Wer war der erste Mensch?

Wann und wo sich die Gattung Homo entwickelte – also das Menschsein an sich – erscheint dank aktueller Forschungen in neuem Licht

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Das Foto zeigt eine trockene, braune Graslandschaft mit einzelnen Büschen und Bäumen dazwischen, im Hintergrund sanft geschwungen Hügel. Hier entdeckten Forschende in Karsthöhlen zahlreiche Relikte aus der menschlichen Verwandtschaft. Die Drimolen-Fossilienfundstätte liegt in der Nähe von Kromdraai in Südafrika.

Bislang galten vor allem Angehörige der Art Homo habilis als erste Menschen. Doch ein neuer Fund aus Südafrika und Studien an Gehirnen von Frühmenschen lassen daran Zweifel aufkommen: Vielleicht war die Art Homo ergaster, genannt auch H. erectus, der erste „echte“ Vertreter der Menschheit.

Der Bibel nach ist die Sache klar: Adam und Eva waren die ersten Menschen, von Gott geschaffen und schon genauso aussehend wie heutige Exemplare des Homo sapiens. Die Naturwissenschaft tut sich da schwerer. Forschende sind davon überzeugt, der Mensch habe sich aus einem affenähnlichen Wesen entwickelt – allmählich und über viele Zwischenstufen. Doch welches war das entscheidende Stadium, an dem sich nicht mehr von einem Affen, sondern schon von einem Menschen, von einem Homo, sprechen lässt? Wann und wo vollzog sich dieser Schritt?

Heute stehen drei Kandidaten im Fokus der Forschung, die als Anfang der Gattung Homo in Frage kommen: Homo habilis, Homo rudolfensis und Homo ergaster (von vielen Forschenden auch als frühe, afrikanische Form des Homo erectus angesehen). Sie werden als Frühmenschen bezeichnet.

Homo habilis existierte vor 2,4 bis 1,4 Millionen Jahren

Die ersten Fossilien von Homo habilis grub das berühmte Paläoanthropologen-Ehepaar Louis und Mary Leakey im Jahr 1960 in der Olduvai-Schlucht in Tansania aus. Doch mit der Veröffentlichung und Namensgebung ließ Louis sich bis 1964 Zeit, um sorgfältig zu begründen, dass es sich um einen Menschen handelt. Denn zwar stellte das Wesen offenbar Werkzeuge her, aber das Gehirn war mit einem Volumen von rund 600 Kubikzentimetern noch recht bescheiden. Die Fossilien von Homo habilis fallen in eine Zeitspanne zwischen 2,4 und 1,4 Millionen Jahren vor heute.

Zu sehen ist die aus Bruchstücken zusammengesetzte, bräunlich-weiße Schädeldecke eines Homo erectus, auch Homo ergaster genannt. Das Fossil aus der Fundstätte Drimolen ist rund zwei Millionen Jahre alt.
Diese Schädeldecke eines jungen Homo erectus/ergaster fand sich in der Fossilienlagerstätte Drimolen in Südafrika und ist rund zwei Millionen Jahre alt – der älteste Fund dieser Menschenart

Etwas mehr Hirn – 750 Kubikzentimeter – besaß Homo rudolfensis, der vor 2,4 bis 1,8 Millionen Jahren ebenfalls in Ostafrika lebte und 1972 erstmals beschrieben wurde. Drei Jahre später entdeckte Richard Leakey, Sohn von Mary und Louis, den dritten Kandidaten: Homo ergaster. Mit 850 Kubikzentimeter Gehirnvolumen und einem – wie spätere Funde zeigten – perfekt ans Laufen angepassten, fast schon dem heutigen Menschen entsprechendem Körperbau, wirkt diese Art viel fortschrittlicher. Den damaligen Fossilfunden nach begann ihre Existenz vor rund 1,8 Millionen Jahren in Ostafrika.

Drei Kandidaten für den ersten Menschen

Wer von ihnen ist nun der Pionier und womöglich unser aller Vorfahr? Nimmt man die Datierungen als Maß, dann haben Homo habilis sowie Homo rudolfensis die besseren Argumente auf ihrer Seite: Sie tauchten schon vor 2,4 Millionen Jahren auf, waren somit früher da als Homo ergaster. Als wahrscheinlichster Kandidat galt Homo habilis. Doch im vergangenen Jahr verkündeten Forschende im Fachjournal Science eine kleine Sensation. Ein internationales Team unter australischer und US-amerikanischer Leitung hatte die versteinerten Bruchstücke einer Schädeldecke untersucht, die aus der Fossilienfundstätte Drimolen in Südafrika stammte. Das Ergebnis: Es handelt sich um die Relikte einen jungen Homo erectus (nach anderer Nomenklatur: Homo ergaster). Die Datierung ergab das erstaunliche Alter von 2,04 bis 1,95 Millionen Jahren.

„Das Alter des Fossils zeigt, dass Homo erectus 150.000 bis 200.000 Jahre früher existierte, als bislang angenommen“, betont der Australier Andy Herries, einer der führenden Wissenschaftler der Studie. Erstaunlich aber ist, dass dieses älteste Relikt eines Homo erectus/ergaster in Südafrika auftauchte.

Stammt Homo erectus/ergaster aus Südafrika?

„Bis zu diesem Fund haben wir immer angenommen, Homo erectus habe sich in Ostafrika entwickelt“, sagt die Paläoanthropologin Stephanie Baker von der Universität Johannesburg, die ebenfalls an den Untersuchungen mitgewirkt hat. Stattdessen könne die Art auch aus Südafrika stammen, sich von dort nach Ostafrika und dann über den Rest der Welt ausgebreitet haben.

Homo erectus, erklären die Forschenden, habe dort gleichzeitig mit zwei anderen Typen aus der menschlichen Verwandtschaft gelebt: Mit Australopithecus africanus und Paranthropus robustus: Sie gehören zu den Vormenschen, das heißt sie liefen zwar bereits aufrecht, hatten aber noch eher affenähnliche Köpfe und Gehirne. Diese Koexistenz dreier Arten der menschlichen Familie war nur möglich, weil sie sich auf unterschiedliche Lebensweisen spezialisiert hatten. Paranthropus etwa konzentrierte sich bei der Ernährung auf Wurzeln und Knollen, die er mit seinen Riesenzähnen knackte (daher seine populäre Bezeichnung „Nussknackermensch“). Der größere Homo erectus/ergaster dagegen bevorzugte wohl Früchte und Beeren, verschmähte aber auch Fleisch nicht.

Abgebildet ist die Paläoanthropologen von der Universität Johannesburg. Sie blickt in die Kamera und hält in ihren Händen die Schädeldecke eines zwei Millionen Jahre alten Homo erectus/ergaster, an dessen Entdeckung sie mitgearbeitet hat. Möglicherweise, vermutet sie, sei diese Urmenschenart in Südafrika entstanden.
Die südafrikanische Paläoanthropologin Stephanie Baker war an der Entdeckung des ältesten Fossils eines Homo erectus/ergaster beteiligt. Sie glaubt, dass sich diese Art in Südafrika entwickelte und von dort nach Ostafrika und über die ganze Erde ausbreitete

Die frühe Existenz von Homo erectus/ergaster in Südafrika wirft Fragen auf. Hat sich dieser Frühmensch womöglich unabhängig von den anderen entwickelt? Hinzu kommt, dass sowohl Homo habilis als auch Homo rudolfensis noch vieles an sich haben, das an Vormenschen erinnert. H. habilis etwa war mit 1,35 Meter recht klein, besaß lange Arme und kurze Beine, sowie gekrümmte Finger ähnlich wie Schimpansen. Die Füße waren menschenähnlich, hatten jedoch noch kein Fußgewölbe, so dass der Gang anders war als der späterer Menschenarten.

Manche Forschende gehen sogar so weit zu folgern, man müsse sowohl H. habilis als auch H. rudolfensis das Menschsein absprechen und sie nicht der Gattung Homo zuordnen, sondern den Vormenschen – und sie als Australopithecus habilis bzw. A. rudolfensis bezeichnen.

Klar ist auf jeden Fall, dass Homo erectus/ergaster mit seinem größeren Gehirn und dem Körperbau eines Langstreckenläufers – die Füße besitzen bereits ein Gewölbe, das den Gang federn lässt – sehr viel näher am heutigen Menschen ist. Und auch die Struktur des Denkorgans hat sich weiterentwickelt, wie eine im April dieses Jahres in Science veröffentlichte Studie belegt.

Im Computertomografen offenbart sich die Hirnstruktur

Ein internationales Forscherteam unter Federführung von Christoph Zollikofer und Marcia Ponce de León vom Anthropologischen Institut der Universität Zürich hatte die fossilen Schädel verschiedener Urmenschenformen im Computertomografen durchleuchtet. Da die Gehirnwindungen und –furchen an der Innenseite des Schädels quasi eine Art Fingerabdruck hinterlassen, vermochten die Forschenden die Strukturen der Organe auch bei den längst ausgestorbenen Frühmenschen zu analysieren – und sowohl mit heutigen Menschen als auch mit Menschenaffen zu vergleichen.

Das Foto zeigt zwei helle Urmenschen-Schädel, die sich gegenüberstehen und ansehen. Blau eingezeichnet sind die Hirnstrukturen. Der linke Schädel, aus Georgien stammend, wirkt primitiver, der rechte Schädel ist größer und wirkt fortschrittlicher. Vor allem das Stirnhirn ist dort stärker entwickelt und lässt auf höhere geistige Fähigkeiten schließen.
Anhand von Computertomografien rekonstruierten Forschende der Universität Zürich die Gehirne von Urmenschen. Der linke Schädel aus Dmanisi, Georgien, zeigt ein noch affenähnliches Gehirn, der rechte Schädel aus Indonesien modernere Strukturen mit stärker ausgeprägten Bereichen für höhere geistige Fähigkeiten im Stirnbereich

„Typisch menschlich sind jene Hirnregionen im Stirnbereich, die für die Planung und Ausführung von komplexen Denk- und Handlungsmustern und letztlich auch für die Sprache zuständig sind“, erklärt Ponce de León. Beim Menschen seien sie deutlich vergrößert, so dass sich alle benachbarten Hirnregionen weiter nach hinten verlagerten.

Das Ergebnis der Studie: Bei den ersten Frühmenschen – H. habilis, H. rudolfensis, aber auch dem frühen H. ergaster – waren diese modernen Strukturen noch nicht ausgeprägt. Erst vor 1,7 Millionen Jahren tauchen sie auf – und zwar bei einem ostafrikanischen Homo ergaster. Dann aber breiteten sich die modernen, typisch menschlichen Gehirne rasch von Afrika auch nach Asien aus. Nicht zufällig, so glaubt die Anthropologin Ponce de León, wurden die Steinwerkzeuge in jener Periode komplexer und vielfältiger. Und: „In diesem Zeitraum haben sich wohl auch die frühesten Formen menschlicher Sprache entwickelt.“

Demnach entwickelte sich das typisch menschliche Gehirn erst recht spät und lange nach der Wandlung vom Vormenschen zum Frühmenschen. Offenbar spielt auch hier Homo ergaster eine wichtige Rolle. Damit wachsen die Zweifel, ob Homo habilis der beste Kandidat für das Bezeichnung „erster Mensch“ ist. Und die Einschätzung hängt sicher davon ab, wie Forschende den Begriff „Mensch“ definieren. Eine gängige Beschreibung umfasst neben einem Gehirn von mindestens 600 Kubikzentimetern die Fähigkeit planvoll Werkzeuge herstellen zu können und über höhere geistige Fähigkeiten zu verfügen – darunter die Sprachfähigkeit. Hier kann Homo ergaster punkten und tatsächlich sehen manche Forschende in dieser Art den ersten „wirklichen Menschen“.

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