„Drei Kontakte zum Virus erzeugen einen guten Schutz, auch vor Omikron“

Ein Gespräch mit der Münchner Virologin Ulrike Protzer über effektive Antikörper gegen Coronavirus-Varianten, eine unverständliche Festlegung des RKI zur Covid-19-Impfung und die Lockerungen in Dänemark.

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Frau Prof. Dr.med. Ulrike Protzer, Institut für Virologie der Technischen Universitaet Muenchen (TUM) steht mit weißem Kittel und FFP-2-Maske zusammen mit einer Kollegin, die von hinten zu sehen ist, im Labor.

Ulrike Protzer leitet das Institut für Virologie der Technischen Universität München und bei Helmholtz Munich und hat ermutigende Neuigkeiten: Unser Immunsystem stellt nach insgesamt drei Begegnungen mit dem Spike-Protein von Sars-CoV-2 wertvolle Antikörper her, die auch besorgniserregende Varianten wie Omikron erfolgreich neutralisieren.

Frau Protzer, Sie haben gerade zusammen mit anderen KollegInnen aus München, Erlangen und Würzburg eine Studie im Fachmagazin „Nature Medicine“ veröffentlicht, die feststellt: Das Immunsystem muss das Spike-Protein des Coronavirus dreimal gesehen, also dreimal Kontakt zu ihm gehabt haben, um eine hochwertige Immunantwort dagegen aufzubauen. Was heißt hochwertig?

Hochwertig heißt, dass die Antikörper ihre Zielstruktur auf dem Virus sehr stark binden, sodass sich das Virus aus dieser Umklammerung nicht so leicht befreien kann. Bei einem Immunschutz kommt es nicht nur auf die Menge der Antikörper gegen das Coronavirus an, die man im Blut hat, sondern auch auf ihre Qualität. Antikörper, die das Virus nur leicht binden, können auch schnell wieder abfallen und blockieren das Virus nicht wirklich. Wenn dagegen bindungsstarke Antikörper vorhanden sind, muss der Spiegel gar nicht so hoch sein, um das Virus erfolgreich auszuschalten. In unserer aktuellen Studie, bei der wir die Immunität von Geimpften und Genesenen zwei Jahre lang beobachtet haben, kann man recht gut erkennen, dass die Bindungsstärke der Antikörper mit der Zeit zunimmt. Auch wenn der Antikörper-Titer, also die reine Menge an Abwehrmolekülen, sinkt.

Binden diese hochwertigen Antikörper auch die Omikron-Variante?

Ja, diese Antikörper können auch die Omikron-Variante neutralisieren. Sie lagern sich fest an die Spike-Moleküle des Virus, ohne dass die leicht veränderte Struktur das verhindern könnte. Anders sieht es bei den Antikörpern aus, die ohnehin nur sehr schwach gebunden haben. Sie lösen sich leicht von der Variante oder erkennen sie erst gar nicht.

Sie schreiben, das Immunsystem brauche Zeit und eben diesen dreimaligen Kontakt, um diese hochwertigen Antikörper herzustellen. Was bedeutet das für unsere Impfpraxis?

Der dreimalige Kontakt, kann durch dreimaliges Impfen oder eine Infektion vor oder nach dem zweimaligen Impfen zustande kommen. Dass das Immunsystem Zeit braucht, bedeutet, dass vor allem zwischen dem zweiten und dritten Kontakt eine gewisse Spanne liegen muss. Infiziert sich beispielsweise jemand noch bevor er seine zweite Impfung erhalten hat, macht es keinen Sinn, schon vier Wochen nach der Genesung die zweite Impfung zu geben – die ja dann quasi der dritte Kontakt zum Virus ist. In einem so kurzen Abstand verbessert sich die Antikörper-Qualität also die Bindungsstärke nicht. Der dritte Kontakt, auch die dritte Impfung, wenn es keine Infektion gab, sollte im Idealfall in einem zeitlichen Abstand von vier oder mehr Monaten nach dem zweiten Kontakt erfolgen.

Das dreimalige Impfen ist ein bewährtes Prinzip der Immunisierung. Die erste Auseinandersetzung weckt die Immunabwehr auf. Der zweite Kontakt signalisiert den Immunzellen, „Da kommt etwas Fremdes wieder, gegen das es sich lohnt, Abwehrkraft zu investieren.“ Die dritte Begegnung schließlich erinnert die Immunabwehr erneut und bringt sie dazu, in hochwertige Abwehrmoleküle zu investieren. Gerade in der Vorbereitung für diesen letzten Schritt, sollte man dem Immunsystem einige Monate Zeit lassen.

Macht ein modifizierter, an die Omikron-Variante angepasster Impfstoff denn überhaupt noch Sinn, wenn durch die dreifache Impfung oder Impfung und Infektion ohnehin Antikörper entstehen, die Omikron ausschalten?

Ich könnte mir vorstellen, dass der angepasste Impfstoff vor allem für die Risikogruppen wichtig werden wird. Menschen, deren Abwehr ohnehin nicht so gut auf die Impfung reagieren kann. Zum Beispiel, weil ihr Immunsystem durch Medikamente oder eine Tumortherapie geschwächt ist.

In der 17. Aktualisierung der Covid-19-Impfempfehlung, die die STIKO am 20. Januar 2022 veröffentlicht hat, erscheint es in der tabellarischen Darstellung fast so, als müsse sich jemand, der sich nach einer zweifachen Impfung infiziert hat, nach drei Monaten noch einmal boostern lassen. Und das RKI schreibt (Stand 26.1.22): „Personen, die nach Covid-19-Impfung (unabhängig von der Anzahl der Impfdosen zur Grundimmunisierung) eine Sars-CoV-2-Infektion durchgemacht haben, sollen im Abstand von mindestens drei Monaten nach Infektion ebenfalls eine Auffrischimpfung erhalten.“ Das wäre ja dann der vierte Kontakt oder verstehe ich das falsch?

Ja, das wäre der vierte Kontakt. Die Darstellung der STIKO ist in diesem Punkt nicht ganz eindeutig. Und ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum das RKI sich da so festlegt. Auf die Frage: „Muss ich mich gleich wieder boostern lassen, wenn ich zweimal geimpft bin und eine Infektion durchgemacht habe?“, gibt es meines Erachtens eine klare Antwort und die lautet: „Nein!“. Drei Kontakte zum Virus, in diesem Falle zweimal geimpft und eine Durchbruchinfektion, erzeugen einen guten Schutz. Es ist bisher nicht klar, ob ein vierter Kontakt einen zusätzlichen Nutzen bringt. Und ein Abstand von drei Monaten ist sehr kurz – es gibt einige ältere Arbeiten zu Gedächtniszellen, die ganz klar gegen einen zu kurzen Abstand zwischen Antigen-Kontakten sprechen. Deshalb sagt die STIKO ja auch mindestens drei Monate.

Ist es da egal, ob ich lediglich einen positiven Sars-CoV-2-Test oder auch Symptome hatte?

Ja. Wenn ich wieder Kontakt habe zum Virus bei einer Durchbruchinfektion, reicht das aus, egal, ob ich Symptome habe oder nicht.

Wird es eine vierte oder fünfte Impfung geben?

Das kann man jetzt noch nicht genau sagen. Ich gehe davon aus, dass es jeweils im Herbst eine Booster-Impfung für die Risikogruppen geben wird. Ob es auch noch einmal eine breite Booster-Kampagne für alle geben wird, weiß ich nicht. Bei den anderen Corona-Erkältungsviren hält die Immunität nicht so lange an. Nach durchschnittlich 18 Monaten kommt es bei diesen harmlosen Viren zu erneuten Ansteckungen und Erkältungen. Bis jetzt wissen wir, dass die dreifache Impfung lange vor schweren Covid-19-Verläufen schützt, wie lange, ist natürlich noch nicht bekannt. Eine sterile Immunität, also einen Schutz vor Ansteckung bekommen wir bei Sars-CoV-2 nicht hin, aber die Immunantwort schützt vor schwerer Krankheit. Das ist ja das, was wir uns von einer Impfung erhofft hatten. Wie lange die Impfung uns vor Long Covid schützt, wissen wir auch nicht nicht.

Dänemark hebt zum 1. Februar 2022 alle Corona-Beschränkungen auf. Was halten Sie davon?

Die Dänen sind uns einen Schritt voraus. Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung sind zweifach geimpft, mehr als 60 Prozent geboostert. Trotz der hohen Infektionszahlen in Dänemark ist das Gesundheitswesen nicht dramatisch überlastet. Die Zahl der Covid-19-PatientInnen auf den Intensivstationen hat sich seit Anfang Januar halbiert. Die Dänen argumentieren, dass damit ein wichtiges Ziel erreicht und man den Menschen jetzt ihre Freiheit wiedergeben müsse. Auch in Deutschland sollten wir uns langsam an diesen Gedanken gewöhnen. Nicht auf die Infektionszahlen, sondern auf die Krankenhauseinweisungen kommt es an. Die Infektionszahlen in Dänemark sind aktuell sogar noch höher als bei uns. Die 7-Tage-Inzidenz liegt dort bei über 5000. Aber der Scheitelpunkt ist überschritten, die Zahlen fallen, wie auch in Frankreich, Großbritannien, Kanada und den USA.

Wie wird es in den nächsten Wochen und Monaten weitergehen?

Bei uns wird es wohl noch zwei bis drei Wochen dauern, bis der Höhepunkt der Omikron-Welle überschritten ist. Ich gehe mal davon aus, dass das die letzte heftige Welle ist, die uns trifft. Aber genau wissen, kann das zurzeit keiner. Die Impfpflicht, so sie denn kommt, kommt für die Omikron-Welle zu spät. Ob wir sie für den nächsten Herbst brauchen, ist noch unklar. Möglicherweise wird es auch ausreichen, die Risikogruppen erneut zu impfen.

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