Ein Schwarzes Loch lässt grüßen
Sind Neutrinos bald die besseren Botschafter aus dem All?
Neueste Ergebnisse des IceCube-Experiments in der Antarktis verfestigen eine lang gehegte These: Die energiereichen kosmischen Neutrinos dürften bei gewaltigen Energieausbrüchen von besonders massereichen Galaxien entstehen. Zudem ebnen die aktuellen Messungen weiter den Weg zur lange ersehnten Multimessenger-Astronomie.
Es war nur ein winziges, fast masseloses Teilchen, das den Forschern des Ice-Cube-Experiments am 22. September 2017 in die Fänge ging. Die Detektoren registrierten eine Energie von 290 × 1012 Elektronvolt. Neutrinos dieser Energie hatten die Forscher bereits zuvor nachgewiesen. Diesmal gelang es ihnen jedoch, die vermutliche Quelle des Teilchens zu rekonstruieren. Das könnte der Auftakt zu einer neuen Art der Astronomie sein. Schon lange träumen Astrophysiker davon, extreme Prozesse im Universum nicht nur anhand von elektromagnetischer Strahlung und Gravitationswellen zu untersuchen, sondern auch Neutrinos zu Rate ziehen. Man nennt das auch Multimessenger-Astronomie.
Seit 2010 ist das Experiment Ice-Cube in der Antarktis auf der Suche nach solchen kosmischen Neutrinos. 5160 ins Eis eingelassene Sensoren registrieren die Lichtblitze, die Neutrino-Ereignisse hinterlassen. Die meisten der rund 200 Neutrinos, die Ice-Cube täglich detektiert, haben eine verhältnismäßig geringe Energie. Sie kommen von der Sonne oder entstehen, wenn kosmische Strahlung auf die Erdatmosphäre trifft. Die kosmischen Neutrinos, nach denen Ice-Cube eigentlich sucht, sind viel seltener. Die ersten Teilchen dieser Sorte gingen den Detektoren 2013 ins Netz. Bisher ließ sich jedoch keines eindeutig mit einer kosmischen Quelle in Verbindung bringen.
Eine lange gehegte Vermutung
Eine Vermutung hegen die Wissenschaftler aber bereits seit längerem: Die Neutrinos könnten bei gewaltigen Strahlungsausbrüchen aktiver Galaxien entstehen, die ein besonders massereiches Schwarzen Loch in ihrem Inneren beherbergen. In ihrer aktiven Phase leuchten diese sogenannten Blazare besonders hell im Gamma- und Röntgenlicht.
Um diese Hypothese zu erhärten, haben die Forscher des Ice-Cube-Experiments ein spezielles Alarmsystem installiert. Am 22. September des letzten Jahres wurde es durch ein Neutrino-Ereignis ausgelöst. Nicht einmal eine Minute später ging eine Meldung an ein weltweites Netzwerk von Observatorien hinaus. Darin wurde die Himmelsregion mitgeteilt, aus der das Neutrino zu kommen schien.
Folgebeobachtungen unter anderem mit dem Gammasatelliten Fermi und den beiden Magic-Teleskopen auf La Palma zeigten, dass ein Blazar namens TXS 0506+056 an der fraglichen Position im Sternbild Orion gerade besonders hell im Gammalicht strahlte. Eine ganze Reihe weiterer Observatorien bestätigten die Aktivität. Aus ihren Beobachtungen leiteten die Forscher ab, dass das registrierte Neutrino mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,73 Prozent (oder drei Sigma) von diesem Blazar stammt, der 4,5 Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt ist.
Wenn das tatsächlich stimmt, sollten aus dieser Himmelsregion dann nicht noch weit mehr Neutrinos zur Erde gelangen? Mit diesem Hintergedanken durchforsteten Wissenschaftler das Ice-Cube-Datenarchiv für diese Himmelsregion und wurden tatsächlich fündig. Zwischen September 2014 und März 2015 hatte der Detektor eine Häufung von rund einem Dutzend energiereicher Neutrinos registriert. In einer weiteren Studie ordnen die Forscher diese Teilchen ebenfalls dem fraglichen Blazar zu, und zwar mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,95.
Ein Team von der Europäischen Südsternwarte, dem auch Elisa Resconi, die Leiterin der Ice-Cube-Gruppe an der TU München angehört, nahm mehrere auffällige Objekte in dieser Himmelsregion noch einmal genauer unter die Lupe. Auch sie kamen zu einem ähnlichen Ergebnis.
Das sind starke Indizien. Von einer Entdeckung will Resconi aber bewusst nicht sprechen. Dafür seien die Ergebnisse noch nicht signifikant genug. «Aber es ist ein wichtiger Meilenstein in diese Richtung. Und es ist vor allem wahnsinnig spannend.»
Ein gewaltiges Feuerwerk
Denn mit dem Ursprung der kosmischen Neutrinos eng verknüpft ist auch die Frage nach der Herkunft der kosmischen Teilchenstrahlung, die permanent auf die Erdatmosphäre prasselt und vornehmlich aus elektrisch geladenen Protonen besteht. Vieles spricht dafür, dass beide aus denselben astrophysikalischen Prozessen hervorgehen. Vermutlich entstammen sie den Kernen aktiver Galaxien und werden von dort in einem gewaltigen Feuerwerk ins All geschleudert. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten, etwa besonders heftige Supernovaexplosionen.
Gelöst ist dieses Rätsel aber noch lange nicht. Da die geladenen Teilchen aus dem All auf ihrem Weg zur Erde durch kosmische Magnetfelder abgelenkt werden, kann man aus ihrer scheinbaren Herkunftsrichtung am Himmel nicht auf den tatsächlichen Ort ihres Ursprungs schließen. Hier kommen den Forschern die flüchtigen Eigenschaften der Neutrinos zu Gute. Sie sind zwar schwer zu fassen, lassen sich aber gerade deshalb durch nichts ablenken oder aufhalten und gelangen geradewegs von ihrem Entstehungsort zur Erde.
In Kombination mit Beobachtungen im gesamten elektromagnetischen Spektrum könnten Neutrino-Messungen künftig wesentlich zum Verständnis extremer astrophysikalischer Prozesse beitragen, so die Hoffnung der Forscher. Bis es aber so weit ist, sind noch wesentlich mehr und vor allem auch genauere Messungen nötig. Ein einzelnes Neutrino oder auch ein Dutzend reichen dafür gewiss nicht aus.