Was macht Sars-CoV-2 so gefährlich im Vergleich zu anderen Coronaviren?
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Kurze Antwort:
Es gibt sieben verschiedene Typen in der Gruppe der Coronaviren. Die meisten lösen nur leichte Erkältungserkrankungen aus. Sars-CoV-2 benutzt aber wie der Sars-Erreger 2002/2003 einen speziellen Weg, um in die Zellen des Körpers einzudringen, besonders effektiv. Deshalb ist das Virus besonders gefährlich für die Lunge und greift zudem auch die Gefäße in anderen Organen an.
Erklärung:
Coronaviren sind schon lange bekannt. Dieser Krankheitserreger wurde beim Menschen in den 1960er Jahren erstmals entdeckt. Vier Virentypen zirkulieren weltweit in der Bevölkerung: CoV OC43, CoV NL63, CoV 229E und CoV HKU1. Sie sind für etwa zehn Prozent der Erkältungserkrankungen verantwortlich, die aber meistens einen milden Verlauf nehmen. Zwei andere Coronaviren (Sars-CoV und Mers-CoV) lösten im Jahr 2003 und 2012 kleinere Epidemien aus.
Experten können die bekannten Viren und das neue Sars-CoV-2 durch den genetischen Fingerabdruck voneinander unterscheiden. Die Verbreitung dieser sechs Coronaviren und anderer Erreger, die Atemwegsinfektionen auslösen, wird täglich beobachtet. Seit 2009 sammelt das Netzwerk für respiratorische Viren die Laborbefunde bei Patienten mit Symptomen in Deutschland. Durch diese regelmäßigen Untersuchungen wissen die Forscher, dass manche Typen der Coronaviren den Herbst und Winter bevorzugen, andere aber auch im Sommer aktiv bleiben.
Coronaviren verhalten sich sehr verschieden
Ende 2019 entdeckten Wissenschaftler in China ein neuartiges Coronavirus, das besonders schwere Atemwegserkrankungen verursacht. Dieses Virus erhielt im Februar 2020 von der Weltgesundheitsorganisation den Namen Sars-CoV-2. Coronaviren verhalten sich sehr unterschiedlich, obwohl sie zur gleichen Virusfamilie gehören. Der Lungenarzt Wolfgang Wodarg macht beispielsweise in seinen Videos den Fehler, alle Coronaviren in einen Topf zu werfen. Doch der neuartige Erreger hat eine besonders gefährliche Eigenschaft, die Wodarg ignorierte.
Sars-CoV-2 dringt über einen anderen Rezeptor in die Zellen
Alle Coronaviren verwenden ein Protein auf ihrer äußeren Hülle, damit sie in die Zellen des Körpers eindringen können und zudem bestimmte Eintrittspforten in menschliche Zellen. Sars-CoV-2 benutzt wie der Sars-Erreger aus der Epidemie 2002/2003 als Pforte den Rezeptor ACE2. Das neuartige Virus bindet aber ersten Untersuchungen zufolge zehn bis zwanzig Mal stärker an diesen Rezeptor als der Erreger der ersten Sars-Epidemie.
Normalerweise gehört zu den Aufgaben des ACE2-Proteins, die Lungen vor Schädigung zu schützen. Diese wichtige Funktion von ACE2 scheint durch die Infektion mit Sars-CoV-2 unterdrückt zu werden. Außerdem findet sich dieser Rezeptor auch auf Herzmuskelzellen und bei Zellen, die Gefäße bilden. Das ACE-System zählt zu den wichtigsten Regulationssystemen des Körpers und übt einen sehr großen Effekt auf das Herz-Kreislauf-System aus.
Bei Covid-19 entzünden sich Gefäße in den Organen – nicht nur der Lunge
Pathologen am Universitätsspital Zürich haben bei Obduktionen entdeckt, dass die Covid-19-Verstorbenen nicht nur an einer Entzündung der Lunge litten. Die Entzündung betraf das gesamte Gefäßsystem (Endothel) verschiedenster Organe: Herz-, Hirn-, Lungen- und Nierengefäße sowie Gefäße im Darmtrakt. Bei Vorerkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, Herzinsuffizienz oder koronaren Herzkrankheiten ist die Funktion des Endothels ohnehin bereits eingeschränkt. So ließen sich die hohen Todesraten bei Menschen mit Vorerkrankungen erklären.
Das Endothel jüngerer Patienten komme mit dem Angriff der Viren meistens gut zurecht, berichten die Züricher Forscher. Dieser Befund der Pathologen ist nicht mehr als nur ein erster Hinweis. Die Forschung, ob der Mechanismus über die ACE2-Rezeptoren einer der Gründe für die höhere Sterblichkeit bei Sars-CoV-2 im Vergleich zu den anderen Coronaviren ist, wird noch Jahre dauern. (Rainer Kurlemann)
Letzte Aktualisierung am: 12.06.2020
QUELLEN:
- Pressebriefing Science Media Center, Pressebriefing zum Thema Coronaviren und Herzerkrankungen, 6.4.2020.
- Universitätsspital Zürich, Pressemeldung zu einem Lancet-Paper
- Clinical Virology Network, aktuelle Daten auf der Webseite
- Wenhui Li, Jianhua Su, Journal of Virology:, Human Coronavirus HKU1 Spike Protein Uses O-Acetylated Sialic Acid as an Attachment Receptor Determinant and Employs Hemagglutinin-Esterase Protein as a Receptor-Destroying Enzyme
- Daniel Wrapp et al, Cryo-EM structure of the 2019-nCoV spike in the prefusion conformation, Science Magazine, 13. März 2020
- Michael Letko et al., Functional assessment of cell entry and receptor usage for SARS-CoV-2 and other lineage B betacoronaviruses, Nature Microbiology, 24. Februar 2020
Anmerkung: In einer früheren Version dieses Eintrags stand, dass nur das neuartige Virus Sars-CoV-2 den ACE2-Rezeptor als Eintrittspforte nutzen. Dies ist jedoch auch beim Erreger der Sars-Epidemie 2002/2003 so. Wir haben den Eintrag entsprechend verändert.