Starb Beethoven an den Folgen einer Infektion mit dem Hepatitis-B-Virus?
Im Genom des berühmten Komponisten, das Forschende jetzt analysierten, finden sich keine genetischen Ursachen für seine Schwerhörigkeit. Dafür aber Hinweise auf eine Infektion mit dem Hepatitis-B-Virus. Außerdem muss Beethovens Stammbaum wohl umgeschrieben werden.
Wissenschaftlern aus Bonn, Tübingen, Leipzig, Jena, Cambridge und Leuven ist es gelungen, das Erbgut Ludwig van Beethovens zu entschlüsseln. Die Genomanalyse, deren Ergebnisse die Forschenden jetzt veröffentlichten, wurde an knapp 200 Jahre alten Haarsträhnen durchgeführt, die sich in privaten und öffentlichen Beethoven-Sammlungen befinden. Das Team hatte gehofft, durch die Untersuchung mehr über die Krankengeschichte und bislang unklare Todesursache des Komponisten zu erfahren. Dabei stießen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf mehrere Überraschungen, auf eine gleich zu Beginn: Mindestens zwei der acht konservierten Locken stammen gar nicht von Beethoven.
Krankheiten und Krisen beeinflussen die Kreativität von Künstlern
Ludwig van Beethoven (1770 bis 1827) ist einer der einflussreichsten und berühmtesten Komponisten überhaupt. „Das Interesse an Beethovens Krankengeschichte war und ist groß“, schreibt Bernhard Richter, Professor für Musikermedizin am Uniklinikum Freiburg in dem Buch: „Ludwig van Beethoven – der Gehörte und der Gehörlose“. Der in Bonn geborene Komponist und Pianist kämpfte Zeit seines Lebens mit einer angeschlagenen Gesundheit. Er litt unter Darmkoliken, depressiven Episoden, Brustschmerzen, rheumatischen Beschwerden und im fortgeschrittenen Alter wiederholt an Gelbsucht. Krankheiten und Krisen beeinflussen einerseits die Kreativität von Künstlern. Sie machen die „Übermenschen“ andererseits menschlich und mit dem Publikum gemein. Kein Wunder also, dass die Leidensgeschichten berühmter Persönlichkeiten noch nach Jahrhunderten Gehör finden.
Trotz Taubheit komponierte Beethoven weiter
Am schlimmsten machte Beethoven der Verlust seines Gehörs zu schaffen. Mit 31 Jahren schrieb er seinem Freund, dem Arzt Franz Gerhard Wegeler: „Der neidische Dämon hat meiner Gesundheit einen schlimmen Streich gespielt, nämlich mein Gehör ist seit drei Jahren immer schwächer geworden. (..) Nur meine Ohren, die sausen und brausen Tag und Nacht fort. (..) Ich bringe mein Leben elend zu.“ Er meide alle Gesellschaften, weil es ihm nicht möglich sei, den Leuten zu sagen, er sei taub: „Hätte ich irgendein anderes Fach so ging's noch eher, aber in meinem Fach ist es ein schrecklicher Zustand.“
Mit 48 Jahren war Beethoven taub, er komponierte trotzdem weiter. Der Gehörverlust machte ihn zu einem bisweilen wütenden Sonderling, der er wohl gar nicht war. Beethoven wünschte sich, dass nach seinem Tod aufgeklärt würde, an welcher Krankheit er eigentlich gelitten habe: „Damit wenigstens soviel als möglich die Welt nach meinem Tod mit mir versöhnt werde.“
Als Beethoven mit 56 Jahren starb, war er schwerkrank. Der Obduktionsbericht vom 27. März 1827 beschreibt Schäden an verschiedenen Organen, einen abgezehrten Körper mit aufgetriebenem Unterleib. Besonders betroffen waren wohl die Leber („auf die Hälfte ihrer Größe zusammengeschrumpft“), die Milz („schwarzgefärbt, derb“) und die Bauchspeicheldrüse („größer und fester“). Die genaue Todesursache war bisher unklar, vermutlich starb er an den Folgen einer Leberzirrhose, was die aktuelle Genomanalyse unterstützt.
Analyse der Haarlocken mit moderner Sequenziertechnik
In der Vergangenheit nutzten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen verschiedene Quellen, um Beethovens Krankengeschichte zu verstehen. Man analysierte seine eigenen Briefe und Aufzeichnungen und untersuchte Knochen- und Haarproben auf Gifte hin. Dabei wurde gelegentlich der Verdacht ausgesprochen, Beethovens Schwerhörigkeit resultierte aus einer Bleivergiftung.
Für die jetzt publizierte Analyse kamen acht Haarproben ins Labor, die alle vom Kopf des Komponisten stammen sollten. Eine der Proben ließ sich wegen schlechter Qualität nicht analysieren. Fünf der Locken stammen von ein und demselben Mann – mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit von Beethoven. Er soll eine dieser Locken seinem Schüler Anton Halm nebst Gattin persönlich als Zeichen der Freundschaft überreicht und dabei ausgesprochen haben: „Das ist mein Haar!“.
Künftige Untersuchungen auf Schwermetalle müssen mit sicherem Beethoven-Material durchgeführt werden
Eine andere – die berühmte „Hiller-Locke“ – stammt, wie die aktuelle Untersuchung zeigt, sicher nicht von Beethoven, sondern von einer Frau. Der Musiker Ferdinand Hiller kann sie also nicht, wie er behauptete, vom Schopfe des Leichnams abgeschnitten haben. Schwermetall-Analysen, für die man in der Vergangenheit ausschließlich die Hiller-Locke verwendet hatte – und tatsächlich Blei fand – sind also nicht auf Beethoven beziehbar. Künftige Untersuchungen auf Blei, Opiate und Quecksilber müssten mit sicherem Beethoven-Material durchgeführt werden.
Das Team sequenzierte schließlich das komplette Genom Beethovens anhand der „Stumpff-Locke“, weil diese von allen Proben am besten erhalten war. Dennoch eine Herausforderung, denn aufgrund des Alters der Probe war die DNA stark degeneriert und in kürzere Abschnitte zerbrochen. Die Forschenden prüften das Erbgut auf mögliche genetische Ursachen und Risiken für Erkrankungen, machten Abstammungsanalysen und suchten mit Hilfe eines so genannten metagenomischen Screenings nach Hinweisen für eine Infektion.
Überraschende Verwandtschaftsverhältnisse
Beethovens DNA unterscheidet sich auffällig vom Erbgut heute lebender Nachfahren der Familie, die von Beethovens Bruder, Kaspar-Anton-Karl abstammen. Der Komponist selber hatte keine Kinder.
Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen kombinierten DNA-Daten mit Archivdokumenten und stellten einen „Unterschied zwischen Ludwig van Beethovens rechtlicher und biologischer Ahnenfolge fest“, sagt der GenealogeMaarten Larmuseau von der Katholische Universität Leuven. Vermutlich gab es in der direkten väterlichen Linie vor Ludwig van Beethoven einen Seitensprung. In welcher Generation er stattfand, ist unbekannt. Aber womöglich war „Beethoven gar kein Beethoven“ wie die FAZ titelt. Müssen die Geschichtsbücher neu geschrieben werden? Auszuschließen ist es nicht, dass Ludwig selbst ein uneheliches Kind war.
Keine genetischen Risikofaktoren für Schwerhörigkeit
Beethoven besaß ein erblich erhöhtes Risiko für Lebererkrankungen. Die Forschenden fanden aber keine bekannten genetischen Ursachen für den Hörverlust und die Magen-Darm-Probleme, unter denen Beethoven litt. Der Künstler hatte vermutlich keine entzündliche Darmkrankheit (Morbus Crohn), keine Zöliakie und keine Schwierigkeiten beim Verdau von Milchzucker, er war laktosetolerant.
„Obwohl keine eindeutige genetische Ursache für Beethovens Schwerhörigkeit identifiziert werden konnte, kann man eine solche auch nicht völlig ausschließen“, sagt Axel Schmidt vom Institut für Humangenetik des Universitätsklinikums Bonn. Die Ursachen vieler Erkrankungen sind trotz großer medizinischer Fortschritte auch heute noch nicht verstanden. Gerade, wenn es sich dabei um ein Leiden handelt, das nicht durch ein einziges verändertes Gen allein, sondern durch eine Gemengelage aus genetischen und Umweltfaktoren verursacht wird.
Hinweise auf eine Hepatitis-B-Infektion
Das Hepatitis-B-Virus (HBV) kann eine chronische Infektion der Leber auslösen. Es zirkuliert in Körperflüssigkeiten, vor allem Blut, aber auch in Speichel, Samen- oder Vaginalflüssigkeit und Muttermilch. Übertragen wird es meistens beim Sex, sowie bei der Geburt oder bei medizinischen Eingriffen. Eine HBV-Infektion kann Leberkrebs oder eine Zirrhose verursachen.
Bei der Untersuchung der „Stumpff-Locke“ fanden die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen Erbgut-Fragmente von HBV. Wie Beethoven sich mit dem Virus ansteckte oder wie lange er schon mit der Infektion zu tun hatte, klärt die Studie nicht. „Wir können nicht mit Sicherheit sagen, woran Beethoven gestorben ist“, sagt Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, der an der Studie beteiligt war. Man gehe aber davon aus, dass der Leberschaden den Ausschlag gab – was aus drei Gründen plausibel erscheint: erstens wegen des erblichen Risikos für eine Leberzirrhose, zweitens wegen der HBV-Infektion und drittens des Alkoholkonsums wegen. Angeblich soll Beethoven täglich zum Mittagessen einen Liter Wein getrunken haben.
Wissenschaftlich ist das Kapitel Beethoven noch lange nicht abgeschlossen. „Die DNA-Sequenz wird veröffentlicht und es wird sicherlich Arbeitsgruppen geben, die in Zukunft noch einmal einen anderen Blick auf die Daten werfen“, sagt der Humangenetiker Markus Nöthen von der Uniklinik Bonn im Deutschlandfunk. Beethoven selbst sollte es recht sein, er hat sich schließlich ausdrücklich gewünscht, dass die Öffentlichkeit einmal erführe, welche Krankheiten ihm zusetzten.