Buchtipp: Licht im Dunkeln. Schwarze Löcher, das Universum und wir
Sie beflügeln die Fantasie, sind faszinierend, aber wirklich verstehen tun wir sie noch nicht wirklich: Schwarze Löcher. Das erste Bild eines Schwarzen Lochs wurde 2019 veröffentlicht. In seinem 2020 veröffentlichten Buch „Licht im Dunkeln“ erzählt Heino Falcke (mit Jörg Römer), wie es dazu kam. Ende 2021 kam die illustrierte Fassung auf den Markt.
Wie kann man etwas absolut Dunkles, das keinerlei Licht aussendet, ja dieses gar selbst verschluckt, vor dem Schwarz des Weltalls überhaupt erkennen? Und wie soll man das auch noch fotografieren können? Am 10. April 2019 veröffentlichte die internationale Kollaboration des Event Horizon Telescope das erste Bild eines Schwarzen Lochs. Federführend dabei war der Rheinländer Heino Falcke. Innerhalb von wenigen Stunden haben vier Milliarden Menschen das Bild von M87 gesehen – das ist mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung!
Es geht nicht nur um Schwarze Löcher
„Licht im Dunkeln“ Ist ein Sachbuch, das nicht nur wegen der Faszination eines Schwarzen Lochs überzeugt. Falcke ist es gelungen, die Einfachheit in ihrer schönsten Form zu beschreiben – und dies mit vielen erleuchtenden Aha-Momente in einem Buch zu vereinen.
Das besagte Schwarzen Loch mit der Bezeichnung M 87* befindet sich etwa 55 Millionen Lichtjahre entfernt von der Milchstraße. Und zwar im Kern der elliptischen Riesengalaxie Messier 87 nahe dem Zentrum des Virgo-Galaxienhaufens. Mit geschätzten 6 Milliarden Sonnenmassen ist M 87* rund tausendmal so massereich, wie das Schwarze Loch im Herzen unserer Heimatgalaxie. Über die große Entfernung erscheinen seine Umrisse unter einem Durchmesser von 42 Mikrobogensekunden misst.
In seinem Buch berichtet Falcke über den langen Weg zur ersten Aufnahme von M87*, aber auch über die aufregende Zeit der Veröffentlichung und darüber, was danach geschah. Auch die Grundlagen von Schwarzen Löchern, von einem Quasar (dem aktiven Kern einer Galaxie) und der Ablauf des Urknalls bis hin zu Dunkler Materie und Supernovae (helle Explosion am Lebensende eines Sterns) werden in „Licht im Dunkeln“ behandelt. Außerdem geht es um die berühmte Formel von Albert Einstein, man erfährt, warum es so schwer ist, ein Schwarzes Loch zu fotografieren und warum das erste Bild eines Schwarzen Loches gar kein Schwarzes Loch zeigt.
Ein fesselndes Werk, das man einfach nur verschlingen kann
Es gibt viele Bücher. Einige sind schlecht, einige sind gut und es gibt Bücher, die einen fesseln. Letzteres ist bei einem Sachbuch gar nicht so einfach. Dennoch schafft es der Autor, indem er die Geschichte des Fotos mit der Erforschung des Universums und mit seiner eigenen persönlichen Geschichte verbindet.
Als Kind hegte Falcke übrigens eine große Begeisterung für die Arbeit der Müllabfuhr, die mit nur einem Knopfdruck die großen Tonnen bewegte. Sein Wunsch, später einmal große Maschinen zu bedienen, ging mit der Steuerung der Teleskope, die das Schwarze Loch beobachtet haben, in Erfüllung.
Neben seiner Kindheit erzählt er auch von einer Beinahe-Entführung seiner Kolleginnen und Kollegen und beschreibt, welche Spuren die lange Reise zum ersten Bild beim Autor hinterlassen haben. Nach der Veröffentlichung merkte er, wie ihm der ganze Stress aufs Herz schlug und er einen Schritt langsamer machen musste. An anderen Stellen zeigt er demütige Dankbarkeit gegenüber allen Bürgerinnen und Bürgern, die letztendlich mit ihren Steuern, aber auch durch ihre Arbeit fürs Gemeinwohl – seien es Techniker, Raumpflegekräfte oder Bäcker – dieses Foto erst ermöglicht haben.
Ein Astrophysiker und ein Journalist schreiben gemeinsam über M87
Doch wer ist Heino Falcke eigentlich? Ein hochdekorierter Astrophysiker, der 1966 in Köln geboren wurde. Zu dieser Stadt nimmt er in diesem Sachbuch auch immer wieder Bezug – was mir als gebürtiger Rheinländer beim Lesen natürlich besonders ins Auge gesprungen ist. Studiert hat Falcke ebenfalls in Köln sowie im benachbarten Bonn.
Heute ist er Professor an der Radboud-Universität im holländischen Nijmegen. In den Niederlanden wurde ihm auch der Spinoza Preis verliehen – die höchste wissenschaftliche Auszeichnung der Niederlande, die höher dotiert ist als der schwedische Nobelpreis. Dieses Geld wurde quasi vom gefräßigen Schwarzen Loch verschluckt.
Beim Verfassen dieses Buches hat der Spiegel-Redakteur Jörg Römer den Astrophysiker unterstützt. Römer wurde 1974 geboren und studierte in Hamburg Mesoamerikanistik, Lateinamerikastudien sowie Vor- und Frühgeschichte. Wenn er mal nicht als freier Journalist arbeitet, ist er als freiberuflicher Altenpfleger im Einsatz.
Die Einfachheit in ihrer schönsten Form
Warum ist das Buch so toll? Falcke und Römer haben es geschafft, ein Buch zu schreiben, dass die komplexesten Dinge in unserem Universum so beschreibt, als wären sie das Alltäglichste der Welt. Man bekommt das Gefühl, als würden zwei wildfremde Menschen auf der Straße einfach über Einsteins Theorien sprechen oder über Quantenphysik diskutieren – und nicht über das Wetter oder andere Smalltalk-Themen reden.
Komplizierte Formulierungen sucht man hier vergebens, wodurch dieses Buch für jedermann verständlich wird. Während man dieses Buch liest, ertappt man sich dabei, sich selbst Fragen zu stellen. Und als hätte das Buch diese gehört, beantwortet es genau jene nach ein paar Seiten selbst. Die „Illustrierte Ausgabe“ enthält darüber hinaus über 240 farbige und sehr anschauliche Abbildungen und verbessert damit nochmals die erste Hardcover-Fassung von 2020.
Sie ist visuell extrem ansprechend. Man will das Buch in die Hand nehmen, es durchblättern und von irgendeinem Bild eingefangen werden. Dabei sieht man mehr als nur Schwarze Löcher. Es sind Illustrationen von Newton, Leibniz, Einstein, fernen Galaxien, unserem Sonnensystem, den alten Ägyptern, beeindruckenden Teleskopen in Wüsten und im Schnee der Alpen und vielem mehr. Ein rundum gelungenes Werk.
Und vor allem ist, wer dieses Buch gelesen hat, hinterher definitiv um einiges schlauer. Sehr interessant fand ich zum Beispiel, dass dieser rötlich-orange-gelb leuchtende Feuerkreis um das Schwarze Loch eigentlich gar nicht diese Farbe hat. Falcke musste das Bild nachträglich einfärben und hat sich für genau diese Farbpalette entschieden.
Übrigens: Das Schwarze Loch in der Mitte der Milchstraße aufzunehmen, ist um einiges schwieriger. Denn der galaktische Staub zwischen uns (wir befinden uns am äußeren Rand unserer Milchstraße) liegen wie ein nebliger Schleier im Dickicht zwischen uns und Sagittarius A*. Seit dem 12. Mai 2022 ist klar: Auch hier konnte die Kollaboration des Event Horizon Telescopes Licht ins Dunkel bringen.