Hepatitis nach Covid-19 bei Kindern? Deutsche Forschende äußern Zweifel an israelischer Studie
Forschende rätseln, ob es eine ungewöhnliche Häufung von Lebererkrankungen bei Kindern nach Corona-Infektionen gibt. Die Virologin Ciesek warnt vor vorschnellen Schlüssen
Eine mögliche Häufung von gefährlichen Leberentzündungen bei Kindern gibt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in mehreren Ländern weiter Rätsel auf. Führende Fachleute aus Deutschland äußerten am Mittwoch in Stellungnahmen für das Science Media Center Zweifel, dass eine neue Fallstudie aus Israel einen Beweis für einen Zusammenhang mit vorangegangenen Covid-19-Infektionen darstellt. Die Studie hatte weltweit für Aufmerksamkeit gesorgt, da ihre Verfasser*innen die Hepatitisfälle als Folge von Corona-Erkrankungen präsentieren.
Zwischen Mitte Februar und Anfang Juni 2022 berichteten Medizinerinnen und Mediziner über weltweit rund 400 Fälle von akuter Hepatitis bei jungen Menschen unter 16 Jahren ohne eine klar diagnostizierte Ursache. Als Auslöser für die Erkrankung kommen in der Regel andere Viren, sogenannte Adenoviren, oder Stoffwechselstörungen in Betracht.
Bei den fünf Kindern, die ein Team um Shiri Cooper vom Schneider Children's Medical Center in Israel ausführlich beschreiben, konnte aber nach Angaben der Forschenden keine dieser Ursachen gefunden werden. Auffällig sei dagegen, dass alle Kinder Covid-Erkrankungen durchgemacht hätten, schreiben die Forschenden. Die Leberentzündungen traten zwischen drei Wochen und vier Monaten nach ursprünglich milden Verläufen von Corona-Erkrankungen beziehungsweise dem Auftreten von Antikörpern im Blut auf.
Virologin Ciesek: Irreführende Behauptungen
Ein Zusammenhang zwischen Covid-19 und Hepatitis wird in der Medizin diskutiert, weil das Pandemie-Virus Körperzellen über spezielle Andockstellen, sogenannte ACE-Rezeptoren, befällt, die auch im Darm, in der Galle und den Zellen der Leber, den Hepatozyten, vorkommen.
Die Fallstudie sorgt vor allem für Aufmerksamkeit, weil das israelische Forscherteam im Titel der Studie von einer „Long COVID-19 Liver Manifestation in Children“ spricht, als wäre die ursächliche Verbindung bereits bewiesen. Konkret werden zwei Fälle von vorher gesunden Säuglingen beschrieben, bei denen eine Lebertransplantation notwendig wurde und drei Fälle älterer Kinder, bei denen die Erkrankung erfolgreich medikamentös behandelt werden konnte.
Die einem breiten Publikum bekannte deutsche Virologin Sandra Ciesek sieht es kritisch, dass das israelische Team so tut, als wäre ein Zusammenhang mit Covid-19 schon definitiv bewiesen. Der Titel sei „irreführend“, da in der eigentlichen Studie kein Zusammenhang zwischen dem Krankheitsbild Long Covid und den berichteten Hepatitisfällen nachgewiesen werden könne, kritisierte Sandra Ciesek, Direktorin des Instituts für medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt, in ihrer Stellungnahme für das Science Media Center. Ciesek ist in der Corona-Pandemie in der Öffentlichkeit durch deutliche Warnungen vor den Gefahren des Pandemie-Virus in Erscheinung getreten. Sie ist Expertin speziell für Viren, die Hepatitis verursachen.
„Kein Zusammenhang mit Corona-Impfung“
Die Forscherin bemängelte, die Zahl der Fälle sei mit fünf viel zu klein, um weitreichende Folgerungen ableiten zu können. Es bleibe zudem unklar, wie die Fälle ausgewählt worden seien. Wichtige Tests, etwa auf eine Hepatatis-E-Infektion, seien ausgeblieben oder nicht dokumentiert worden. Es gebe durchaus immer wieder Fälle von Hepatitis bei Kindern, bei denen keine klare Ursache gefunden werden könne. Ciesek wies zudem darauf hin, dass Antikörper gegen Sars-CoV-2 im Blut der Säuglinge nicht von einer Infektion stammen müssten, sondern auch von der Mutter kommen könnten.
Konkrete Empfehlungen ließen sich aus den fünf Fällen „nicht ableiten“, so Ciesek. Die aktuell berichteten Fälle von schwerer akuter Hepatitis bei Kindern sollten nun sorgfältig medizinisch aufgearbeitet werden. Eine Beteiligung von Sars-CoV-2 sei „weiterhin weder bewiesen noch ausgeschlossen“.
Auch Ansgar Lohse, Gastroenterologe am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, betonte, dass genausogut Alltagsviren oder eine autoimmune Hepatitis als Ursachen infrage kommen. Lohse hob hervor, dass es für einen Zusammenhang mit der Corona-Impfung keinen Anhalt gebe.
Immunologe hält Covid-19 als Ursache für „plausibel“
Impfskeptiker hatten zuvor die Berichte über Leberentzündungen bei Kindern genutzt, um ohne Grundlage einen Zusammenhang mit Impfungen herzustellen. Das European Centre for Disease Prevention and Control hatte aber ermittelt, dass in 80 von 94 untersuchten Hepatitisfällen die betroffenen Kinder gar nicht geimpft waren.
Dagegen hält der Immunologe Bertram Bengsch vom Universitätsklinikum Freiburg einen Zusammenhang zwischen den beobachteten Lebererkrankungen und Covid-19 zumindest für „plausibel“. Das Coronavirus könne grundsätzlich die Leber infizieren, und es seien schon Hepatitisfälle im Zusammenhang mit Covid nachgewiesen worden. Andere Ursachen seien bei den betroffenen Kindern nicht gefunden worden. Bengsch hält es allerdings für möglich, dass nicht das Virus selbst die Leber angreift, sondern dass im zeitlichen Abstand zur Infektion aktivierte Immunzellen in die Leber einwandern und dort eine unspezifische Entzündung auslösen könnten.
Ansgar Lohse vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf äußerte gegenüber dem Science Media Center sogar Zweifel, ob es überhaupt eine eindeutige Häufung von Hepatitisfällen bei Kindern gebe. Ein europäischer Forschungsverbund für Lebererkrankungen, das European Reference Network Hepatological Diseases, habe in einer europaweiten Datenerhebung nur einen sehr geringen Anstieg solcher Fälle in einigen, aber nicht allen der angeschlossenen Klinikzentren aufzeigen können. Man werde die weitere Entwicklung „im Auge behalten“.