Überlebensfrage Naturschutz: Warum wir für sauberes Trinkwasser auf intakte Ökosysteme angewiesen sind

Bis 2030 wollen die Vereinten Nationen jedem Menschen Zugang zu sauberem Wasser garantieren. Das geht nur mit besserem Schutz von Flüssen und Feuchtgebieten

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In einer kargen Landschaft mündet ein Wasserfall in einen wilden Fluss, der von Ufervegetation eingesäumt ist.

Rund 2,2 Milliarden Menschen weltweit haben laut dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen keinen regelmäßigen Zugang zu sauberem Wasser. Rund 785 Millionen Menschen – sehr viele von ihnen leben in den ärmsten Ländern der Welt – verfügen nicht einmal über eine Grundversorgung mit sauberem Trinkwasser. Und bei fast 80 Prozent der Weltbevölkerung ist der sichere Zugang zu Trinkwasser in absehbarer Zeit Bedrohungen ausgesetzt.

Gefahr für unser Wasser – das lässt viele Menschen an die Klimakrise denken, die Dürren wahrscheinlicher macht, an bewaffnete Konflikte, die den Zugang von Menschen zu Wasserquellen behindern, oder an die Verschmutzung von Wasser mit Giftstoffen wie in der US-amerikanischen Stadt Flint.

Der wichtigste Faktor für eine sichere Wasserversorgung bleibt allerdings meistens unbeachtet. Es sind die Ökosysteme der Natur mit ihren vielfältigen Arten und Nahrungsnetzwerken, aus denen das Trinkwasser für bald acht Milliarden Menschen kommt. In der Natur laufen die entscheidenden Prozesse der globalen Wasserversorgung, die für Leben und Überleben der Menschheit existenziell sind.

Einen „blinden Fleck in der Entwicklungsdebatte” nennt dies Martha Rojas Urrego, Chefin der UN-Konvention zum Schutz von Feuchtgebieten: Dass jeder Mensch das Wasser, das ihn tagtäglich am Leben erhält, aus der Natur bezieht, gilt als so selbstverständlich, dass es vor allem im Westen wenigen wirklich bewusst sei, vielfach auch den Menschen und Institutionen nicht, die technisch für die Wasserversorgung zuständig seien.

Im 21. Jahrhundert stellt sich angesichts einer wachsenden Menschheit und der Klimakrise die Frage so dringlich wie nie zuvor: Was können wir tun, damit die natürliche Reinigung des Wassers auch in Zukunft noch funktioniert – und zwar weltweit – und dass, wie es die Vereinten Nationen in ihren Zielen für eine Nachhaltige Entwicklung für das Jahr 2030 anpeilen, jeder Mensch Zugang zu sauberem Wasser hat?

Was Flüsse, Moore, Seen und Sümpfe für uns leisten

Dieser Zugang zu sauberem Wasser für alle Menschen ist Ziel Nummer 6 der insgesamt 17 „Sustainable Development Goals" der Weltgemeinschaft. Ein wichtiges Teilziel nimmt dabei die Natur ins Visier. Denn an jedem Ort der Erde gilt: Ob für uns Menschen genug sauberes Wasser zur Verfügung steht, hängt nicht nur davon ab, ob es überhaupt genug Niederschläge gibt, ob Wasser an der Oberfläche und im Untergrund in ausreichender Menge und Qualität zur Verfügung stehen.

Wasser muss in einem globalen Gesamtkreislauf für acht, neun Milliarden Menschen verstanden werden. (Achim Steiner, UNDP)

Ausschlaggebend dafür, ob dies tagtäglich funktioniert, ist vor allem der Gesundheitszustand der natürlichen Ökosysteme, in denen Wasser aufgefangen, gereinigt, transportiert und gespeichert wird. Führende UN-Vertretern weisen darauf hin, wie zentral deren Rolle ist: „Stellen Sie sich nur den hydrologischen Kreislauf vor, wie ein Tropfen Wasser auf ein Gebirge fällt, über einen Fluss und einen See in eine Stadt gelangt, dort den Durst von Menschen stillt, und dann weiter transportiert wird, vielleicht ins Meer, wo wieder neue Regenwolken entstehen", sagt Achim Steiner, Chef der Entwicklungsorganisation UNDP. Dieser Blick mache deutlich, dass man Wasser nie nur lokal managen könne. Wasser "muss in einem globalen Gesamtkreislauf für acht, neun Milliarden Menschen verstanden werden", sagt Steiner.

Die Rolle der Ökosysteme ist vielfältig:

  • Gebirge sammeln Luftfeuchtigkeit als Nebel und Regen ein, speichern sie in Eis, leiten sie über Bäche und Flüsse in die Siedlungen
  • Auch Wälder fangen Luftfeuchtigkeit und Regen ein, speichern sie in ihrem Boden, leiten Wasser weiter zu den Grundwasserreservoirs, aus denen wir Trinkwasser beziehen
  • Auen, Seen, Sümpfe und Moore saugen Wasser auf, speichern es für trockene Zeiten, leiten es in den Untergrund, wo es zu Trinkwasser wird
  • Bäche und Flüsse bringen Wasser aus entlegenen Gebieten in Ballungszentren.

Auch die Vielfalt des Lebens in den Gewässern und im Boden spielt eine zentrale Rolle dafür, dass sauberes Wasser aus dem Hahn oder einem Brunnen kommt. Entscheidend ist deshalb aus Sicht von Wissenschaftlerïnnen, dass diese Ökosysteme möglichst intakt sind, dass sie vor Eingriffen und Verunreinigungen geschützt werden, um die Selbstreinigung des Wassers nicht zu überfordern.

Milliarden Menschen in Asien sind etwa davon abhängig, dass das Himalaya-Gebirge genügend – aber auch nicht zuviel – Schmelzwasser der Gletscher zur Verfügung stellt und unterwegs Feuchtgebiete Wassermengen speichern oder bei Dürre abgeben können. Der chinesische Yarlung Tsangpo, der später zum indischen Brahmaputra-Fluss wird, oder der Mekong sind Beispiele für Lebensadern von unzähligen Dörfern und Kleinstädten sowie vielen Metropolen.

Ein junger Mann in einem mexikanischen Armenviertel zieht einen großen Wasserschlauch, um einen Behälter zu befüllen.
Weltweit leiden Hunderte Millionen Menschen an Wassermangel – wie im Juli 2020 dieser junge Mann in Mexiko, wo die Bevölkerung seit Jahren an Versorgungsproblemen leidet und Wasser zu manchen Zeiten nur sporadisch mit Tanklastern angeliefert wird.
Ein Wasserhahn, aus dem sauberes Wasser in ein Glas fließt
Jeder Griff zum Wasserhahn verbindet uns mit den Ökosystemen, aus denen das Lebenselexier kommt.
Unterirdischer Trinkwassertank in Hessen.
Die Infrastruktur unserer Wasserversorgung – wie dieser Trinkwasserspeicher in Hessen – liegt oft im Verborgenen. Deshalb ist vielen Menschen nicht bewusst, woher ihr Wasser kommt.
Ein Fluss ist über die Ufer getreten. Das Wasser überschwemmt die angrenzende Auenlandschaft.
Weltweit sind nach Analysen des Weltbiodiversitätsrats IPBES seit 1700 rund 85 Prozent aller Feuchtgebiete zerstört worden. In Europa gibt es weitläufige Flussauen, in denen sich im Frühjahr Wasser sammelt, viel seltener als früher.
Ein Bach mit Steinstufen, in dem Luft perlt.
Viele Wasserquellen weltweit haben ihren Ursprung im Gebirge. Dort wird das Wasser in vielen kleinen Stufen auch mit Sauerstoff angereichert.
Eine Köcherfliegenlarve in ihrem selbstgebauten Gehäuse aus kleinen Steinchen.
Lebensraum Wasser: Damit alle Reinigungsprozesse in der Natur funktionieren, wirken viele Lebewesen zusammen. Zur Biodiversität der Gewässer gehören bei uns auch die Köcherfliegen, deren Larven schützende Gehäuse selbst bauen.
Eine Zuckmücke (Chironomus plumosus) sitzt auf einem Blatt.
Zu den vielen Organismen, die zur Wasserreinigung beitragen, gehören die Larven der Zuckmücke (Chironomus plumosus). Das abgebildete Tier hat bereits das Erwachsenenstadium erreicht.
Ein öder Kanal.
Die Liste negativer Eingriffe in den Wasserkreislauf ist lang: Begradigte Gewässer haben ungleich schwächere Selbstreinigungskräfte als natürliche.
Sonja Jähnig vor einer Hütte an einem See.
Sonja Jähnig ist Professorin an der Humboldt-Universität zu Berlin und leitet die Arbeitsgruppe "Aquatische Ökogeographie" am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin.
Dietrich Borchardt sitzt mit grübelnder Miene an einem Tisch im Freien, im Hintergrund Wasser.
Dietrich Borchardt, Leiter der Abteilung Aquatische Ökosystemanalyse und Management am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung.
Verschmutztes Flusswasser mit Schaum und Dreck.
Gegen Plastik ist auch die Natur machtlos, aber viele andere problematische Stoffe können durch Reinigungsprozesse aus dem Wasser entfernt und oft auch unschädlich gemacht werden.
Zwischen den Hochhäusern fliesst statt eines mächtigen Flusses wegen Dürre nur ein Rinnsal.
Die Folgen einer Dürre in Chongqing am Yangtze, Mai 2020: Wenn in Zukunft Klimakrise und Naturzerstörung zusammenwirken, ist die Wasserversorgung vieler Metropolen in Gefahr.
Eine Frau holt in Äthiopien mit ihren Kindern Wasser aus einem schlammigen Loch.
Besonders in den ärmsten Ländern, den least developed countries, ist mangelnder Zugang zu sauberem Wasser ein existenzielles Problem. Diese äthiopische Frau ist darauf angewiesen, für ihre Familie Wasser aus einem Schlammloch am Koka-Stausee zu holen.
Eine karge Gebirgslandschaft mit ein bisschen Schnee und viel Gestein. In der Mitte hat ein kleiner Fluss seinen Ursprung, der spätere Mekong.
Hier hat das Wasser für Millionen Menschen seinen Ursprung. Im tibetischen Hochland nimmt 200 Kilometer nördlich von Zadoi ein kleiner Fluss seinen Anfang, der später zum mächtigen Mekong wird.
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