Infamer Corona-Artikel von „Bild": Im Stil von Fox News gegen die Wissenschaft

Die Springer-Zeitung tritt mit einer üblen Attacke gegen drei verdiente Wissenschaftler den Pressekodex mit Füßen – das sollte Konsequenzen haben. Ein Kommentar

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Drei Forscher werden unter der Überschrift „Die Lockdown-Macher" gezeigt.

„Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse. Jede in der Presse tätige Person wahrt auf dieser Grundlage das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Medien.“

So beginnt der Pressekodex, den der Deutsche Presserat 1973 zum ersten Mal formuliert hat und zu dem sich die meisten großen Medien in Deutschland bekennen – auch der Springer-Verlag mit seinen publizistischen Flaggschiffen „Bild" und „Welt".

Die beiden Sätze formulieren einen hohen Anspruch an jeden, der journalistisch tätig ist. Die im Axel-Springer-Verlag erscheinende „Bild-Zeitung" hat am Samstag diesen Pressekodex auf eine Weise missachtet, die zum Himmel schreit.

Man ist von dieser Zeitung schon einiges an Lügen und Verleumdungen, an Übergriffen ins Privatleben und absurden Thesen gewohnt. Und eigentlich will man den Absurditäten, die das Blatt verbreitet, nicht noch zusätzliche Aufmerksamkeit geben. Aber die Attacke gegen eine Wissenschaftlerin und zwei Wissenschaftler, die als Experten für die Corona-Pandemie in der Öffentlichkeit stehen und der Gesellschaft schon viele Dienste erbracht haben, sprengt nun jedes Maß. Was „Bild“ macht, wird vor dem Hintergrund der Radikalisierung der Szene der Coronaleugner zur Gefahr für die Wissenschaft in Deutschland.

Auf vielen Ebenen falsch

Die „Bild“ zeigte Fotos der Wissenschaftlerin Viola Priesemann, die am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen forscht, von Michael Meyer-Hermann vom Helmholtz-Institut für Infektionsforschung in Braunschweig und von Dirk Brockmann, der einen Lehrstuhl an der Humboldt-Universität hat und am Robert-Koch-Institut eine Arbeitsgruppe über die Dynamik von Infektionskrankheiten leitet. Dazu die Überschrift: Die „Lockdown-Macher“. Im Artikel steht: „Experten-Trio schenkt uns Frust zum Fest".

Dazu wurden in der Print-Version drei weihnachtliche Geschenkpakete mit den Aufschriften „Geschenke-Kauf 2G", „Familienfest nach Corona-Regeln" und „Kino-Verbot für Ungeimpfte" gezeigt. Das ist Zynismus pur, so als ob die Wissenschaftler Gefallen daran finden würden, angesichts der Notlage Kontaktbeschränkungen zu empfehlen.

Der Vorwurf der „Bild": Die Wissenschaftlerin und die Wissenschaftler seien mit ihren Modellierungen des weiteren Pandemie-Verlaufs daran beteiligt gewesen, die neuen Maßnahmen mit vorzubereiten, welche Bund und Länder am 2. Dezember beschlossen haben. Originalton „Bild": „Mit Physik-Modellen berechnete die Runde, welche Maßnahmen die Infektionen drücken, die vierte Welle brechen könnten: massive Kontaktbeschränkungen, flächendeckend 2G, Clubs und Diskotheken dicht, Maskenpflicht an Schulen. Die Empfehlungen gingen an Olaf Scholz (63, SPD). Der Bald-Kanzler drückte sie beim Corona-Gipfel durch."

All das ist auf so vielen Ebenen falsch, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Erstens haben die Wissenschaftler die Maßnahmen nicht beschlossen, sondern nur die zugrundeliegenden Modelle vorgelegt, wie sich am besten eine weitere Zunahme der Neuinfektionen und Totenzahlen vermeiden lassen. Das zu skandalisieren – und so zu tun, als würden Priesemann, Meyer-Hermann und Brockmann Deutschland mit sadistischer Lust quälen wollen – ist schlichtweg niederträchtig.

Bild-Zeitung Schlagzeile „Gebt uns den Freedom Day".
Artikel auf Bild Online vom 20.10.2021.
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