Merkur im Rampenlicht

Mit BepiColombo ist die dritte Raumsonde der Geschichte zum Merkur gestartet. Der innerste Planet wirkt längst nicht mehr so langweilig wie bei den ersten Vorbeiflügen.

vom Recherche-Kollektiv Die Weltraumreporter:
7 Minuten
Foto von Merkur im All

Wer Merkur sehen will, muss genau hinsehen: Beinahe scheu schiebt sich der Planet wenige Minuten lang über den Horizont, bevor die aufgehende Sonne das winzige Pünktchen hoffnungslos überstrahlt. Wahlweise verbleibt Merkur nach Sonnenuntergang wenige Minuten am Abendhimmel, bevor auch er untergeht. Das Schicksal, sich immer knapp neben dem Rampenlicht aufzuhalten, trägt der seit der Antike bekannte Planet bis heute. Noch 1997 bezeichnete ihn das Magazin Scientific American als “vergessenen Planeten”. Wenn am Samstag mit BepiColombo die dritte Raumsonde überhaupt zu ihm aufbricht (Anm. d. Red: planmäßig gestartet am 20.10.2018), dürfte der Planet dem Rampenlicht der Wissenschaft etwas näher kommen – jedenfalls wenn die Sonde nach ihrer siebenjährigen Reise ihr Ziel erreicht haben wird.

BepiColombo ist ein Wagnis: Nie zuvor haben europäische oder japanische Ingenieure eine Raumsonde für die extremen Bedingungen am Merkur gebaut. Zehnmal intensiver als in Erdnähe brennt die Sonne dort. Zudem muss BepiColombo von der Erde kommend auf dem Weg ins Innere des Sonnensystems stark abgebremst werden, um einen stabilen Orbit bei Merkur erreichen zu können. Dieser Flug kostet daher mehr Energie als eine Reise zu Pluto. BepiColombo wird deshalb vielfach spezielle Abbremsmanöver, so genannten Flybys, fliegen, einmal an der Erde, zweimal an der Venus und schließlich noch sechsmal mal am Merkur selbst, bis die Sonde schließlich am 5. Dezember 2025 in seine Umlaufbahn eintreten soll. Wenige Wochen zuvor soll sich der “Mio” getaufte japanische Magnetospheric Orbiter vom europäischen Planetary Orbiter trennen; beide Sonden werden Merkur auf sehr unterschiedlichen Bahnen umkreisen.

Planetenforscher warten schon jetzt ungeduldig, denn der Merkur geriet in den letzten Jahren ihrem heimlichen Liebling: Sie wollen hier etwas über die Entstehung der Planeten erfahren, neuerdings gar über mögliches Leben auf exotischen Exoplaneten, die ihre vielfach leuchtschwächeren Sterne ähnlich nah umkreisen wie der Merkur die Sonne.

Vulkane, Krater, Löcher

Der erste Besuch einer Raumsonde deutete zunächst auf einen langweiligen Planeten hin: 1974 flog die NASA-Mission Mariner 10 erstmals an Merkur vorbei. Die Forscher erblickten eine nackte Oberfläche, gezeichnet von Meteoritenkratern und Vulkanen, doch scheinbar seit vier Jahrmilliarden unverändert, kurz: Merkur erschien als geologisch tote Welt wie der Erdmond. Lediglich das von Mariner 10 nachgewiesene Magnetfeld ließ aufhorchen: Dessen Stärke liegt immerhin bei einem Hundertstel des Erdmagnetfelds, was allerdings einem so kleinen Planeten nicht gebührt und das man auf den viel größeren Körpern Mars und Venus vergeblich sucht. Doch der Fund reichte nicht, dem Merkur in den folgenden drei Jahrzehnten mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Der Planet geriet aus dem Blickfeld.

Erst 2004 startete die NASA-Sonde Messenger gen Merkur, die anders als Mariner 10 nicht nur vorbeiflog, sondern 2011 in einen Orbit einschwenkte. Was diese Raumsonde in den folgenden vier Jahren entdeckte, brachte das Bild des geologisch toten und langweiligen Planeten ins Wanken: Während Mariner 10 nicht einmal die Hälfte der Oberfläche fotografieren konnte, offenbarte die neue NASA-Sonde eine zweigeteilte Welt. Der Norden Merkurs ist seit Merkurs Entstehung vor 4,5 Milliarden Jahren stark kraterzerfurcht; der Süden muss dagegen von Vulkanen rund 700 Millionen Jahre später umgestaltet worden sein.

2014 fanden britische Forscher mit Messengers Kamera eine Überraschung: In hochaufgelösten Bildern der nördlichen Hemisphäre untersuchten sie schon vorher bekannte helle Flecken, die aber nie zuvor so detailliert abgelichtet worden waren. Nun zeigte sich, dass die Flecken eigentlich Löcher in Merkurs Oberfläche sind, in der Fachwelt als Hollows bezeichnet. Da sie überwiegend in Einschlagskratern und fast nie in Vulkangestein auftreten – und gleichzeitig wiederum viele der Krater überlagern, halten einige Forscher sie für ein eher junges Phänomen. Da Merkur sich sehr langsam um seine Achse dreht – nur einmal alle 59 Erdtage – bleibt die Oberfläche sehr lange dem intensiven Sonnenlicht ausgesetzt . Dadurch können eventuell schwefelhaltige Minerialien unter der Oberfläche verdampfen und als Gas hervorbrechen. Diese Hypothese dürfte BepiColombo überprüfen können. Denn wären die Merkurlöcher wirklich ein geologisch junges Phänomen, könnten sie sich seit dem Ende von Messengers Mission 2015 gewandelt haben: “Wenn sich da etwas verändert hat, wäre das natürlich eine kleine Sensation”, sagt der Missionswissenschaftler von BepiColombo, Johannes Benkhoff. “Denn das würde heißen, dass es heutzutage noch geologische Aktivität auf Merkur gibt.”

Hollows, also Löcher in Merkurs Oberfläche
Löcher - in Fachsprache Hollows - sind hell verfärbte Senken in Merkurs Oberfläche, deren Natur Forscher noch nicht völlig verstanden haben.

Tauchen durch das Magnetfeld

Neben Löchern im Norden und erkalteten Lavafeldern im Süden fanden Forscher weitere Besonderheiten auf Merkur, die sie bisher kaum zu deuten wissen: Der Durchmesser von Merkur ist seit seiner Entstehung um mindestens fünf Kilometer geschrumpft, was sich vermutlich durch Prozesse in seiner langen Geschichte erklären lassen sollte. Merkurs Oberfläche selbst ist dazu recht dunkel und besitzt vermutlich einen ungewöhnlich hohen Anteil organischer Verbindungen. An den Polen wies Messenger dazu größere Mengen Wassereis nach, das dort in ständig beschatteten Kratern von der Strahlungswärme der Sonne geschützt ist und dessen Ursprung bislang nicht völlig geklärt ist.

All diese geologischen Befunde haben verschiedene Ursachen, die teilweise mit der nahen Sonne zusammenhängen, mit Merkurs Magnetfeld oder wahlweise mit Prozessen tief unter der Oberfläche . Die US-Planetologen Catherine Johnson und Steven Hauck schreiben in einer Studie über die Ergebnisse des Vorgängers Messenger: Erst wenn Forscher das Merkurinnere inklusive des Vulkanismus verstanden hätten, könnten sie den Planeten als Ganzes verstehen.

Gerade der planetare Aufbau bereitet den Wissenschaftlern aber noch großes Kopfzerbrechen. Merkurs Kern macht mehr als 80 Prozent des Planetenradius aus – verglichen mit 55 Prozent bei der Erde. Dieser Kern dürfte teilweise flüssig sein – anders ist das Magnetfeld des Merkurs nicht zu erklären. Streng genommen aber müsste der Planet in seinem Inneren längst erkaltet sein: Denn seit seiner Entstehung müsste er einen Großteil seiner Wärmeenergie ins All abgestrahlt haben und sein Kern müsste wie der unseres Mondes erstarrt sein. Messengers Magnetometer bestätigte allerdings frühere Indizien dafür, dass Merkur ein echtes Dipolmagnetfeld besitzt, das neben den Gasriesen Jupiter und Saturn sonst nur die Erde besitzt. Und in der Erde entsteht dieses Feld durch den sogenannten Geodynamo – den inneren festen Erdkern, der sich im äußeren flüssigen Kern dreht.

Aus Messengers Daten konnten Planetologen bislang schon einige Besonderheiten ableiten, die aber das theoretische Verständnis des Merkurinneren bislang kaum voran gebracht haben: Das Dipolfeld ist anders als das Erdmagnetfeld nahezu perfekt parallel zu Merkurs Rotationsachse ausgerichtet, dafür aber in der nördlichen Hemisphäre deutlich stärker als im Süden, was unter den Planeten einmalig ist.

Wie genau Merkurs Magnetfeld entsteht, kann auch mit Messengers Daten bis heute kein Modell nachstellen. Immerhin wird BepiColombo dieses Rätsel deutlich besser untersuchen können als die NASA-Missionen davor: Der Magnetospheric Orbiter “Mio” wird Merkur auf einem elliptischen Orbit umkreisen und dabei das stark vom Sonnenwind verzerrte Magnetfeld durchstreifen, während der Planetary Orbiter auf einer annähernden Kreisbahn neben Merkurs Oberfläche auch das bodennahe Magnetfeld erfassen wird.

Ein Modell für Exoplaneten

Die Planetologen wissen bereits, dass der Sonnenwind Merkurs Magnetosphäre sehr zu schaffen macht: Das planetare Magnetfeld wird massiv verformt und kann den Strom geladener Teilchen in der dünnen Atmosphäre innerhalb von Minuten stark verändern, was bei der Erde im Bereich von Stunden deutlich gemächlicher abläuft. Dazu deuten die Ergebnisse von Messenger darauf hin, dass es Merkurs Magnetfeld nicht immer gelingt, dem Sonnenwind zu widerstehen. Bei ausgewachsenen solaren Teilchenstürmen kann sich das Feld derart stark verformen, dass der Sonnenwind zeitweise sogar den Boden erreicht.

Vor allem die Dynamik in Merkurs Magnetosphäre ist es, die Forscher gespannt auf BepiColombo mit seinem Fokus auf magnetische Effekte blicken lässt. Dazu ist der innerste Planet in den letzten Jahren verstärkt zum Modellplaneten avanciert: Astronomen fanden um ferne Sonnen immer mehr Planeten, deren Eigenschaften sich mit heutiger Teleskoptechnik kaum ergründen lässt. Viele dieser Exoplaneten umkreisen ihren Stern so nah wie der Merkur die Sonne – oder sogar näher. Gerade leuchtschwache Zwergsterne könnten in so einem Abstand für annehmbare Temperaturen sorgen, die auf diesen fernen Welten flüssige Ozeane ermöglichen würden – wenn nicht auch noch der Sonnenwind stören würde, der möglichem Leben gefährlich werden könnte.

Spätestens mit BepiColombos Ankunft dürfte der Merkur somit im Rampenlicht planetologischer Forschung angekommen sein. Johannes Benkhoff, der nun seit 15 Jahren an BepiColombo arbeitet, wurde in der Anfangszeit von seinen Kollegen kaum um die Raumsonde zu einem wissenschaftlich vermeintlich mäßig interessanten Ziel beneidet: “Aber nachdem die Amerikaner durch Messenger viele neue und interessante Fragen aufgeworfen haben, ist Merkur in der Tat ein spannender Planet geworden.”

Eine frühere Fassung verwendete eine falsche Tageszeit für den Merkur (176 statt der korrekten 59 Tage). Zudem macht der Merkurkern 80 Prozent des Radius von Merkur aus, nicht wie zunächst geschrieben, 80 Prozent seines Volumens.

Eine ähnliche Fassung dieses Textes erschien am 17. Oktober 2018 auf Spektrum.de.


Sie haben Feedback? Schreiben Sie uns an info@riffreporter.de!
VGWort Pixel