Corona: Eine extrem gefährliche Virusvariante könnte sich zurzeit nicht gegen Omikron durchsetzen
Der Essener Virologe Ulf Dittmer über die Gefahr durch Deltakron, den angepassten Omikron-Impfstoff und die wahren Verlierer der Pandemie.
Ulf Dittmer leitet das Institut für Virologie am Universitätsklinikum Essen. Im Gespräch mit IMMUN nennt er unter anderem die Gründe, warum der Omikron-Impfstoff noch immer nicht zur Verfügung steht und ordnet die Aussage von Gesundheitsminister Karl Lauterbach ein, im Herbst würden mit Sicherheit gefährlichere Corona-Varianten auftauchen.
Wo bleibt eigentlich der an die Omikron-Variante angepasste Impfstoff und macht der, wo wir doch schon mitten in der Welle stecken, überhaupt noch Sinn?
Ich glaube nicht, dass der angepasste Impfstoff noch eine große Zukunft hat. Dafür gibt es meiner Meinung nach zwei Hauptgründe. Klinische Studien dazu laufen zwar sowohl bei BionTech als auch bei Moderna. Doch der Impfstoff wird frühestens in ein paar Monaten zur Verfügung stehen, wahrscheinlich zu spät für die Omikron-Welle, die ihren Höhepunkt jetzt hat. Außerdem sind die Ergebnisse zur Wirksamkeit der angepassten Vakzine im Tierexperiment eher ernüchternd. Der verbesserte Schutzeffekt wird offenbar nicht erzielt beziehungsweise im Vergleich zum vorhandenen Impfstoff nicht verstärkt.
Wie kommt das?
Das ist eigentlich nicht verwunderlich, wenn man sich die Arbeitsweise des Immunsystems anschaut. Antikörper die durch den Kontakt mit einem Antigen ausgelöst werden, dominieren auch dann, wenn sich das Antigen bei weiteren Kontakten leicht vom Original unterscheidet. Fachleute sprechen hier von einer „ImmunPrägung“.
Man kann die Körperabwehr nicht mit mehreren Impfungen in eine Richtung bewegen und dann mit einem leicht veränderten Impfstoff, den Kurs beziehungsweise die Ausrichtung der Abwehrreaktion leicht umdirigieren. Durch eine vierte Impfung mit einer leicht veränderten Vakzine werden vielmehr die Abwehrreaktionen gegen bereits bekannte Teile des Virus, die dieser Impfstoff ja auch enthält, verstärkt, das quasi Neue aber gar nicht so sehr wahrgenommen.
Inzwischen sind einige Corona-Fälle gemeldet worden, bei denen sich Personen sich mit einer Mischvariante aus Omikron und Delta angesteckt haben. Müssen wir uns wegen „Deltakron“ Sorgen machen?
Ich persönlich mache mir da keine Sorgen. Dass sich solche Mischvarianten oder Rekombinanten bilden, ist bekannt. Wenn mehrere Virusvarianten gleichzeitig in der Bevölkerung zirkulieren und sich ein Mensch zufälligerweise mit zwei Varianten infiziert, kann das passieren. Vielleicht ist auch Omikron auf diese Art und Weise entstanden. Das wissen wir noch nicht.
Dass jedoch dabei zum jetzigen Zeitpunkt ein Virus entsteht, das gleichzeitig superinfektiös (wie Omikron) und sehr gefährlich oder gar tödlich ist, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Delta beispielsweise kann sehr effizient Lungenzellen, aber auch Nieren oder Fettgewebe infizieren. Omikron dagegen hält sich hauptsächlich in der Nase und im Rachen auf und ist ja gerade deswegen so super ansteckend. Wenn die anderen Eigenschaften – also „tiefer“ in den Organismus einzudringen und auch andere Organe zu infizieren – zurückkehren sollten, müsste diese Variante automatisch weniger ansteckend sein. Eine solche Variante könnte sich aber niemals gegen Omikron durchsetzen. Die Variante, die im Vergleich am infektiösesten ist, macht in der Evolution das Rennen.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat anlässlich der Debatte um die Impfpflicht gesagt, dass neue Varianten im nächsten Herbst gefährlicher sein werden als Omikron. Was sagen Sie dazu?
Entschuldigung, aber das ist eine wissenschaftlich nicht fundierte Aussage. Die Evolution schlägt einen anderen Weg ein. Wir haben ja schon vier verschiedene Coronaviren, die Erkältungen hervorrufen und schon seit langem in der Bevölkerung zirkulieren. Bisher hat sich kaum jemand für sie interessiert. Diese Coronaviren sind genetisch aber auch variabel. Dennoch ist bei ihnen im Laufe der vielen Jahre nie eine Mutation aufgetreten, die diese Coronaviren gefährlicher gemacht hat.
Welche Maßnahmen zur Eindämmung sind in der aktuellen Phase der Pandemie noch vertretbar?
Hier stimme ich mit Herrn Lauterbach überein, dass wir schauen müssen, wer ist noch gefährdet und wie kann ich diese Personen am besten schützen. Kinder sind meiner Meinung nach kaum gefährdet, hier können wir – wie auch für andere Teile der Bevölkerung, etwa die Geimpften oder Geboosterten – die Maßnahmen herunterfahren. Hauptsächlich gefährdet sind weiterhin Menschen, die älter als 60 Jahre und ungeimpft sind. In den USA gab es durch Omikron tatsächlich mehr Todesfälle als durch Delta. Das waren hauptsächlich die älteren, ungeimpften Frauen und Männer. Medizinisch würde es Sinn machen, für diese Bevölkerungsgruppe tatsächlich eine Impfpflicht einzuführen.
Leider gibt es noch eine weitere gefährdete Gruppe und das sind die echten Verlierer der Pandemie: Die Menschen, die mit einem transplantierten Organ leben und deshalb Medikamente zur Unterdrückung der Immunabwehr einnehmen müssen. Diese Patientinnen und Patienten sind zum Teil vier- oder fünfmal gegen Corona geimpft, aber die Immunabwehr schlägt trotzdem kaum an. Einige von ihnen trauen sich nicht mehr auf die Straße. Wenn sie sich mit Omikron anstecken, landen sie leider auch auf der Intensivstation. Hier bei uns in Essen sind die Covid-Patienten, die intensivmedizinisch betreut werden müssen, entweder umgeimpft und über 60 oder organtransplantiert. Wir alle müssen mithelfen, zum Beispiel durch das Tragen einer Maske in Räumen, diese Gruppe von Menschen zu schützen.
Sie sagten eben, Kinder seien kaum gefährdet. Wie sieht es mit Long Covid aus?
Meines Wissens kommt Long Covid bei kleinen Kindern so gut wie gar nicht vor. Bei Jugendlichen über 12 Jahre schon, aber im Verhältnis zur Häufigkeit bei den 40 bis 50-Jährigen, extrem selten. Bisher gibt es noch keine Daten dazu, ob eine Impfung Jugendliche vor Long Covid schützt. Erste Zahlen aus Studien mit Erwachsenen zeigen aber, dass das Risiko für Long Covid bei Geimpften um fast 70 Prozent geringer ausfällt als bei Ungeimpften.
Was hätten wir in Deutschland bei der Covid-19-Impfkampagne anders machen müssen, um mehr Menschen und damit eine höhere Impfquote zu erreichen?
Wir können uns in Deutschland einfach nicht mehr daran erinnern, wie gut Impfungen vor schweren Krankheiten schützen. Das ist in Ländern wie Spanien oder Portugal völlig anders. Hier ist man sich noch darüber bewusst, was etwa die Kinderlähmung anrichten kann und wie gut es ist, dass man das durch eine Impfung verhindern kann. Das ist meiner Meinung nach ein Grund, warum sich in diesen Ländern viel mehr Menschen gegen Covid-19 haben impfen lassen.
Eine weitere Ursache liegt wohl auch darin, wie sehr hierzulande über Jahre die Homöopathie hofiert wurde. Wir sind da in Deutschland irgendwann falsch abgebogen. Raum für alternative Medizin sollte es geben, keine Frage. Die Homöopathie gehört, finde ich, nicht dazu. Viele Menschen, die der Homöopathie anhängen, lehnen das Impfen ab.
Was müssen wir noch lernen über Sars-CoV-2? Welche besonderen Eigenschaften hat dieses Coronavirus im Vergleich zu anderen Krankheitserregern?
Mit Beginn der Pandemie wurde weltweit die Forschung an dem neuen Virus in einem bisher einmaligen Ausmaß gestartet. Bereits Ende 2020 waren über 50.000 wissenschaftliche Paper zum neuen Coronavirus im Internet zu finden. Bisher haben wir angenommen, Erreger der Atemwege sind hauptsächlich in den Atemwegen zu finden. Das neue Coronavirus kann aber auch Fettzellen infizieren, verursacht neurologische Schäden und stört die Blutgerinnung. Warum ist dieses Virus da, wo es eigentlich nicht hingehört? Die molekularen Mechanismen dahinter verstehen wir bisher nur in Ansätzen. Spannend ist auch zu untersuchen, ob nur Sars-CoV-2 diese Eigenschaften hat, oder ob sich auch andere Viren, die wir eigentlich als Erreger der Atemwege kategorisiert/eingestuft hatten, womöglich noch woanders im Körper aufhalten. Ich glaube nicht, dass das nur für Corona gilt, sondern auch für Influenza-Viren oder zumindest in Einzelfällen bei Menschen mit einer Influenza-Grippe.
Forschen Sie am Institut für Virologie in Essen auch am neuen Coronavirus?
Ja. Wir haben seit 15 Jahren eine enge Kooperation mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Wuhan. Dadurch haben wir den Riesenvorteil gehabt, Erstinfizierte vom Anfang der Pandemie untersuchen zu können mit der Frage: wie funktioniert die Immunität nach einer Infektion mit dem Coronavirus.
Sehr intensiv beschäftigen wir uns außerdem aktuell mit einer möglichen Interferon-Therapie bei Covid-19. Interferone sind ja körpereigene Stoffe, die eine infizierte Zelle ausschüttet, um die Virusvermehrung in ihrer Umgebung zu hemmen. Wir untersuchen nun, welche der körpereigenen Interferone sich am besten für den therapeutischen Einsatz eignen.
Welche Maßnahmen sind aktuell wichtig, damit wir gut auf den Herbst vorbereitet sind?
Für den Übergang von der Pandemie in die Endemie im Sommer sind zwei Schritte nötig. Zum einen brauchen wir ein Virus, das weniger aggressiv ist. Das haben wir mit Omikron bereits. Zum anderen brauchen wir eine breite Immunität in der Bevölkerung. Wir haben bei den Ü-60 eine schlechtere Impfquote als in Dänemark oder Großbritannien, deswegen könnte es bei uns im Herbst noch einmal eng werden. Das Problem in Deutschland ist, dass wir nicht genau wissen, wie viele der nicht geimpften älteren Menschen schon eine Infektion hinter sich haben. Wir brauchen dringend bessere Zahlen, um überhaupt abschätzen zu können, von wie vielen Menschen reden wir eigentlich. Wie viele der Ü-60 sind noch nicht geimpft und nicht genesen und damit am meisten gefährdet? Wir (die Universitätsmedizin Essen und der Software-Anbieter „CompuGroup“) haben dem Gesundheitsministerium einen Vorschlag gemacht, wie man mit Hilfe der Hausarztpraxen bis zum Herbst zu solchen Zahlen kommen könnte. Mal sehen, wie das Ministerium darauf reagiert. Wir brauchen diese Zahlen dringend, um die Maßnahmen für den Herbst gezielt abstimmen zu können.
Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden über die Riff freie Medien gGmbH aus Mitteln der Klaus Tschira Stiftung gefördert.