Evolution: Die Erfindung der Großmutter

Bereits in der Mitte ihres Lebens beenden Frauen ihre fruchtbare Phase und bekommen keine Babys mehr – im Gegensatz zu fast allen Tierarten. Was ist der biologische Sinn dahinter und weshalb ist es bei Männern anders?

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Das Foto zeigt eine weißhaarige, alte Frau mit Küchenschürze, die von einem lächelnden jungen Mädchen mit rot-weiß-karierter Kochmütze umarmt wird. Vor ihnen ein Gebäck. Sie befinden sich in einer altertümlichen Küche, hinter sich eine unverputzte Mauer aus roten Ziegelsteinen mit Ablage und Hängeschränken.

Wird ein Mädchen geboren, dann trägt es in seinem Körper bereits das Fortpflanzungspotenzial für sein gesamtes Leben: Mehrere hunderttausend Eizellen, die in den Eierstöcken enthalten sind. Bis zur Pubertät verharren sie in einem Schlummerzustand, ab da reift eine Eizelle pro Monat heran – und kann, von einer männlichen Samenzelle befruchtet, zu einem Baby werden. Vermehren werden sich die Eizellen jedoch niemals mehr (im Gegensatz dazu können Männer bis ins hohe Alter ständig neue Samenzellen bilden). Mehrere Jahrzehnte lang kann eine Frau nun Kinder bekommen, doch dann – in der Regel zwischen dem 46. und 54. Lebensjahr – geschieht etwas im Tierreich extrem Ungewöhnliches: Sie kommt in die Menopause und gebiert danach keine Babys mehr.

Nach der Menopause hat eine Frau beste Chancen, mehrere Jahrzehnte bei guter Gesundheit weiterzuleben – auch bei Naturvölkern. Aus evolutionsbiologischer Sicht erscheint das rätselhaft: Weshalb sollte ein Lebewesen darauf verzichten, weitere Nachkommen in die Welt zu setzen, wo es doch immer nur darum geht, seine eigenen Gene zu vermehren? Zwar verlieren auch die Weibchen anderer Spezies – etwa Gorillas, Pavianen, Bisons oder Elefanten – irgendwann ihre Fortpflanzungsfähigkeit, doch geschieht das erst kurz vor ihrem Tod. Tatsächlich sind unter den Säugetieren außer dem Homo sapiens bislang nur vier Arten bekannt, deren Weibchen nach der Menopause noch lange weiterleben und es sind allesamt Meeressäuger: Orcas, Kurzflossen-Grindwale, Narwale und Belugawale. Was steckt dahinter?

In Afrika beim Volk der Hazda kommt Kristen Hawkes die entscheidende Idee

Schon in den 1950er Jahren machte sich ein englischer Zoologe über das Phänomen Gedanken und stellte eine Hypothese auf: Ältere Frauen, die selbst keine Kinder mehr bekommen, könnten dabei helfen, ihre Enkel aufzuziehen und so ihre eigenen Gene fördern. Denn jedes Enkelkind trägt ja auch einen genetischen Anteil der Großmutter in sich. Die sogenannte „Großmutter-Hypothese“ wurde dann von anderen Biologen aufgegriffen, vor allem aber in den 1990er Jahren durch die Anthropologin Kristen Hawkes von der Universität Utah und ihren Kollegen populär gemacht.

Hawkes hatte in den 1980er Jahren in Tansania Menschen vom Jäger-und-Sammler-Volk der Hazda besucht und beobachtet. Dabei war ihr aufgefallen, dass ältere Frauen viel Zeit damit verbrachten, Knollen und andere Nahrung für ihre Enkelkinder zu sammeln. Die Anthropologin überlegte, wann und warum dieses Verhalten wohl entstanden sein konnte und vermutete: Es könnte vor rund zwei Millionen Jahren geschehen sein. Denn damals wurde das Klima in Afrika trockener, breiteten Steppen sich aus, während die Wälder schrumpften. Dadurch verschlechterten sich die Lebensbedingungen der menschlichen Vorfahren, die zwar bereits aufrecht liefen, sich aber noch in einem Übergangsstadium zum eigentlichen Menschen (Homo) befanden. Fiel es den weiblichen Exemplaren dieser Vormenschen im Regenwald relativ leicht, saftige Früchte für ihren Nachwuchs zu finden, wurde es im offenen, trockenen Grasland schwieriger, die Kleinkinder zu ernähren. Da hatten jene einen Überlebensvorteil, die Hilfe von ihren eigenen Müttern erhielten – also Großmüttern, die selbst keine eigenen Babys mehr durchbringen mussten und nun für ihre Enkel nach kartoffelähnlichen Knollen graben oder hartschalige Nüsse knacken konnten.

Das historische Schwarzweißfoto zeigt 19 Mitglieder einer finnischen Familie, die vor der Bretterwand eines Holzhauses posieren. Es sind Frauen, Männer und Kinder unterschiedlichen Alters, die mit ernstem Blick in die Kamera schauen, alle herausgeputzt mit Blusen und Röcken bzw. Kleidern oder mit Anzügen.
Die Analyse von finnischen Kirchenregistern aus den Jahren 1731 bis 1890 ergab: Wo Großmütter in den Familien mithalfen, überlebten 30 Prozent mehr Kleinkinder
Zu sehen sind mindestens sieben Schwertwale, deren Rückenflossen und Oberseiten teilweise aus dem grauen Meer ragen und die alle in die gleiche Richtung – auf dem Foto nach links – schwimmen. Im Hintergrund eine hoch aufragende Felsenküste mit viel Bewuchs, vor allem Nadelbäume.
Schwertwale (Orcas) – hier vor der amerikanischen Westküste – gehören zu den wenigen Tierarten, bei denen die Weibchen ebenfalls ihre Fortpflanzungsfähigkeit einstellen und als Großmütter ihre Enkel unterstützen
Vor einer Grashütte in einer Steppenlandschaft sitzen mehrere San-Frauen unterschiedlichen Alters auf trockenem, rötlichem Sandboden. Eine jüngere Frau steht links vor dem Eingang der Hütte und trägt ein Kleinkind auf Arm und Hüfte. Der Himmel ist blau und wolkenlos.
Menschen vom Volk der San (auch als !Kung bekannt) in Namibia lebten noch vor kurzem allein vom Jagen und Sammeln. Zwar beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung unter früheren Bedingungen nur 30 Jahre, doch werden viele Frauen alt genug, um als Großmütter ihre Kinder und Enkel unterstützen zu können
Das Gesicht einer Frau mit kurzen, grauen Haaren, vielen Lachfalten im Gesicht und zu einem Lächeln entblößten großen Zähnen ist zu sehen. Hinter ihr eine Wand mit Porträtfotos von Schimpansen, Bonobos, Organ-Utans und Gorillas.
Sie machte die Großmutter-Hypothese populär: Kristen Hawkes, Professorin an der Universität Utah in den USA, hatte in den 1980er Jahren Jäger und Sammler in Tansania beobachtet und festgestellt, wie intensiv Großmütter ihre Enkelkinder unterstützten
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