Risiko Mangelernährung: Lauterbach verhindert besseres Krankenhausessen

Mangelernährung unter Klinikpatient:innen erschwert die Behandlungserfolge und führt zu Todesfällen. Den wenigsten Krankenhäusern gelingt es gegenzusteuern. Ernährungsminister Özdemir wollte daher politisch nachhelfen – doch Gesundheitsminister Lauterbach stoppte die Pläne. Das belegen interne Regierungsdokumente.

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Einer unscharf im Hintergrund zu erkennenden Klinikpatientin wird das Tablett mit einer gesund aussehenden Mahlzeit gebracht.

Verkochte Nudeln, lieblos hingeklatschte Pampe, ungetoastetes Toastbrot mit einer bleichen Scheibe Käse: Wer sich den Appetit verderben möchte, der kann einfach im Internet nach Krankenhausessen googeln. Manche Patient:innen und Klinikbeschäftigte machen sich einen regelrechten Sport daraus, Tablettfotos aus der Klinik zu posten. Lecker ist meistens anders. „Urin?“ spekuliert ein Follower, als eine Pflegerin eine Suppe mit, nunja, ungewöhnlicher Farbgebung auf Instagram veröffentlichte. „Sieht eher nach explosiver Darmentleerung aus…“, kommentiert sie selbst ein zweites Bild. Es zeigt eine undefinierbare Masse an Reis, angeblich Hühnerfrikassee.

Die Verpflegung in deutschen Kliniken genießt einen denkbar schlechten Ruf. Auch dem Fernsehkoch Tim Mälzer stieß es vor einiger Zeit auf. „Warum muss Krankenhausessen eigentlich krank aussehen und krank schmecken?“, fragte er 2021 anlässlich der Krebs-Convention „Yes!Con“ 2021. Beim Selbstversuch ordnete er schon den Geruch einer Mahlzeit irgendwo zwischen „Viehfutter, Schrot und Hasenstroh“ ein. Dabei solle das Essen doch für „schöne Momente“ für die Patient:innen sorgen.

Fachgesellschaft sieht ein „relevantes Gesundheitsproblem“

Nicht nur das. Für Expert:innen ist die Ernährung im Krankenhaus Teil der medizinischen Versorgung. Oder besser gesagt: Das müsste sie sein – denn so, wie es läuft, läuft es nicht gut. Vor einem „relevanten Gesundheitsproblem“ mit „gravierenden Folgen“ etwa warnte die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) in einem von der Bundesregierung beauftragten Bericht. Demnach grassiert unter den Klinikpatient:innen die Mangelernährung: 30 Prozent fehlt es zum Zeitpunkt ihrer stationären Aufnahme entweder an den nötigen Kalorien – und, noch häufiger, an wichtigen Nährstoffen. Welch weitreichende Folgen dies hat, verraten auch die verstörendsten Ekelfotos im Internet nicht: schlechtere Heilungsverläufe, mehr Komplikationen und sogar eine erhöhte Mortalität. Die meisten Krankenhäuser, so geht es aus der DGE-Untersuchung hervor, sind darauf nicht eingestellt. Fünf Jahre ist diese Publikation nun her.

Im vergangenen Jahr, als die Ampel-Koalition ihre Arbeit an der im Koalitionsvertrag vereinbarten Ernährungsstrategie aufnahm, schien es, als fände die Warnung Gehör. In „Workshops“ des Bundesernährungsministeriums (BMEL) stuften Expert:innen aus Wissenschaft und Verbänden Anfang 2023 das Thema Krankenhausessen ebenfalls als dringlich ein. Beim grünen Minister Cem Özdemir stießen sie damit auf offene Ohren – das Bundesgesundheitsministerium (BMG) unter SPD-Minister Karl Lauterbach jedoch führte über Monate hinweg eine Abwehrschlacht gegen jede Form der politischen Einflussnahme. Bis das Bundeskabinett die Ernährungsstrategie in diesem Januar verabschiedete, räumte es nahezu jede von Özdemirs Ideen ab.

Das geht aus internen Regierungsdokumenten hervor, die RiffReporter nach einem Informationsfreiheitsantrag vorliegen. Sie umfassen E-Mails, Protokolle und Entwürfe zur Ernährungsstrategie, die die Ministerien untereinander austauschten: 5.800 Seiten insgesamt, von ersten Vorabsprachen bis zur finalen Ressortabstimmung.