Alzheimer-Medikamente in Europa vor der Zulassung: Was bringen sie wirklich?

Der Neurobiologe Christian Behl beschreibt im Interview die einseitige Ausrichtung der Forschung auf die Amyloid-Hypothese als Hauptgrund dafür, warum es bis heute keine wirksamen Medikamente gegen die Alzheimer-Demenz gibt.

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Ein mittelalter Mann mit grauen kurzen Haaren, einem grauen Bart und Drilles schaut in die Kamera. Im Hintergrund ein Moderens Gemälde.

Noch für diesen Winter rechnen Fachleute mit der Zulassung eines therapeutischen Antikörpers zur Behandlung der Alzheimer-Demenz auch in Europa: Lecanemab ist in den USA bereits seit Januar 2023 vorläufig, seit Juli 2023 regulär für die Behandlung zugelassen. Bald könnten also auch hierzulande PatientInnen den therapeutischen Antikörper per Infusion erhalten, damit er in ihren Gehirnen die verklumpten Eiweiße (Beta-Amyloide) abräumt. Doch wird das Medikament wirklich der Hoffnung gerecht, die es weckt?

In einer klinischen Studie konnte Lecanemab den geistigen Abbau verlangsamen – zumindest ein wenig. Der Behandlungsansatz des Medikamentes basiert auf der „Amyloid-Kaskaden-Hypothese“, die vor etwas mehr als 30 Jahren erstmals formuliert wurde: Danach setzen unlösliche Peptide, Beta-Amyloide, den Startschuss für den Abbau von Nervenzellen. Die Peptide werden von Nervenzellen gebildet, außerhalb (extrazellulär) abgelagert und bilden dort die so genannten Plaques.

Durch diesen Prozess initiiert, verklumpt auch noch ein anderes Eiweiß innerhalb der Zellen, das Tau-Protein, wodurch die typischen Alzheimer-Fibrillen oder „Tangles“ entstehen. Beta-Amyloid und Tau – soweit die These – sorgen dafür, dass die empfindlichen Nervenzellen langsam absterben. Geschieht dies in einem größeren Ausmaß, leiden Gedächtnis und Orientierung der Betroffenen zunehmend. Die Ablagerung unlöslicher Moleküle im Gehirn beginnt meist schon Jahrzehnte bevor erste Symptome zu Tage treten.

Christian Behl ist Neurobiologe und Direktor des Instituts für Pathobiochemie an der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Er erforscht seit vielen Jahren die Mechanismen der Neurodegeneration, vor allem im Alterskontext. In seinem im Juli 2023 erschienenen Buch „Alzheimer's Disease Research – What Has Guided Research So Far and Why It Is High Time for a Paradigm Shift“ kritisiert er die einseitige Ausrichtung der Alzheimer-Forschung auf die Amyloid-Hypothese – nach Behls Ansicht einer der Gründe, warum nach jahrzehntelanger Forschung noch immer kein wirklich überzeugend wirksames Medikament gegen die Alzheimer-Demenz oder gar eine echte Heilung zur Verfügung steht.

Das Foto zeigt ein Buch-Cover, weiße Schrift auf blauem Hintergrund, das Alzheimer-Buch von Christian Behl.
Das Buch von Christian Behl beschäftigt sich mit alternativen Pathomechanismen der Alzheimer-Demenz