Deep-Sky-Objekte mit den eigenen Augen erkunden
Teil 1: Das teleskopische Sehen
Wer durch ein astronomisches Teleskop schaut, begibt sich auf eine Reise. Je weiter die angepeilten Ziele entfernt sind, desto undeutlicher zeigen sie sich. Im Auftakt dieser Reihe betrachte ich physiologische Grundlagen menschlichen Sehens, um unseren Sensor, das Auge, optimal nutzen und bei Nacht so viel wie möglich sehen zu können.
Für erste Spaziergänge am Firmament und zum Erkennen großflächiger Strukturen, beispielsweise der Milchstraße mit ihren Dunkelwolken, sind die bloßen Augen optimal. Schon ein Fernglas erweitert den Horizont jedoch beträchtlich.
Per aspera ad astra
Einige lichtschwache Himmelsobjekte, etwa Sternentstehungsregionen, zeigen sich bereits mit einem bequem nutzbaren Fernglas deutlich. Den idealen Zugang zu den Deep-Sky-Objekten des Sternenhimmels bietet freilich ein Fernrohr. Nie zuvor bot der Markt eine solche Vielfalt astronomischer Amateurteleskope, und noch nie wurden so viele dieser Geräte gekauft wie heute. Manch ein Hobbyastronom oder einer, der es werden möchte, erlebt jedoch beim ersten Blick durchs Okular eines Teleskops blanke Ernüchterung: Er erwartet prächtige und überaus bunte Himmelsfotografien – und sieht doch mit eigenen Augen anfangs recht wenig. Und dieses Wenige zeigt sich zu allem Überfluss auch nur in Schwarz-Weiß … Im Zeitalter leistungsfähiger und bezahlbar gewordener Amateurteleskope treffen hohe Erwartungen oftmals auf eine harte Realität, zeigen sich doch viele Himmelsobjekte ohne langjährige Erfahrung und ohne viel Geduld im Okular eines Teleskops nur schemenhaft – oder auch gar nicht. Diese Einsicht soll keineswegs abschrecken, sondern eher motivieren: Teleskopisches Sehen ist kein Hexenwerk, aber es gilt die sprichwörtliche Weisheit „Per aspera ad astra“ – durch Mühsal zu den Sternen.
Diese Technik des „Teleskopischen Sehens“ bietet sich bei all jenen Himmelsobjekten an, die nur schwach leuchten, beziehungsweise wenig sichtbares Licht reflektieren. Die Sonne, der Mond, die Planeten unseres Sonnensystems samt ihrer vielen Trabanten oder Sterne unserer Galaxis strahlen, beziehungsweise reflektieren genügend Licht, um selbst in kleineren Teleskopen einen relativ großen Detailreichtum und auch Farbnuancen zu zeigen. Die so genannten „Deep-Sky-Objekte“ – Offene Sternhaufen, Planetarische Nebel, Galaktische Nebel, Kugelsternhaufen und Galaxien – sind jedoch schwieriger erkennbar, weil menschliche Augen relativ wenig sichtbares Licht dieser Objekte empfangen. Astrofotografen sind da im Vorteil: Ihre Bildsensoren „sammeln“ Photonen, und ihre Aufnahmen zeigen mehr, als visuelle Beobachter sehen können. Doch lassen sich Deep-Sky-Objekten mit einiger Übung auch rein visuell erstaunlich viele Details entlocken.
Der Reiz eigener Beobachtung
Worin liegt nun der Reiz eigener Erkundungen von Deep-Sky-Objekten? Was man selbst erlebt, ist durch nichts zu ersetzen. Selbst die Betrachtung einer noch so gelungenen und mit perfekten Instrumenten gewonnenen Astrofotografie vermag niemals den eigenen Blick auf Himmelsobjekte zu ersetzen. Ein weiterer Reiz liegt darin, dass sich die meisten dieser filigranen und scheuen Himmelsobjekte dem Beobachter nur schrittweise erschließen. Die eigene Himmelsbeobachtung, die immer auch Geduld erfordert, ist eine besondere Form des Naturerlebens.
Mehrere Rahmenbedingungen müssen erfüllt sein, um die Beobachtung von Deep-Sky-Objekten zu einem immer wieder aufs Neue spannenden Unterfangen zu machen. Manche dieser Faktoren hat der Beobachter selbst in der Hand. Neben der Technik des teleskopischen Sehens sind dies die Vorbereitung und Beherrschung des Instrumentariums und die Planung von Beobachtungsnächten, Themen, die ich in den folgenden vier Teilen dieser Serie zur visuellen Deep-Sky-Beobachtung ausführlich behandeln werde. Andere Faktoren wie etwa das Wetter und das Seeing (das sind die atmosphärischen Bedingungen, auf die wir noch detailliert eingehen werden!) kann der Beobachter zwar nicht selbst beeinflussen, aber er kann lernen, die nutzbaren Nächte im Voraus zu erkennen. Es gibt mehr Nächte, die sich für Deep-Sky-Beobachtungen eignen, als man hinlänglich annimmt.
Ein großer Reiz visueller Himmelsbeobachtung liegt im unmittelbaren Zugang zum Objekt. Und je reduzierter das Instrumentarium ist, desto direkter ist der Genuss eigener Beobachtung. Die eigene Beobachtung wird umso faszinierender, je mehr man über die Eigenschaften des Himmelsobjekts weiß: Wie weit ist es entfernt? Was ist seine Natur? Ist es ein junger offener Sternhaufen oder ein sehr alter Kugelsternhaufen? Ist es ein Planetarischer Nebel oder ein Supernova-Überrest, der vom Ende des Entwicklungswegs eines Sterns kündet? Hierfür gibt es eine große Vielfalt sehr guter Bücher, von denen ich am Ende dieses ersten Serienteils einige vorstelle. Ohne Wissen bleiben eigene Himmelsbeobachtungen blutleer.
Sehen am Limit
Wer visuelle Deep-Sky-Beobachtung betreibt, sollte sich zunächst der Fähigkeiten und Grenzen menschlichen Sehens bewusst sein, zumal sich diese spezielle Art des Sehens am Rande der Wahrnehmungsgrenze bewegt. In einem ersten Schritt betrachte ich einige für das Nachtsehen wesentliche Aspekte des menschlichen Auges und des Gehirns, das die optischen Sinnesreize verarbeitet.
Auge und Gehirn bilden zusammen ein optisches System, dessen enorme Leistungsfähigkeit man leicht unterschätzt. Das Gesichtsfeld ist nahezu unbegrenzt, das Auflösungsvermögen ist so groß, dass wir Bilder als „gestochen scharf“ empfinden und im Sehzentrum selbst feinste Details erkennen. Bei konstanter Leistung ist das Auge stets und unverzüglich einsatzbereit – im Gegensatz zu so manch technischem Gerät. Das System menschlichen Sehens deckt einen Empfindlichkeitsbereich ab, der ähnlich groß ist wie derjenige aktueller Digitalkameras. Um einen Dynamikumfang von bis zu zehn Blendenstufen noch einwandfrei darstellen zu können, müssen Kameras allerdings zu einer Reihe technischer Tricks greifen, während das menschliche Auge diese Helligkeitsunterschiede problemlos darstellt. Dabei entspricht eine Blendenstufe einer Verdoppelung beziehungsweise Halbierung der Lichtmenge.
Das menschliche Auge unterscheidet feinste Hell-Dunkel-Unterschiede, und das Gehirn bildet daraus Strukturen. Dabei lässt die Kombination aus Auge und Gehirn gleichzeitig wahrgenommene Bereiche unterschiedlicher Helligkeit nicht unter- oder überbelichtet erscheinen. Im Unterschied hierzu ergeben sich selbst beim Einsatz aktueller digitaler Kameras bereits bei Helligkeitsunterschieden von einer Blendenstufe innerhalb eines Bildes Probleme mit der korrekten Belichtung und Darstellung, und es bedarf aufwändiger Bildbearbeitung.
Das durch die Linse erzeugte Abbild wird durch die Netzhaut (Retina) in verschiedene Sinnesreize aufgespalten, in Nervenimpulse verwandelt und an das Gehirn weitergeleitet. Die lichtempfindlichen Rezeptoren der Netzhaut sind je nach den Lichtverhältnissen nicht gleichzeitig tätig: Drei Arten der Zäpfchen mit unterschiedlicher spektraler Empfindlichkeit vermitteln das Tagsehen und das Farbsehen. Die spindelförmigen Stäbchen sind insbesondere für das Erkennen von Helligkeitsunterschieden im Schwarz-Weiß-Bereich empfindlich. Sie werden erst beim Dämmerungs- beziehungsweise Nachtsehen aktiv. Die Zäpfchen sprechen eher auf den gelb-grünen, die Stäbchen eher auf den kurzwelligeren blau-grünen Spektralbereich an.
Die Stäbchen reichen lediglich Schwarz-Weiß-Informationen an das Gehirn weiter. Mit der Unempfindlichkeit der Stäbchen für das längerwellige rote Licht erklärt sich auch, weshalb der nächtliche Einsatz von Rotlichtlampen am Teleskop keine Auswirkung auf die Dunkeladaption hat. Rote und blaue Flächen, die bei Tageslicht gleich hell wirken, nimmt das Auge in der Dämmerung unterschiedlich wahr: Da die Stäbchen auf eine rote Fläche nur schwach ansprechen, beurteilt man sie als schwarz, wohingegen eine blaue Fläche noch silbrig hell erscheinen kann.
Zäpfchen und Stäbchen sind auf der Netzhaut mit unterschiedlicher Dichte verteilt. Die größte Dichte der Zäpfchen liegt im Bereich der Sehgrube (lateinisch: Fovea centralis), die in den gelben Fleck (lateinisch: Macula lutea) eingebettet ist. Der gelbe Fleck ist jener Bereich des maximalen Auflösungsvermögens, der größten Farbunterscheidung und somit der Bereich der größten Sehschärfe. Die größte Dichte der hell-dunkel-empfindlichen Stäbchen findet sich außerhalb der Fovea. Bedeutsam ist dieses Wissen für die Technik des indirekten Sehens, das ich weiter unten im Kapitel „Teleskopisches Sehen“ erläutere.
Der Aufbau der Netzhaut ist evolutionär zu deuten: Auf Grund der höheren Empfindlichkeit der Stäbchen lassen sich Bewegungen am Rand des Gesichtsfelds eher registrieren, weshalb man sie als Warninstanz verstehen kann. Hobbyastronomen nutzen die Peripherie der Netzhaut ganz bewusst.
Dunkeladaption: Der Übergang vom Tag- zum Nachtsehen – die so genannte Dunkeladaption – erfolgt bei einem Wechsel der Beleuchtungsverhältnisse allmählich. In der Dämmerung wird der Sehvorgang ungenau. Zäpfchen und Stäbchen arbeiten in dieser Übergangsphase gleichzeitig, weshalb das Abbild mit den Zäpfchen durch Lichtmangel nur schlecht aufgelöst, das Abbild auf der stäbchenreicheren Netzhautperipherie nur kontrastarm erscheint.
Zur Anpassung der Augen von einer Umgebung mit großer Helligkeit an eine nahezu dunkle Umgebung benötigen die Zäpfchen rund fünf bis acht Minuten, die Stäbchen zwischen 30 und 60 Minuten. Dies ist eine recht individuelle Angelegenheit, die aber keineswegs allein vom Alter abhängt, ähnlich wie die Pupillengröße. Selbst der direkte Blick mit dem Teleskop auf Jupiter oder Saturn – oder gar den Mond – kann zu einem direkten Erschlaffen der Dunkeladaption führen. Man lernt schnell, seine Augen vor Lichteinfluss zu schützen, der die lange Phase der Dunkeladaption ad hoc zunichtemachen kann.
Pupillengröße: Der Durchmesser der Augenpupille allein ist kein besonders aussagekräftiges Kriterium für die Fähigkeit des Nachtsehens. In jungen Jahren weiten sich die Pupillen schnell auf ein Maximum von sieben oder gar acht Millimetern. Nun herrscht seit vielen Jahren unter Amateurastronomen Konsens darüber, dass zwischen Pupillengröße und Alter keineswegs ein linearer Zusammenhang besteht. Auch bei 70-Jährigen kann die maximale Pupillenöffnung durchaus noch sieben Millimeter erreichen. Es sind andere Faktoren als die Pupillengröße, die die Sehfähigkeit im Alter beeinträchtigen können: Grauer Star, Trübungen des Glaskörpers oder die abnehmende Akkomodation der Augenlinse. Interessanterweise zeigt sich an Einzelfällen immer wieder, dass sich langjährige Übung in teleskopischem Sehen und eine Kultivierung der eigenen Nachtsehfähigkeit durchaus lohnen können.
Teleskopisches Sehen
Die Beobachtung lichtschwacher Deep-Sky-Objekte erfordert einiges an Wissen und Übung. Bei den im Folgenden beschriebenen Methoden teleskopischen Sehens ist es sinnvoll, die beschriebenen Fakten zum Aufbau des menschlichen Auges im Hinterkopf zu behalten.
Indirektes Sehen: Eine grundlegende Methode des Beobachtens lichtschwacher Strukturen ist das sogenannte „Indirekte Sehen“, mit dem man die lichtempfindlicheren Stäbchen "nutzt": Man fixiert das Himmelsobjekt und wandert dann mit der Pupille leicht neben diesen Punkt. Das mag in den ersten Beobachtungsnächten mühevoll erscheinen, mit etwas Übung gelingt es dann schneller und präziser, imaginäre Punkte neben einem Deep-Sky-Objekt mit der Pupille anzusteuern – und über längere Zeit zu halten. Es zeigen sich mit dem indirekten Sehen an Himmelsobjekten Strukturen, die mit direktem Blick unsichtbar bleiben. Eine Methode, um indirektes Sehen zu lernen, besteht darin, zunächst drei Punkte kreuzförmig um das Deep-Sky-Objekt zu fixieren, und diese mit der Pupille nacheinander anzusteuern. Dabei darf man freilich nicht ausgerechnet den „Blinden Fleck“ treffen – da sieht man dann gar nichts. Wer schon etwas Übung in indirektem Sehen hat, bewegt seine Pupille freier um das Deep-Sky-Objekt herum. Um das Gehirn konstant mit Sauerstoff zu versorgen, ist es wichtig, bei dieser durchaus anstrengenden Übung entspannt zu sein und gleichmäßig zu atmen.
Field sweeping: Wer mit einem Dobson-Teleskop beobachtet, dem bietet sich eine zweite Möglichkeit des indirekten Sehens an, das so genannte Field sweeping: Man bewegt nicht seine Pupille, sondern das Teleskop ganz leicht über das Objekt hinweg. Man kann hier zwischen kreuzförmig und um das Deep-Sky-Objekt kreisend wechseln, und hat denselben Effekt wie das Bewegen der Pupille. Mit dem Unterschied, das Auge eher zu schonen. Denn indirektes Sehen per Pupillenbewegung strengt selbst nach vielen Jahren der Übung an. Daher ist es auch naheliegend, beide Methoden im Wechsel miteinander anzuwenden. Was sich nun recht statisch liest, funktioniert mit einiger Übung zunehmend besser. Mit der Zeit kombiniert man beide Methoden unbewusst im Wechsel miteinander – und nähert sich einem Himmelsobjekt so, dass man möglichst viele Details seiner Struktur erfasst.
Am Teleskop: Teleskopisches Sehen am Rande der Wahrnehmungsgrenze strengt an. Zwei Faktoren beim Beobachten von Deep-Sky-Objekten bedingen den großen Unterschied zwischen Erkennen und Nichterkennen: Zum einen ist dies die Haltung am Teleskop, zum anderen die eigene Atemtechnik. Am Teleskop gilt: Je entspannter, desto gewinnbringender die Beobachtung. Jeder sollte sich selbst fragen: Sitzt (oder – am größeren Instrument – steht) man bequem am Teleskop und blickt ohne verdrehten oder gestreckten Hals ins Okular? Schon eine leicht unnatürliche Haltung senkt die Konzentration und die Wahrnehmungsfähigkeit – und mindert das Beobachtungsvergnügen.
Atmung: Atmet man gleichmäßig ein und aus? Das Gehirn muss bei dieser diffizilen Tätigkeit des teleskopischen Sehens stets ausreichend mit Sauerstoff versorgt sein. Ein Fehler, bei dem ich selbst mich auch heute noch ab und zu ertappe: Ich halte gar die Luft an, wenn ich angestrengt ein Objekt suche oder es endlich im Okular habe! Ein Anhalten des Atmens ist natürlich in hohem Maße kontraproduktiv, weil das Gehirn auf Sauerstoffmangel unverzüglich mit rapide sinkender Wahrnehmungsfähigkeit reagiert. Zum Glück kehrt die maximale Wahrnehmungsfähigkeit schon nach wenigen tiefen Atemzügen schnell zurück.
Pausen: Teleskopisches Beobachten erfordert hohe Konzentration. Wie für alle Tätigkeiten, die hohe Aufmerksamkeit verlangen, gilt besonders fürs Sternegucken: Kleine Pausen steigern die Wahrnehmungsfähigkeit und damit den Beobachtungsgenuss. Beobachtet man nicht alleine, so ergeben sich kurze Unterbrechungen meist von selbst. Anderenfalls ist es sinnvoll, sich hin und wieder zu kurzen Pausen zu gönnen.
Wer ausreichend Platz im Auto hat, nimmt zusätzlich eine Campingliege mit ins Feld. So sind herrliche Beobachtungspausen möglich, um entspannt mit dem Fernglas beispielsweise in die Sternfluten der Milchstraße abzutauchen. Gerade beidäugiges Sehen mit bloßem Auge oder dem Fernglas trägt bestens zur Entspannung bei. Solche Pausen lassen einen – zurück am Teleskop – manche Deep-Sky-Objekte noch einmal ganz neu erleben.
Ernährung: Sinnvoll ist es nicht nur, sich ab und an kurz die Beine zu vertreten und bewusst ein paar Züge tief ein- und auszuatmen, sondern auch etwas zu trinken und eine Kleinigkeit zu essen. Süßigkeiten sind übrigens am Teleskop explizit erlaubt: Zucker, freilich in Maßen genossen, erhöht die Wahrnehmungsfähigkeit. Wer zu wenig trinkt, registriert schon recht bald ein Absinken seiner Wahrnehmungsfähigkeit lichtschwacher Strukturen. Jeder Sternfreund kennt seine Tricks, um die Lichtempfindlichkeit seiner Augen zu steigern – beziehungsweise angeblich zu steigern.
Unbestritten ist hingegen die negative Wirkung von Alkohol- und Tabakkonsum. Bereits geringe Mengen Alkohol oder Nikotin senken die Wahrnehmungsfähigkeit am Teleskop auf wenige Prozent und reduzieren die Grenze der Wahrnehmung um mehrere Magnituden. Eine am perfekten 20-Zoll-Teleskop gerauchte Zigarette „schrumpft“ dieses Rieseninstrument schon nach wenigen Zügen zu einem kläglichen Kaufhaus-Teleskop.
Auch der Koffeingenuss, insbesondere von Tee, ist fragwürdig. Die Auswirkungen auf die Nachtsichtfähigkeit sollte hierbei jeder selbst beurteilen. Ich persönlich habe auf nächtlichen Beobachtungstouren immer eine Thermoskanne heißen und koffeinfreien Kaffees dabei, seit ich feststellte, dass sich Koffein bei mir deutlich nachteilig auf die Wahrnehmungsfähigkeit lichtschwacher Strukturen auswirkt.
Beidäugiges Sehen: Der Mensch hat zwei Augen, doch leider beträgt die Wahrnehmung mit nur einem Auge allein nicht 50 Prozent, sondern deutlich weniger. Man blickt durch nur ein Auge angestrengter als mit beiden Augen. Gesteigert wird diese Anstrengung, wenn man das nicht genutzte Auge zukneift. Hilfreich kann es sein, eine Augenklappe (Apotheke) zu nutzen; das nicht beobachtende Auge bleibt dann geöffnet, und man beobachtet mit dem „Okularauge“ wesentlich entspannter. Auch hier muss jeder selbst austesten, was als angenehm empfunden wird und was nicht. Die Gehirnleistung zum stereoskopischen Zusammenbau zweier Bilder sinkt bei Signalen nur durch ein Auge erheblich. Das ist einer der Gründe, weshalb sich Ferngläser so perfekt zur Himmelsbeobachtung eignen. Am Teleskop bietet sich der Einsatz eines Binokular-Ansatzes an. Doch neben den beträchtlichen Kosten (so muss jedes Okular zweimal vorhanden sein) hat dieses Zubehör den großen Nachteil, dass die Lichtmenge, die jedes einzelne der beiden Augen erreicht, weniger als die Hälfte beträgt: Das Licht wird geteilt, und hinzu kommt der Verlust in den zusätzlichen optischen Elementen. Zudem liefern manche Binokular-Ansätze nur ein recht beschränktes Gesichtsfeld.
Sehen oder Nichtsehen?
Jedes Himmelsobjekt hat seine Nacht und sein Instrument. Ich habe im Laufe der Jahre immer wieder Überraschungen erlebt, die sich vor allem durch die sich ständig wandelnden Beobachtungsbedingungen, aber auch durch den Einsatz verschiedener Okulare mit unterschiedlicher Austrittspupille erklären lassen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die zur Lokalen Gruppe gehörende Spiralgalaxie Messier 33 im Sternbild Dreieck. Da es sich um ein kontrastarmes Objekt mit großer Gesamthelligkeit (5,7 mag), jedoch geringer Flächenhelligkeit handelt, scheint es bei zu lichtverschmutztem Nachthimmel oder zu unruhiger Luft im Himmelsgrau zu verschwinden. Spielt man zu unterschiedlichen Zeiten am Teleskop mit verschiedenen Vergrößerungen, so zeigt sich dieses scheue Himmelsobjekt mal weniger deutlich und dann wieder so detailreich, dass es einem den Atem verschlägt. Wie man mit seiner Teleskoptechnik spielt, beschreibe ich in Teil 4 dieser Serie zur visuellen Deep-Sky-Beobachtung.
Ist es gar Einbildung?
Beobachtet man Objekte am Rande der Wahrnehmungsfähigkeit, muss einem klar sein: Das Gehirn, das die sehr schwachen Sinnesreize verarbeitet, die die Netzhaut empfängt, spielt einem leicht einen Streich. Mitunter meint man Strukturen zu erkennen, die bei erneuter Betrachtung oder durch einen anderen Beobachter nicht gesehen werden. Man bildet sich ein, Dinge zu sehen, doch sind das dann keine Photonen, sondern Neuronengewitter im eigenen Gehirn. Ein berühmtes Beispiel hierfür sind die „Marskanäle“. Erstmals wurden diese Oberflächenformen von dem italienenischen Astronomen Giovanni V. Schiparelli im Jahr 1877 beschrieben, der sogenannte „canali“ (italienisch für Rinne oder Furche) auf dem Roten Planeten auszumachen glaubte, und damit die Fantasie seiner Zeitgenossen mächtig anheizte. Schon recht bald zeigte sich, dass Schiaparellis Beobachtungen offenbar auf Sinnestäuschungen beruhten. Jeder Himmelsbeobachter kann ganz ähnlichen Täuschungen erliegen.
In dieser Erkenntnis liegt nun kein Drama, sondern großes Potenzial: Steuert man einfach einzelne Himmelsobjekte immer wieder an, erkennt man andere Strukturen und entdeckt Neues. Eine einfache Methode gegen Sinnesstreiche: Entspannungspausen beim Beobachten. Kurz beide Augen schließen, dann erneut hinschauen und zwischen den beiden oben beschriebenen Techniken des indirekten Sehens wechseln.
Auch wenn es sinnvoll ist, sich einzelnen Deep-Sky-Objekten längere Zeit zu widmen und nicht schon nach kurzer Zeit das nächste, das übernächste und das überübernächste ins Okular zu holen, so muss man das Verweilen an einem Objekt auch nicht übertreiben. Ich habe mir angewöhnt, durchaus zwischen verschiedenen Himmelsobjekten unterschiedlicher Flächenhelligkeit zu pendeln, beispielsweise nach einer Galaxie einen Kugelsternhaufen ins Okular zu nehmen, später zur Galaxie zurückzukehren. Wechselt man ohne Hektik zwischen zwei bis drei – freilich nahe beieinander liegenden – unterschiedlichen Deep-Sky-Objekt-Typen, stellt man fest, dass man mehr Details am Einzelobjekt erkennt.
Unter dem Sternenhimmel
Während der Beobachtung haben wir es mit natürlichen Einflüssen zu tun, die von der Konzentration, die erfolgreiches teleskopisches Sehen erfordert, ablenken können: Dunkelheit, Kälte, Wind oder Taunässe. Hinzu kommen bei einigen Himmelsbeobachtern Ängste, weil man sich in dunkler Umgebung aufhält und ungewohnte Geräusche, etwa aus einem angrenzenden Wald, ans Ohr dringen. In einem Internetforum berichtete ein Sterngucker, er drehe – am Teleskop und nachts allein im Feld – sein Autoradio laut auf. Ich denke, es gibt effektivere Methoden, potenziell vorhandene Ängste zu besiegen. In einem Blogpost mit dem Titel „Angst unterm Sternhimmel“, den ich vor einigen Jahren schrieb, suche ich nach Gründen für solcherlei Ängste.
Gut zu wissen ist es zum einen, dass sich an abgelegenen Beobachtungsorten nur in extrem seltenen Fällen Konflikte zwischen Beobachtern und eventuell negativ gestimmten Zeitgenossen ergeben können. Gut zu wissen ist es zudem, dass die allermeisten Tiere nächtliche Besucher in ihrem Revier fein registrieren, aber einen großen Bogen um sie machen. Ich persönlich hatte in all meinen Beobachterjahren noch nie unschöne Begegnungen mit Menschen oder Tieren. Im Gegenteil: Ich genieße bei nächtlichen Beobachtungstouren – in einer übrigens sehr wildschweinreichen Gegend – die Einsamkeit und die Ruhe, die dann vielleicht vom Ruf eines Waldkauzes durchdrungen wird. Sternegucken ist ein stets aufs Neue herrliches Naturerlebnis!
Wie man den eventuell als widrig empfundenen Umständen am Beobachtungsort trotzen kann, vertiefe ich in der kommenden Folge dieser Artikelreihe. Hier mag die Empfehlung genügen, sich mit dem Teleskop, Okularen, Zubehör und Himmelskarten schon im Vorfeld einer Beobachtungsnacht so gut vertraut zu machen, dass auch bei Dunkelheit jeder Handgriff sitzt und nichts von der am Okular unbedingt notwendigen Konzentration ablenkt.
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Anhang: Literaturtipps
Je tiefer das Wissen über Himmelsobjekte ist, desto faszinierender sind eigene Beobachtungen. Dasselbe gilt für die Kenntnis über Beobachtungsinstrumente. Hier eine kleine Auswahl hilfreicher Literatur, die viele Fragen beantwortet:
- Jeffrey Bennet et al.: Astronomie – Die kosmische Perspektive. Person Studium, München, 5. Auflage, 2009. Ein umfangreiches und didaktisch hervorragendes Lehr- und Nachschlagewerk mit großem Tiefgang.
- Hans-Ulrich Keller: Kompendium der Astronomie – Zahlen, Daten, Fakten. Kosmos Verlag, Stuttgart, 6. Auflage 2019. Ein auf harte Fakten reduziertes Werk, das von Auflage zu Auflage wertvoller geworden ist.
- Lambert Spix: Fern-Seher – Ferngläser für Astronomie und Naturbeobachtung. Oculum-Verlag, Erlangen, 1. Auflage 2009. Ein Wegweiser für ein für Himmelsbeobachtungen bestens geeignetes Instrument.
- Ronald Stoyan: Fernrohr-Führerschein in 4 Schritten, Oculum-Verlag, Erlangen, 7. Auflage, 2015. Insbesondere angehenden Amateurastronomen bietet dieser Ratgeber eine Fülle brauchbarer Informationen für Auswahl und Bedienung eines astronomischen Beobachtungsinstruments.
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Die Folgen der Serie „Deep-Sky-Objekte mit den eigenen Augen erkunden“
- Teil 1: Das teleskopische Sehen
- Teil 2: Die Planung der Beobachtungsnacht
- Teil 3: Wie finde ich Himmelsobjekte?
- Teil 4: Das Teleskop
- Teil 5: Die Dokumentation
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Es handelt sich bei diesem Text zur visuellen Deep-Sky-Beobachtung um den ersten Teil einer überarbeiteten und erweiterten Version einer ursprünglich für die Zeitschrift "Sterne und Weltraum" verfassten Artikelserie.