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Von der Leyens Kampf gegen den Wolf gefährdet europäischen Naturschutz und den Green Deal insgesamt
Von der Leyens Top-Prioritäten: Trump, Putin, Wolf
Kommentar: In der größten Belastungsprobe für Europa seit dem Zweiten Weltkrieg findet EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen die Zeit, ihre Kampagne gegen den Wolf voranzutreiben. Sie demontiert damit geradezu obsessiv ihre Verdienste um den Green Deal.

Ursula von der Leyen kämpft in diesen Tagen wie eine Löwin um die Zukunft Europas. Unermüdlich arbeitet sie daran, der sich neu formierenden Allianz zwischen Donald Trump und Wladimir Putin ein starkes Europa entgegenzusetzen und die bedrängte Ukraine vor dem imperialistischen Zugriff Russlands zu retten. Krisentreffen im Stundentakt, ein Gipfel jagt den anderen. Da bleibt für anderes keine Zeit. Wirklich nicht? Doch, hat Löwin von der Leyen jetzt entschieden. Jedenfalls ein Thema jenseits der transatlantischen Verwerfungen und der größten militärischen Krise in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg ist so dringend, dass es sich selbst in dieser beispiellosen Krisenzeit nicht aufschieben lässt. Der Wolf!
Die Kommissionschefin schafft es in ihrem dicht getakteten Terminkalender stets aufs Neue, eine kleine Zeitlücke zu finden, um ihre Anti-Wolf-Kampagne voranzutreiben. So sieht wahre Leidenschaft aus.
Und so brachte die Kommissionschefin am Freitag zwischen neuen Krisenberatungen über Milliardenhilfen für die Rüstungsindustrie und diplomatische Initiativen für eine Ukraine-Frieden den Prozess auf den Weg, mit dem der Schutzstatus für den Wolf – einer nach wie vor gefährdeten Tierart – abgesenkt werden soll. Das soll es möglich machen, dass künftig in Europa wieder legal zur Hatz auf die Tiere geblasen werden kann. Ihre Kommission legte dazu einen Vorschlag vor, den Schutzstatus des Wolfs in der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie herabzustufen.
Zeit zu verlieren hatte von der Leyen offenbar nicht. Ihre Initiative kommt nur einen Tag, nachdem der Schutzstatus der Raubtiere – ebenfalls auf ihr maßgebliches Betreiben - bereits im Rahmen der Berner Konvention verringert wurde. Erstaunlich: Die Kommissionschefin schafft es in ihrem dicht getakteten Terminkalender stets aufs Neue, eine kleine Zeitlücke zu finden, um ihre Anti-Wolf-Kampagne voranzutreiben. So sieht wahre Leidenschaft aus.

„In einigen europäischen Regionen sind Wolfsrudel insbesondere für Nutztiere zu einer echten Gefahr geworden“, erklärte die Kommissionschefin am Freitag zur Begründung. Das Mitleid rührt. Doch wie groß ist die Gefahr durch die Raubtiere wirklich? Dazu hat ihre Kommission Zahlen vorgelegt. Danach werden in jedem Jahr in den EU-Mitgliedstaaten rund 65.000 Weidetiere, darunter rund 50.000 Schafe, von Wölfen getötet. Unzumutbar? Vielleicht hilft bei der Bewertung eine andere Zahl. Zur menschlichen Ernährung werden in jedem Jahr 57 Millionen Schafe in der EU geschlachtet.
Die Wiese, der Wald, der Acker und das Moor gehören nicht allein denjenigen, die sie nutzen. Sie gehören auch den Geschöpfen, die sie bewohnen. Wildtiere haben ein Recht darauf, nach ihren natürlichen Gesetzen zu leben.

Trotzdem ist auch richtig: Wölfe sind eine Herausforderung. In manchen Gebieten erschweren sie die auch für den Naturschutz wichtige Weidetierhaltung oder den großräumigen Einsatz von Schafen als Landschaftspfleger. Niemand will, dass Heiden verbuschen, Magerrasen-Wiesen überwuchern und Ökosysteme verarmen. Auch ist gegen Fleisch von der Weide statt aus dem Industriestall nichts zu sagen, im Gegenteil. Deshalb ist es wichtig, einen Zielkonflikt zuzugeben, der sich mit der Wiederetablierung des Wolfes ergibt und mit seiner zunehmenden Ausbreitung verschärft. Umso wichtiger ist es aber auch, auf die richtigen Lösungen zu setzen.
Pauschale Bejagung bringt nichts
Die Tür für eine pauschalen Bejagung von Wölfen zu öffnen, gehört sicher nicht dazu. Es hilft nicht, zufällig irgendeinen Wolf zu erschießen, der sich gerade vor die Flinte begibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass es einen der entgegen aller Behauptungen immer noch wenigen Wölfe trifft, die Zäune überwinden und Schafe reißen, ist gering. Und das zielgerichtete Töten einzelner Wölfe, die – nicht zuletzt durch mangelnden Herdenschutz etwa mit Hunden oder Eseln – gelernt haben, Zäune zu überwinden, ist heute bereits möglich und wird praktiziert.
Dass pauschale Bejagung nichts bringt, zeigen Beispiele. Forscher in den USA haben nachgewiesen, dass ein leichterer Abschuss der Wölfe die Zahl der gerissenen Nutztiere auf Dauer nicht reduziert. Warum? Weil die Wölfe sich umso häufiger fortpflanzen, je höher die Sterblichkeit ist. In Frankreich darf jeder zehnte Wolf geschossen werden. Die Zahl der getöteten Nutztiere hat das nicht gesenkt. Nur eine Ausrottungsstrategie würde also etwas ändern.

Herdenschutz hilft - und ein Ende der Vollkaskomentalität bei der Naturnutzung
Dass nur ein konsequenter und flächendeckend praktizierter Herdenschutz Abhilfe schaffen kann - das wissen die Experten und Expertinnen in von der Leyens Kommission genau. Sind Schafe unzureichend geschützt, entwickeln sich diese Weiden zu Lernorten für Wölfe. Das gleiche gilt übrigens für den 1000-Kilometer-Zaun im Kampf gegen die Afrikanische Schweinepest. In weiten Teilen Brandenburgs und Mecklenburg-Vorpommerns müssen Wölfe zu Springmeistern werden, wenn sie überleben wollen. Diese Fähigkeit nutzen sie dann auch auf der Weide.

Auch Entschädigungsregelungen sind wichtig, aber sie haben in einer sich ausbreitenden Vollkaskomentalität eine unschöne Schlagseite: Entschädigung in Maßen sollte einer Gesellschaft die friedliche Koexistenz mit einem großen Raubtier, das 100 Jahre nach seiner Ausrottung wieder nach Mitteleuropa zurückkehrt, wert sein.
Es gilt aber zugleich: Jede Tierhalterin, jeder Tierhalter, der für sich in Anspruch nimmt „die Natur“ als Weidegebiet für seine Tiere zu nutzen, muss bereit sein, ein Restrisiko zu übernehmen. Die Wiese, der Wald, der Acker und das Moor gehören nicht allein denjenigen, die sie nutzen. Sie gehören auch den Geschöpfen, die sie bewohnen. Wildtiere haben ein Recht darauf, nach ihren natürlichen Gesetzen zu leben. Auch in unserer sogenannten Kulturlandschaft.
Von der Leyen betreibt ökologische Täter-Opfer-Umkehr
Von der Leyen wäre nicht sie selbst, wenn sie auch in der Wolfsdebatte nicht noch ein wenig Bombast hinzusetzen würde und ihre Politik nicht noch als Beitrag zu etwas ganz Großem stilisieren würde. Die Senkung des Schutzes für Wölfe werde den lokalen Behörden helfen, die Wolfspopulationen „aktiv zu verwalten“ und „gleichzeitig die biologische Vielfalt … zu schützen“, behauptet sie. Das zu erwartende massenhafte Töten von Wölfen verkehrt sie in eine Maßnahme zur Förderung der Biodiversität. Das ist eine ökologische Täter-Opfer-Umkehr, wie auch Trump sie gerne praktiziert. Natürlich ist das Gegenteil richtig.


Wölfe sind in der Biodiversitätskrise Teil der Lösung, nicht das Problem
Wölfe leisten als Schlüsselarten ihrer Ökosysteme unverzichtbare Dienste für die gesamte Biodiversität. Sie verhindern das Entstehen von Seuchen, betreiben Wald- und Klimaschutz, indem sie Hirsche und Rehe fressen und auf Trab halten, sie halten Landschaften gesund und regulieren sogar den Ausbruch von Krankheiten unter ihren Beutetieren. Auch die EU-Kommission weiß das. Sie attestiert dem Wolf sogar, einen wichtigen Beitrag gegen die Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest zu leisten und dabei zu helfen, die Zahl der Kollisionen von Autos mit Wildtieren zu senken. Wölfe sind Teil der Lösung der Biodiversitätskrise, nicht das Problem!
Schürte von der Leyen bewusst die Angst vor dem Wolf?
Dass von der Leyen es nicht immer so genau nimmt mit der Wahrheit, wenn es um den Wolf geht, hat sie schon öfters bewiesen. So lief sie eine Zeitlang mit der Behauptung durch die Gegend, Wölfe seien in einigen Regionen Europas zu einer Gefahr „möglicherweise auch für Menschen geworden.“ Der renommierte Wolfsexperte John Linnell kommentierte im Gespräch die Gefahren, die für Menschen durch Wölfe ausgehen, so: „Das Risiko durch einen Zeckenbiss, einen Wespenstich oder als Folge eines Autounfalls getötet zu werden, der durch ein Reh oder einem Wildschwein verursacht wird, ist astronomisch höher als durch einen Wolf. Sogar in Deutschland dürfte das Risiko, an einem Schlangenbiss zu sterben, größer sein.“
Immerhin behauptet auch von der Leyen nach einem Sturm der Entrüstung von Experten diesen Unsinn nicht mehr.

Treibt der Tod ihres Ponys die Wolfs-Obsession der Kommissionschefin an?
Gleichwohl nimmt die Hatz auf den Wolf bei der CDU-Politikerin zunehmend obsessive Züge an. Liegt es daran, das sie vor ein paar Jahren auf ihrem niedersächsischen Familiengut selbst ihr Pony „Dolly“ durch einen Wolfsangriff verlor? Seitdem jedenfalls hat sie das Thema zur Chefinnensache gemacht. In Berlin wird kolportiert, dass sie das Thema seither selbst bei Treffen mit Staats- und Regierungschefs anspricht.
Von der Leyens Vorstoß ist aus einem weiteren Grund brandgefährlich. Mit der Änderung des Wolfsschutzes muss die EU-Habitatrichtline geöffnet werden: Dem Tafelsilber des europäischen Naturschutzes droht damit die Plünderung. Zusammen mit der Vogelschutzrichtline bildet die FFH-Richtlinie den Grundpfeiler des europäischen Naturschutzrechts. Von der Leyen versichert, dass es ihr „nur“ darum geht, den Schutz für den Wolf abzusenken. Doch auch sie kann nicht verhindern – falls sie das überhaupt will – dass im Zuge der Beratungen im Europaparlament gefordert wird, den Schutz für weitere Arten zu senken.
Dem Tafelsilber des europäischen Naturschutzes droht die Plünderung
Es gibt bereits Forderungen, diesen Schritt auch für Bären, Luchse und Robben zu gehen. Auf Anfrage des Onlineportals Contexte schloss auch der deutsche Koordinator der konservativen EVP-Fraktion im Umweltausschuss des Europaparlaments, Peter Liese, eine umfassendere Überarbeitung der Richtlinie nicht aus. In seiner Fraktion „gibt es ganz klar die Idee, dass wir uns andere Arten ansehen müssen“, sagte er.
Bisher haben Regierungen, Fraktionen und Kommission genau aus diesem Grund stets vermieden, Hand an die Habitatrichtlinie zu legen – und seien einige Bestimmungen auch diskussions- oder die Artenliste der Anhänge ergänzungsbedürftig. Denn allen ist klar, dass sie damit die Büchse der Pandora öffnen. Das gesamte Gerüst des europäischen Naturschutzes hängt daran: Die Konzeption des europäischen Schutzgebietsnetzes Natura2000 ebenso wie die Wasserrahmenrichtlinie, die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie oder das gerade unter großen Vorschusslorbeeren durchgekämpfte EU-Renaturierungsgesetz.
Bruchlandung für Leyens Mondlandung
Die versessene Hatz auf den Wolf könnte erhebliche Folgen weit über ihn hinaus haben. Dem Mann auf dem Mond droht die Bruchlandung Die konservative Politikerin Ursula von der Leyen ist als Hoffnungsträgerin für eine natur- und klimagerechte Transformation der Europäischen Union gestartet. Mit viel Pathos beschwor sie 2019 bei seiner Vorstellung den Green Deal. Unter ihrer Ägide sollte Europa auf den Weg gebracht werden, um künftig klimaneutral zu wirtschaften, nachhaltig zu konsumieren, ökologisch zu produzieren und seine Natur zu schützen „Das ist Europas ‚Mann auf dem Mond‘-Moment“, formulierte sie damals gewohnt pathetisch.
Die ökologische Transformation von 27 Industriestaaten mit mehr als 400 Millionen Einwohnern – in der Tat eine historische Mammutaufgabe. Sechs Jahre später ist Europa weder auf dem Weg zur Klimaneutralität, die Wende in der für Ernährung und Ökologie entscheidenden Agrarpolitik ist nach zahlreichen Rückziehern von der Leyens im Angesicht der Bauernproteste nicht in Sicht –– und mit ihrer fanatischen Anti-Wolfspolitik legt die einstige grüne Hoffnungsträgerin nun Hand bei der tragenden Säulen des Biodiversitätsschutzes und damit ihres eigenen Green Deal an.