Lebensfreundliches Universum
Lange glaubten Astronomen, die lebensfreundlichen Nischen des Universums seien selten und die Erde eine einzigartige Oase. Doch von dieser Annahme haben sie sich längst verabschiedet.
Für Astronomen war es lange eine Art Dogma: Leben kann nur auf Welten gedeihen, die ihrem Stern nicht zu nah und nicht zu fern sind. Nur in dieser "habitablen Zone" kann Wasser fließen, das als Voraussetzung für Leben gilt. Ist ein Planet weiter von seiner Sonne entfernt, gefriert es zu dicken Gletschern. Ist er näher dran, verdampft das Wasser und wird von Sternenwinden ins All geblasen, während etwaige Mikroorganismen in sengender Hitze vergehen. Nur wenn eine Welt Milliarden von Jahren in der habitablen Zone bleibt, hat Leben eine Chance, so lautete die Annahme der Forscher. Mittlerweile gilt sie als überholt: Die Vielfalt tausender neu entdeckter Exoplaneten und Funde in unserem Sonnensystem sprechen eher dafür, dass es weit mehr lebensfreundliche Nischen im Universum gibt als lange vermutet.
Die Geschichte der habitablen Zone reicht bis ins Jahr 1977 zurück. Damals führte der US-Astronom Michael Hart Computersimulationen durch, die ihn zu einem pessimistischen Schluss verleiteten: Demnach schien es um viele Sterne tatsächlich einen lebensfreundlichen Bereich zu geben. Der ist aber nur ausgesprochen schmal: Erdähnliche Bedingungen könnten sich auf Planeten nur in diesem engen Band entwickeln, das bei einem sonnenähnlichen Stern ungefähr der Erdbahn entspricht. Jenseits dessen wartet der Tod, vermutete Hart.
Als das Leben der Erde überraschte
Als die Arbeit von Michael Hart erschien, war die Existenz ferner Planeten allerdings nicht viel mehr als ein Gedankenexperiment: Bis zur Entdeckung des ersten Exoplaneten im Jahr 1995 glaubten nur wenige Forscher, dass es überhaupt Welten im Orbit fremder Sterne gibt. So waren es zunächst Entdeckungen auf der Erde, die den schmalen Streifen der habitablen Zonen anwachsen ließen. Biologen entdeckten Mikroorganismen an vielen extremen Orten: in der Tiefsee in heißen Quellen mit bis zu 122 Grad Celsius, hunderte Meter unter dem Gletschereis der Antarktis und Kilometer tief in der Erdkruste, wo viele Mikroben unter immensem Druck chemische Energie direkt aus dem Gestein gewinnen. Sogar im havarierten Kernreaktor von Tschernobyl sprießen Pilze.
Auch eine Einsicht der Geowissenschaften half dabei, die habitable Zone zu vergrößern. Demnach geriet das Erdklima im Lauf der Geschichte immer wieder in den Randbereich der Bewohnbarkeit, ging jedoch nie über ihn hinaus. Mal bedeckten gewaltige Gletscher die gesamte Oberfläche, mal führte ein Superkontinent nahe der Tropen eine globale Trockenzeit herbei. Aber das Leben überdauerte: Es hielt so lange aus, bis die Eispanzer schmolzen oder polwärts driftende Kontinente die Trockenheit beendeten.
Wissenschaftler erkannten, dass die Erde solchen Veränderungen über geologische Prozesse entgegenwirkt: Bei ausgeprägter Trockenheit führt in die Tiefe absinkendes Gestein Kohlendioxid aus der Atmosphäre ab, wodurch die Lufttemperaturen sinken. Während kalter Epochen setzt unser Planet hingegen CO2 über Vulkane frei – und taut die erstarrende Erde mittels des Treibhauseffekts wieder auf.
Für Welten mit einer solchen klimaregulierenden Plattentektonik sollte in Folge auch die Breite der habitablen Zonen anwachsen, realisierten die Forscher. Der Geowissenschaftler James Kasting stellte hierzu detaillierte Berechnungen an: Demnach reicht die habitable Zone in unserem Sonnensystem beinahe von der Venusbahn bis zum Mars, berechnete Kasting. Dass unser roter Nachbar heute eine lebensfeindliche Wüstenwelt ist, erklären sich Forscher mit dessen vergleichsweise kleinen Größe: Da der Mars weniger Masse als die Erde hat, konnte er nie ein globales Magnetfeld aufbauen, das den Sonnenwind daran hindert, die Atmosphäre abzubauen. Der Mars verlor daher vor gut drei Milliarden Jahren große Teile seiner Atmosphäre. Und ohne diese Schutzhülle sank der Luftdruck soweit, dass Wasser an der Marsoberfläche entweder gefriert oder verdampft.
Exoplaneten überall
Kastings habitable Zone galt lange als Goldstandard der Exoplaneten-Forschung. Mehrere Dutzend der fast 4000 Exoplaneten, die heute bekannt sind, umkreisen ihren Stern in dieser Region. Mit der Zeit machten Wissenschaftler jedoch Entdeckungen, die neue Spielräume für Leben eröffneten: Denn selbst wenn Planeten wie der Mars nur für wenige hundert Millionen Jahre lebensfreundlich sind, müsste auf ihnen entstandenes Leben nicht zwangsläufig untergehen. Organismen müssten nur bei einem Meteoriteneinschlag ins All geschleudert werden und relativ schnell wieder auf einem anderen Planeten landen. Demnach wäre die heute völlig überhitzte Venus kein hoffnungsloser Fall mehr, denn in ihrer Jugendphase könnte sie durchaus flüssiges Wasser besessen haben und zumindest kurzzeitig Leben entwickelt haben. Und selbst der junge Erdmond könnte 70 Millionen Jahre lang eine dichte Atmosphäre und damit auch flüssiges Wasser besessen haben.
Während die Meteoritenreise der Mikroben in unserem eigenen Planetensystem eher unwahrscheinlich ist, liegt sie anderswo viel höher: Die erst vor kurzem entdeckten Gesteinsplaneten um den Stern TRAPPIST-1 kreisen vielfach näher beieinander als die Planeten in unserem Sonnensystem. Mikroorganismen könnten sich dort auf dem lebensfreundlichen Planeten entwickeln und immer weiter wandern. Organismen könnten vielleicht noch auf Planeten Nischen besetzen, die eigentlich schon am Rand der habitablen Zone liegen.
Glaubt man den Mitteilungen großer Observatorien und Raumfahrtagenturen, ist die Suche nach Exoplaneten heute vor allem auf den Fund einer zweiten Erde zugeschnitten. Die Erfolgschancen dieser Fahndung sind tatsächlich nicht klein: Zwar tut sich die heute leistungsstärkste Klasse von Teleskopen noch schwer damit, leichte Gesteinsplaneten aufzuspüren. Aber der Katalog von Exoplanet-Kandidaten des Satelliten Kepler lässt vermuten, dass kleine Planeten die Mehrheit aller Exoplaneten stellt. Das James-Webb-Teleskop, der NASA-Satellit TESS oder die ESA-Mission Plato sollen genau diese planetaren Winzlinge schon in wenigen Jahren immer genauer beobachten.
Lebensfreundliche Riesen?
Die Fülle der bis heute gefundenen Exoplaneten hat auch eine andere Annahme von Exobiologen zu Fall gebracht: Ein für Leben geeigneter Planet muss mitnichten in der Nähe eines Sterns kreisen, sondern könnte auch in großer Entfernung seine Bahnen ziehen – dort, wo in unserem Sonnensystem große Gas- und Eisriesen zuhause sind. Zu dieser Erkenntnis trug eine neue Klasse von Planeten bei, die in unserem Sonnensystem gar nicht vorkommt, in der Milchstraße aber sehr häufig zu sein scheint. Diese Supererden sind bis zu zehn mal so schwer wie die Erde und besitzen unter ihrer Atmosphäre eine feste Oberfläche. Die Gashülle von vielen dieser Welten dürfte signifikante Mengen Wasserstoff enthalten, der bei der Entstehung des Muttersterns übriggeblieben ist. Damit würden sie sich grundlegend von der leichteren Erde unterscheiden, die das sehr volatile Gas nicht lange an sich binden kann. Ihre Atmosphäre besteht stattdessen hauptsächlich aus Stickstoff und Kohlendioxid, den die geologischen Prozesse im Inneren des Planeten hervorgebracht haben.
Für die Regulierung der Temperatur könnte eine wasserstoffhaltige Atmosphäre Vorteile haben, denn es ist ein deutlich potenteres Treibhausgas als CO2. Linda Elkins-Tanton und Sara Seager vom Massachusetts Institute of Technology berechneten 2008, dass eine Supererde, deren Atmosphäre zum Teil mit Wasserstoff angereichert ist, sogar fernab der Jupiterbahn warm genug für flüssige Ozeane wäre. Bei ausreichender interner Hitze könnte selbst ein Einzelgängerplanet ohne einen Stern sein feuchtes Nass erhalten – und so Organismen im Meer quer durch die Galaxie tragen.
Monde: Die neuen Erden?
Nicht zuletzt haben Entdeckungen in unserem Sonnensystem das Konzept der habitablen Zone erschüttert: Den Präzedenzfall dazu lieferte einer der kleineren Eismonde des Saturns: Das Innere von Enceladus müsste rund 1,4 Milliarden Millionen Kilometer von der Erde entfernt mit kaum –190 Grad Celsius eigentlich tiefgefroren sein. Die Raumsonde Cassini wies unter einer dicken Eisschicht jedoch einen durchschnittlich 37 Kilometer tiefen Ozean nach – der im Mittel fast 10 mal tiefer ist als jener der Erde. Vermutlich weil ein fester Kern in dem Gewässer durch Gezeiteneffekte des Saturns geradezu durchgeknetet wird, kann der Ozean flüssig bleiben – und durch Risse nahe des Südpols sogar als tausende Kilometer hohe Dampffontänen austreten.
Cassini fand in dem Dampfgemisch Methan, Ethan, Butan und Pentan, biologisch verfügbare Stickstoffverbindungen und Salze: allesamt Zutaten, die für die Entstehung des Lebens für notwendig gehalten werden, wenn sie auch längst nicht beweisen, dass Enceladus belebt ist. In der Tiefe des Ozeans könnten sich Mikroorganismen aber wohlfühlen, folgern Forscher: „Enceladus hat uns lebensfreundliche Bedingungen sehr weit entfernt von der Sonne gezeigt“, sagt Athena Coustenis vom Observatoire de Paris, die sich seit zwei Jahrzehnten mit den Saturnmonden beschäftigt.
Damit ist zwar noch kein außerirdisches Leben entdeckt. Aber Enceladus ist längst nicht der einzige Ort im äußeren Sonnensystem, wo biologische Aktivität denkbar erscheint: Auch die deutlich massereicheren Eismonde des Jupiter sind mit ihren tief unter dem Eis verborgenen Ozeanen interessant für Exobiologen. Für Athena Coustenis wäre es daher längst an der Zeit, die Suche nach lebensfreundlichen Welten neu auszurichten. Denn an Enceladus lässt sich das Gewässer dank der Geysire direkt beproben, während derart genaue Messungen von Exoplaneten wohl niemals möglich sein dürften. „Ich finde Exoplaneten sehr interessant“, sagt Athena Coustenis. „Aber es gibt noch so Vieles in unserem eigenen Sonnensystem, das wir lernen können.“
Aus Sicht manches Forschers hat sich spätestens mit dem Fund der Enceladus-Geysire das Konzept der habitablen Zone erübrigt. Schließlich legen sie nahe, dass die Bausteine des Lebens fast überall zusammenkommen können: nahe einer heißen Venus-artigen Umlaufbahn, in den kalten Gefilden von Gasriesen wie dem Saturn und auf exotischen Supererden mit dichten Wasserstoffatmosphären. Bis Forscher erste außerirdische Mikroben gefunden haben, ist zwar immer noch der pessimistischste Schluss denkbar: Das Leben auf der Erde könnte seine Existenz einem extrem seltenen – oder sogar kosmologisch einmaligen – Zufall verdanken. Doch je häufiger Astronomen auf lebensfreundliche Bedingungen an immer noch ungewohnten Orten treffen, umso mehr Argumente sprechen dagegen.
Eine frühere Fassung dieses Textes erschien am 14.08.2017 auf Spektrum.de.