Ernährung und Klimaschutz: „Es braucht keine Kuh, um Milch zu produzieren“

Weltweit ist die Herstellung von Nahrungsmitteln für etwa ein Drittel der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Eine Studie aus Helsinki untersucht, wie sich andere Ernährungsweisen auf die Klimakrise auswirken. Milch, Ei und Fleisch aus der Biotechnologie könnten eine Alternative sein.

vom Recherche-Kollektiv die ZukunftsReporter:
4 Minuten
Firmenchef Ryan Pandya und Mitgründer Perumal Gandhi (r.) posieren hinter den Produkt ihrer Firma Perfect Day. Kuchen,  Eis, Milch, Joghurt und Käse aus Kuhmilch, die von Hefe produziert wurde.

Ryan Pandya ist ein ungewöhnlicher Mensch. Der überzeugte Veganer ärgerte sich Ende der 2000er Jahre über den faden Geschmack der Ersatzprodukte für Milch und Käse aus Kuhmilch. Als Biotechnologe wollte er sich damit nicht zufriedengeben. Seine Idee klingt verrückt: Es braucht keine Kuh, um Milch zu produzieren, Milchproteine können auch von gentechnisch veränderten Bakterien oder Hefen erzeugt werden. Die Milch aus Pandyas neuer Welt stammt aus großen Metallkesseln oder Glasbehältern, den sogenannten Fermentern. Die Produkte haben viele Vorteile: Die Herstellung kommt ohne Massentierhaltung und Antibiotika aus, alle Erzeugnisse sind lactosefrei. Noch wichtiger sei für ihn der ökologische Aspekt, erklärt Pandya. Mit seiner Milch ließen sich im Vergleich zur Massentierhaltung 98 Prozent des Wasserverbrauchs und 91 Prozent der Landfläche für Futter einsparen, hat der Firmengründer berechnet.

Auch das Forscherteam um Rachel Mazac von der Universität Helsinki bewertet neuartige Lebensmittel als Chance im Kampf gegen den Klimawandel. Es hat die Auswirkungen verschiedener Ernährungsweisen auf den Klimawandel, die Landnutzung und den Wasserbrauch mit Hilfe von drei Modellen berechnet. Das Ergebnis: Würden sich Menschen in Europa anders ernähren, könnten sie die negativen Folgen herkömmlicher Nahrungsmittelproduktion für die Umwelt um 80 Prozent verringern. Die Finnen haben verschiedene Vorschläge für eine klima-optimierte Ernährung entwickelt: Omnivor, vegan, und eine Ernährung mit neuartigen Lebensmitteln.

Gemeinsam haben alle Modelle für eine klimafreundliche Speisekarte: sie enthalten nur geringe Mengen an tierischen Produkten, weniger stärkehaltige Wurzeln wie Kartoffeln, dafür aber mehr Hülsenfrüchte, Nüsse und Gemüse. In Mazacs Studie schneiden aber auch neue, in Europa bisher wenig verzehrte Nahrungsmittel gut ab: Insekten, Milch aus Zellkulturen und mikrobielles Protein sollen auf den Speiseplan. Wer die neuartigen Lebensmittel einbezieht, kann komplett darauf verzichten, tierische Produkte zu verzehren, deckt aber alle essenziellen Nährstoffe mit ab, sagt Mazac.

Schokolade und Eis mit Milch aus dem Labor

Ryan Pandya hat mit seiner Firma „perfect day“ nach zehn Jahren Entwicklung in den USA die ersten Produkte auf den Markt gebracht. Der Vertrieb läuft derzeit kaum über die Lebensmittelketten, aber Verbraucher in den USA können den Geschmack der Milch aus dem Fermenter schon probieren: Als Schokolade, Eiscreme, Joghurt, Gebäck, Käse und auch als Milch. Eine Zulassung in Europa haben die Kalifornier bisher nicht beantragt.

Nicht nur Kühe, auch Hühner müssen sich der neuen Konkurrenz durch Biotechnologie stellen. „Every“, gegründet als „Clara Foods“, arbeitet an künstlichem Eiweiß als Ersatz für Hühnereier. Das Naturprodukt Ei hat für die Lebensmittelindustrie viele Nachteile. Es muss mühevoll aufbereitet werden. Dotter und Schale landen häufig im Müll, weil für die Produktion oft nur das Eiweiß interessant ist. Für ein Kilo Trockeneiweiß werden etwa 270 Eier benötigt. Das tierfreie Eiweiß kann nach Angaben des Herstellers für Nudeln, Gebäck, Müsliriegel und in Saucen eingesetzt werden.

Fad schmeckende Insekten mit Chili anbraten

Insektenmehl als Alternative ist schon weiter verbreitet. Es wird bereits in Brot, Chips oder Nudeln eingesetzt. Die Burgerkette „Hans im Glück“ hat den Insektenburger „Übermorgen“ auf der Karte. Ein Viertel des Bratlings besteht aus feingemahlenem Buffalo-Wurm, der Rest aus vegetarischen Zutaten wie Sojabohnen, Eiern und Gewürzen. Durchsetzen konnten sich die Insekten bisher aber allenfalls bei Sportlern, die den hohen Proteingehalt von 60 Prozent schätzen. Insektenzüchter berichten, dass die Experimentierfreude in Deutschland wachse. Verzehrfertige getrocknete Mehlwürmer, Wanderheuschrecken und Heimchen, auch als Hausgrillen bekannt, werden in Ein-Kilo-Paketen angeboten. Wem das Naturprodukt als Snack oder Salatbestandteil trotz seines nussigen Geschmacks zu fad ist, der kann die Insekten kurz in der Pfanne anrösten und mit Zitronenpfeffer, Chili, Knoblauch oder Zimt und Zucker verfeinern.

Zelluläre Landwirtschaft benötigt Energie

Ob die Bürgerïnnen wegen der Klimakrise ihren Speiseplan verändern werden, bleibt offen. „Zunächst bestätigt die Studie, dass ein Großteil der Umweltauswirkungen des gesamten Ernährungssystems durch den Konsum von Fleisch verursacht wird“, sagt Florian Humpenöder vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Bei der Bewertung der Umweltauswirkungen gebe es aber große Unsicherheiten. Ein wesentlicher Faktor sei der Energieverbrauch. Statt Tiere zu füttern, die dann Milch und Fleisch liefern, werde in der zellulären Landwirtschaft mehr Energie im Produktionsprozess benötigt, beispielsweise um Bioreaktoren zu heizen, sagt Humpenöder. „Die Treibhausgasemissionen neuartiger Lebensmittel hängen somit wesentlich von der Verfügbarkeit kohlenstoffarmer Energiequellen ab.“

Franziska Gaupp bezweifelt, dass sich die Auswirkungen der Milch aus dem Fermenter auf das Klima schon einschätzen lassen. „Da sich viele neuartige Lebensmittel wie kultiviertes Fleisch noch in der Entwicklung befinden und noch nicht industriell hergestellt werden, bleibt die Studie und ihre Annahmen in manchen Fällen sehr hypothetisch“, sagt die Direktorin der Food Systems Economics Commission, EAT Forum, in Oslo. Sie vermutet zudem, dass der kulturelle Aspekt des Fleischkonsums den kompletten Ersatz durch andere Produkte unrealistisch mache. Auch Martin Qaim, Professor für Agrarökonomie an der Uni Bonn ist vorsichtig: „Die Ergebnisse zeigen, was theoretisch möglich sein könnte und nicht, was realistischerweise zeitnah zu erwarten ist.“

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