Der Wolf kehrt zurück – mit der AfD im Schlepptau
Erstmals haben Wissenschaftler den Einfluss des Wolfs auf das Wahlverhalten in seinen Hochburgen modelliert. Dort, wo es Wolfsattacken auf Nutztiere gab, verbucht die AfD bei Wahlen deutliche Stimmgewinne

Der Wolf erobert auf leisen Sohlen immer neue Regionen seiner früheren Verbreitung in Deutschland zurück. Die Zahl der Rudel könnte sich Analysen zufolge gegenüber dem heutigen Stand in den kommenden Jahrzehnten verzehnfachen. Doch die Erfolgsgeschichte des Artenschutzes könnte eine überraschende Schattenseite haben. Eine soeben veröffentlichte Studie zeigt: Die Wiederbesiedlung Deutschlands durch den Wolf geht mit Wahlgewinnen für die rechtspopulistische AfD einher.
Forscher der Universität Amsterdam untersuchten die Zusammenhänge zwischen Wolfsangriffen auf Nutztiere und dem Wahlverhalten in Deutschland seit der Wiedervereinigung. Sie fanden heraus, dass in Gemeinden, in denen es zu Wolfsangriffen kam, häufiger die AfD gewählt wird. Der „Wolfs-Bonus“ könnte bis zu fünf Prozentpunkte ausmachen. Studienleiter Bernhard Clemm erläutert die Hintergründe:

Herr Clemm, hilft der Wolf wirklich der AfD?
Der Wolf selbst hilft der AfD natürlich erstmal nicht, er hilft sich selbst. Die AfD nutzt aber die Unzufriedenheit aus, die es in Teilen der Bevölkerung über die Tatsache gibt, dass der Wolf zurückkehrt und Probleme verursacht. Die Unzufriedenheit besteht zwar nur in einem kleinen Teil der Bevölkerung, denn es gibt Umfragen, die zeigen, dass der Großteil der Bevölkerung der Rückkehr des Wolfes positiv gegenübersteht. Aber die AfD schafft es, die Frustration in kleinen Bevölkerungsteilen als Protestpartei auszunutzen und in Stimmen für sich umzumünzen.
Wie haben Sie den Zusammenhang zwischen dem Wiederauftauchen des Wolfes in Deutschland und dem Wahlverhalten zugunsten der AfD ermittelt?
Wir haben uns die Ergebnisse aller Wahlen seit den 1990er Jahren in 14 der 16 Bundesländer – Kommunal, auf Landesebene und zum Bundestag – sowie die Wolfsangriffe auf Nutztiere sehr feinkörnig auf Gemeindeebene angesehen. Wolfsangriffe haben wir als Maßeinheit gewählt, weil diese überall von den Behörden erhoben werden und damit als Datengrundlage zur Verfügung stehen. Um uns der Frage zu nähern, warum Wolfsangriffe mit rechtsextremem Wahlverhalten einhergehen, haben wir dann Umfragedaten analysiert und uns auch mehr als 3,5 Millionen Tweets aller Bundestagsabgeordneten seit 2008 angesehen.
Bei Bundestagswahlen gewinnt die AfD in Gemeinden mit Wolfsangriffen zwischen 1 und 2 Prozentpunkten. Bei Landtagswahlen sogar mehr. Die Rückkehr des Wolfes nutzt tendenziell der AfD.
Es gibt schon Studien, die über Befragungen den Zusammenhang zwischen Partei-Präferenz und der Einstellung zur Natur, zu Wölfen oder auch Bären ermittelt haben. Bisher wurde aber nie das konkrete Wahlverhalten zugunsten einer Partei modelliert. Wieviel Stimmen bringt die Gegnerschaft zum Wolf der AfD nach Ihren Berechungen?
Nach unserem Modell steigt der Stimmanteil für die AfD in Gemeinden, die von Wolfsangriffen auf Nutztiere betroffen sind, signifikant an. Bei Bundestagswahlen gewinnt die AfD in diesen Gemeinden zwischen ein und zwei Prozentpunkten, wenn ein Wolfsangriff stattgefunden hat, bei Landtagswahlen sogar mehr. Bei Kommunalwahlen sind die Koeffizienten ähnlich groß wie bei Bundestagswahlen, allerdings sind sie hier nicht durchgängig statistisch signifikant.
Der Wolf als bester Wahlkampfhelfer für die AfD?
Ob als bester Helfer, sei dahingestellt. Aber ja, in der Tendenz gilt: Wolfsattacken nutzen der AfD. Aber es ist auch wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass unser Modell auf Gemeindeebene vergleicht. Dort, wo es in der laufenden Wahlperiode eine Attacke gab, gewinnt die AfD im Modell-Vergleich gegenüber der Situation, in der es dort nicht zu einem Angriff gekommen wäre. Auch kann man wegen dieses Ansatzes nicht sagen, dass Wolfsattacken der AfD beispielsweise bei der Bundestagswahl 2017 ein Prozent gebracht haben. Denn die Zahl gilt ja nur für die betroffenen Gemeinden – und es ist ja nur eine kleine Zahl der Gemeinden betroffen. Auch leben in vielen betroffenen Gemeinden vergleichsweise wenige Menschen und entsprechend Wahlberechtigte. Aber ja, die Rückkehr des Wolfes nutzt tendenziell der AfD.
Der Wolf ist ein Thema, bei dem man aufpassen muss, dass die Leute nicht ihr Vertrauen in den Staat und die Legitimität der staatlichen Entscheidungen verlieren.
Wenn die als besonders wolfsfeindlich auftretende AfD durch Angriffe auf Nutztiere zulegen kann, bedeutet das im Umkehrschluss auch, dass die als besonders wolfsfreundlich wahrgenommenen Grünen wegen ihrer Sympathie für Wölfe bei Wahlen Stimmen verlieren?
Eine Tendenz zu Verlusten für die Grünen in den betroffenen Gemeinden können wir erkennen, aber die Ergebnisse unserer Modelle sind nicht eindeutig genug, um das abgesichert behaupten zu können. Bei Bundestags- und Kommunalwahlen zum Beispiel liegt der entsprechende Koeffizient nahe Null und ist statistisch nicht signifikant. Bei Landtagswahlen dagegen finden wir Hinweise darauf, dass die Wähler nach Wolfsangriffen mit geringerer Wahrscheinlichkeit für die Grünen stimmen. Insgesamt liefert unsere Analyse aber nur sehr begrenzte Belege dafür, dass Wolfsangriffe Stimmen von den Grünen zur AfD verschieben. Und es gibt natürlich auch die Möglichkeit, dass die Grünen in nicht betroffenen Gebieten wie Großstädten für ihre Haltung zum Wolfsschutz durch die Wählerinnen und Wähler belohnt werden und damit vielleicht insgesamt wegen des Wolfes mehr Stimmen bekommen. Das war aber nicht Gegenstand unserer Studie.
Wieso kann die AfD aus Ihrer Sicht von der Rückkehr des Wolfs nach Deutschland Kapital schlagen?
Auch wenn wir so zu diesem Aspekt selbst keine Daten haben, ist mein Eindruck, dass der Schutz des Wolfs von vielen als ein Thema wahrgenommen wird, das stark von Experten oder aus der Wissenschaft vorangetrieben wird. Er ist also eher ein Projekt von Eliten und in der Regel nicht etwas, das von den Leuten vor Ort ausgeht. Die AfD nutzt als populistische Partei wohl diesen vermeintlichen Gegensatz zwischen Eliten und Volk aus. Ich glaube, dass die AfD den Riecher hatte, dass das Thema die Leute umtreibt. Sie sind als erstes auf den Trichter gekommen und nutzen das Thema aus.
Die AfD, aber nicht allein sie, stilisiert den Wolf zu einer wirtschaftlichen Bedrohung für ländlicher Gebiete. Wie kann das verfangen, wenn es doch selbst in den Hochburgen der Wölfe nur eine geringe Zahl direkt betroffener Menschen gibt, deren Tiere vom Wolf angegriffen wurden?
Direkt betroffene Gruppen wie Weidetierhalter sind zwar klein. Aber wie wir aus Forschung zu dem Thema wissen, gibt es auf dem Land eine starke Bereitschaft, sich als eine Gruppe zu identifizieren, die ihren Lebensunterhalt mit traditionelleren Wegen, mit dem Land, mit Ressourcen aus der Natur bestreitet. Auch der Landwirt ohne Tiere, der sieht, dass der Weidetierhalter Probleme mit dem Wolf hat, stellt sich über die gemeinsame Identität als Menschen vom Lande rasch an der Seite des Tierhalters.

Wenn der Konflikt zwischen Mensch und Wolf einer rechtsextremen Partei hilft, sollte seine Entschärfung im Umkehrschluss ihr schaden. Etwas überspitzt gefragt: Schützt man mit Schafsherden auch die Demokratie?
Ich bin kein Biologe oder Ökologe, sondern Politikwissenschaftler. Deshalb kann ich wenig zu einzelnen Maßnahmen des Herdenschutzes sagen. Aber es gibt diese Konflikte und sie haben reale politische Auswirkungen. Deshalb sind Konzepte, die den Konflikt zwischen Wolf und Nutztierhaltern entschärfen, in gewisser Weise auch Demokratieschutz. Die Rückkehr des Wolfes ist zwar primär ein natürlicher Vorgang, aber das Comeback könnte nicht gelingen, wenn es nicht auch politisch gewollt wäre. Wenn die Leute in den Regionen das Gefühl haben, dass die Weichen dazu über ihren Kopf hinweg gestellt wurden, ist das natürlich Gift für die Demokratie. Der Wolf ist ein Thema, bei dem man aufpassen muss, dass die Leute nicht ihr Vertrauen in den Staat und die Legitimität der staatlichen Entscheidungen verlieren.
Wie kann das Problem jenseits technischer Lösungen wie Hirtenhunden und Elektrozäunen entschärft werden?
Mit Blick auf die Eindämmung des Rechtspopulismus zeigt unsere Studie deutlich, dass es sehr wichtig ist, die Betroffenen sehr ernst zu nehmen. Wir müssen die Wirkung berücksichtigen, die die Rückkehr des Wolfes – und generell der großen Beutegreifer – auf die Menschen haben, die in diesen Regionen leben. Ausschließlich bestimmte Ziele im Blick zu haben und beispielsweise die Etablierung des Wolfs aus ökologischen Gründen über die Köpfe der Menschen in der Region hinweg zu betreiben, kann Kollateralschaden an der Demokratie verursachen. Ich sage nicht, dass dies geschieht, aber wir müssen die Bedenken der Menschen sehr ernst nehmen. Ansätze, die sich in den letzten Jahren entwickelt haben, wie Kompensationen für Tierhalter, sind ein richtiger Weg. Denn schließlich wünscht sich eine Mehrheit der Gesellschaft ja auch, dass Nutztiere vor allem auf der Weide stehen und nicht eingepfercht in Massenhaltung.
Eine gute Koexistenz zwischen Wolf und Menschen zu finden, wird immer wichtiger für einen erfolgreichen Natur- und Klimaschutz.
Sie sehen in einer Entschärfung des Konflikts um den Wolf sogar eine Relevanz für die Klimadebatte. Wo gibt es da einen Zusammenhang?
Das eigene Erleben von Umweltproblemen kann zu einer Änderung der Einstellung führen. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass Unwetterkatastrophen Bürger dazu bringen können, für umweltfreundlichere Programme zu stimmen. Das könnte aber auch andersherum der Fall sein: Wenn man erlebt, dass Wölfe in der eigenen Umgebung Nutztiere reißen, steigt die Wahrscheinlichkeit, die AfD zu wählen – und einen energischen Klimaschutz damit zu schwächen. Forscher erwarten, dass sich die Zahl der Wolfsrudel annähernd verzehnfachen könnte. Eine gute Koexistenz zwischen Wolf und Menschen zu finden, wird deshalb auch immer wichtiger für einen erfolgreichen Natur- und Klimaschutz. Das gilt auch für die Erneuerbaren Energien. Der Ausbau von Windrädern wirkt sich auf das Wahlverhalten auf lokaler Ebene aus, das zeigen frühere Untersuchungen. Im Ergebnis kann das zu einer Polarisierung führen: Mehr Leute vor Ort wählen die AfD, weil sie die Windkraft des Teufels finden, aber auch mehr die Grünen, weil sie Windkraft besonders toll finden. Politische Eingriffe in die Natur haben Konsequenzen.

Renaturierungsvorhaben, beispielsweise von Mooren und Wäldern, soll in den kommenden Jahrzehnten massiv vorangetrieben werden, um die Klima- und Artenkrise zu bekämpfen. Zeichnen sich da weitere Gefahren mit Blick auf ein Erstarken des Rechtspopulismus ab?
Bei Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität wird es solche Konsequenzen sicher auch geben. Die Wiedervernässung von Mooren ist in der Wahrnehmung vieler Menschen, die seit Generationen Land nutzen und darauf angewiesen sind, wahrscheinlich erstmal eine Bedrohung. Auch wenn sie natürlich nicht gezwungen werden, da mitzumachen, gibt es doch immer Zielkonflikte zwischen wirtschaftlicher Nutzung und dem Wunsch zu renaturieren und Biodiversität zu fördern. Damit muss man rechnen und man muss die Ängste ernst nehmen, wenn solche Vorhaben am Ende erfolgreich sein sollen für die Natur und die Gesellschaft. Wichtig ist, dass solche Projekte auch von Menschen vor Ort mitgetragen werden – seien es beim Wolf Weidetierhalter oder bei den Mooren Landwirte. Es gibt vielerorts eine Denkweise, die sich in dem Motto 'Das haben wir aus gutem Grund schon immer so gemacht’ ausdrückt. Das wird als Wert an sich gesehen, und dann kommen aus dieser Sicht die Großstädter, die Wissenschaftler oder die Naturschützer – die Eliten – und wollen sagen, wo es lang geht. Das bringt manche Leute auf die Palme.