der beobachteten Vogelarten aus der häuslichen Quarantäne an.
Eine Ringeltaube fliegt vor einem Haus
Auch Ringeltauben gehören zu den Vogelarten, die den Fenster-Birdern über die schwierige Zeit der Kontaktbeschränkungen hinweghalfen.
Eine männliche Amsel vor gelbem Hintergrund
Um wie vieles unerträglicher wäre die Isolation ohne den morgendlichen Gesang der Amsel?
Ein Schwarzstorch fliegt in der Abenddämmerung
Sogar Schwarzstörche wurden während der Aktion gesichtet.

Insgesamt wurden 183 Vogelarten aus dem eigenen Fenster erspäht. Kohlmeise, Amsel, Ringeltaube, und Blaumeise fanden sich auf fast 90 Prozent aller Listen. Der momentan verbreitete Alarmismus über das „Blaumeisen-Sterben“ spiegelt sich in den Daten nicht. Auf mehr als jeder zweiten Beobachtungsliste standen mit Zilpzalp, Elster, Rotkehlchen, Rabenkrähe, Buchfink, Haussperling und Grünfink weitere Arten, die es schaffen, sich in nennenswerter Zahl in menschlicher Nähe zu halten. Erfreulich, dass der Girlitz es auf jede fünfte Liste schaffte – eine frühere Allerweltsart, die im vergangenen Vierteljahrhundert mehr als 80 Prozent ihres Bestandes eingebüßt hat.

Etwas dürfte der Aufruf zum Homebirding befördert haben: Einen genaueren Blick auf die Arten vor der eigenen Haustüre – und die Wertschätzung für manchen scheinbar so selbstverständlichen gefiederten Begleiter durch die lange Zeit der Kontaktbeschränkungen

Auch einige kleinere Besonderheiten der diesjährigen Vogelzugsaison hinterlassen ihre Datenspuren. So verlief der Rotdrosseldurchzug im März und April besonders sichtbar, was sich auch in 127 Meldungen und insgesamt fast 1300 beobachteten Vögeln niederschlug. Ähnliches gilt für den Durchzug der skandinavischen Ringdrosseln. Sie wurden immerhin sechs Mal aus dem heimischen Fenster gesichtet. Einige frühe Beobachtungen etwa von Mauerseglern, Braunkehlchen oder Gartengrasmücken dürften für Zufriedenheit hinter Fensterscheiben gesorgt haben.

Wissenschaftliche Erkenntnisse lassen sich für die Vogelstatistiker des DDA aus der Aktionnicht ableiten. Etwas dürfte der Aufruf zum Homebirding aber auf jeden Fall befördert haben: Einen genaueren Blick auf die Arten vor der eigenen Haustüre – und die Wertschätzung für manchen scheinbar so selbstverständlichen gefiederten Begleiter durch die lange Zeit der Kontaktbeschränkungen.

Lesetipp:

Detaillierte wissenschaftliche Daten zur Vogelwelt in Deutschland finden sich im kürzlich veröffentlichten Bericht Vögel in Deutschland und in unserem Artikel dazu.

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