Leben mit Polio: „Paul, hast du schon einmal versucht zu atmen?“
1952 erkrankt Paul Alexander an Polio. Noch heute lebt er in einer Eisernen Lunge, die für ihn atmet. Aber er hat Dinge erreicht, die man kaum für möglich halten würde – und noch immer Träume.
Manche Krankheiten, die früher Furcht verbreiteten, sind heute in großen Teilen der Welt verschwunden. Ihre Namen sind abstrakte Begriffe, losgelöst von den beängstigenden Bildern, die sie einst begleiteten. Polio, oder Kinderlähmung, ist ein gutes Beispiel. Für Menschen aus meiner Generation ist das Wort kaum mehr als eine vage erinnerte Impfung. In der ersten Folge einer Miniserie zu Polio haben wir uns im „Pandemia-Podcast“ darum mit der Zeit vor der Impfung beschäftigt.
Mitte des vergangenen Jahrhunderts war Polio für viele Eltern einer der größten Schrecken. Jeden Sommer kam das Virus wieder und mit ihm die Furcht. Weil viele infizierte Kinder keine Symptome zeigten, herrschte die ständige Angst vor einer Ansteckung. Kinder durften nicht mit ihren Freunden spielen, Schwimmbäder waren tabu, verängstigte Eltern schickten ihre Kinder aus den Städten in Sommercamps, in der Hoffnung, sie so zu schützen.
„Verletzlich, hilflos und allein“
„Es war eine verheerend emotionale Krankheit“, sagt der Forscher und Kinderarzt Paul Offit. Als Kind musste er aus anderen Gründen mehrere Wochen ins Krankenhaus und sah dort das Leid der Polio-Opfer. Er erinnert sich an die Kinder, deren Köpfe allein aus den Eisernen Lungen ragten, die für sie atmeten, an heiße Anwendungen, die die jungen Patienten vor Schmerzen schreien ließen. Die Kinder seien „verletzlich, hilflos und allein“ gewesen, sagt Offit. „Es war die Hölle auf Erden.“
Den Höhepunkt erreichte die Krankheit im Jahr 1952. Damals erkrankten in den USA mehr als 57.000 Kinder an Polio, mehr als 20.000 von ihnen litten unter Lähmungen, mehr als 3000 starben. Eines der Kinder, die in diesem Jahr erkrankten, war Paul Alexander, der damals sechs Jahre alt war.
70 Jahre später lebt Alexander noch immer in einer Eisernen Lunge. Für die aktuelle Folge unseres „Pandemia-Podcasts“ hat Laura Salm-Reifferscheidt mit ihm gesprochen.
In der Pandemia-Folge spielen wir Ausschnitte aus dem Gespräch. Die Langfassung gibt es als Bonus-Episode auf Englisch – und hier für alle als Transkript auf Deutsch nachzulesen. Wir haben das Gespräch zur besseren Lesbarkeit ein wenig gekürzt und sprachlich geglättet.
„Dann war ich plötzlich gelähmt“
Pandemia: Können Sie mir von dem Moment erzählen, als Sie gemerkt haben, dass etwas nicht stimmt?
Alexander: Als Sechsjähriger spielte ich an einem regnerischen Tag draußen. Ich fühlte mich ein bisschen schlecht. Ich rannte zum Haus. Ich wollte Mama sagen, dass ich mich nicht gut fühle. Sie wischte gerade die Küche und ich hatte barfuß im Matsch gespielt, was ich immer tat. Ich kam durch die Hintertür in die Küche, wo Mama wischte, und sie drehte sich um und sah mich an und fragte: „Was ist los, mein Sohn?“ „Ich fühle mich überhaupt nicht gut“ und sie sagte: „Oh Gott, nein, bitte nicht“, weil sie ahnte, dass es Kinderlähmung war.
Wenn du damals gelebt hättest, würdest du das verstehen, denn Polio war die Pest und wurde von allen gefürchtet. Ständig redeten die Leute darüber: „Polio, Polio, was verursacht das? Ich weiß nicht. Ich glaube, es ist Brokkoli.“ Wir aßen also keinen Brokkoli mehr. Oder vielleicht sind es die Schwimmbäder in der Stadt. Wir lassen die Kinder nicht mehr schwimmen gehen. Wenn das Kind eine Erkältung oder ähnliches hatte, durfte es sich nicht mehr mit anderen Kindern in der Nachbarschaft treffen. Niemand wusste damals, wie Polio zwischen den Menschen übertragen wurde. Also sah Mama mich an, wie Mütter es tun, und sie wusste es sofort und sagte: „Na komm, wir machen dich sauber. Wir müssen dich ins Krankenhaus bringen.“
Sie rief den Arzt an und der Arzt sagte, „Bringen Sie ihn nicht ins Parkland Hospital, weil Sie dort nicht reinkommen.“ Der Ort sei so voll wegen des Virus, dass man stundenlang warten müsse. Er sagte, ich würde bei ihr besser versorgt werden, als wenn sie versuche, ins Krankenhaus zu kommen. Also brachte Mama mich ins Bett und jeden Tag verlor ich etwas. Zuerst waren es meine Füße und Beine, irgendwann meine Arme, meine Hände, ich konnte sie nicht bewegen und dann konnte ich mich nicht mehr aufsetzen. Ich wurde kränker. Das Fieber schoss durch die Decke. Mein Rücken schmerzte. Ich hatte große Schmerzen. Es dauerte sechs Tage, bis ich alle meine Fähigkeiten verloren hatte. Ich konnte mich überhaupt nicht mehr bewegen. Schließlich verlor ich das Bewusstsein. Am Ende hatte ich Probleme beim Atmen. Mama hat mich dann ins Krankenhaus gefahren. Als wir dort ankamen, war da eine große Menschenmenge. Mama sagte, sie konnte nicht einmal rein. Irgendwann haben sie mich dann reingebracht. Der Arzt, der mich untersucht hat, sagte, es täte ihm leid. Es sei zu spät. Das war die Diagnose. Einige Stunden vergingen und wieder kam der Arzt vorbei und untersuchte mich wohl für seinen Abschlussbericht noch einmal. Aus irgendeinem Grund hob er mich in seine Arme, rannte mit mir nach oben und steckte mich in die eiserne Lunge, in der ich seitdem liege. Sie ist ein Teil von mir. So ist das.
Ich habe mein Bewusstsein wiedererlangt. Ich konnte nicht sprechen. Ich konnte nicht atmen. Ich konnte nicht schlucken. Polio hatte mir alles genommen, wirklich alles. Das war also der Anfang. Ich blieb 18 Monate im Krankenhaus, und ich konnte nichts tun, außer da liegen, was ich sehr gut konnte.
Pandemia: Sie waren ein Kind. Haben Sie sich gelangweilt, was ging in Ihrem Kopf vor?
Alexander: Es war die schlimmste Erfahrung, die man sich vorstellen kann. Das waren riesige Krankenstationen, große Räume mit Dutzenden eiserner Lungen, alle voller Kinder. Anfangs konnte ich die gar nicht sehen. Ich wusste nicht, wo ich war, was los war, weil ich mich nicht bewegen konnte. Gerade spielte ich noch zuhause und dann war ich plötzlich gelähmt. Ich konnte nicht atmen und war in etwas gefangen, von dem ich keine Ahnung hatte, was es war. Dort habe ich also gelebt. Es war die Hölle, schrecklich. Es gab keine Klimaanlagen, es war ein heißer Raum. Ich erzähle dir eines der schlimmsten Dinge: An der Seite der eisernen Lunge sind so Bullaugen. Man kann sie öffnen und die Arme hineinstecken, um uns zu pflegen. Der Druck im Inneren wurde gehalten, damit wir noch atmen konnten. Die kamen dann und sagten, wir schneiden ihm die Nägel. Sie steckten ihre Arme in das Bullauge. Der Kragen um meinen Hals geht hin und her. Das liegt daran, dass es eine Pumpe gibt, die den Druck erzeugt. Die geht hin und her, um ein Druck und ein Vakuum zu erzeugen. Dieser Kragen bewegt sich also. Sie nahmen eine Schere und versuchten, meine Fingernägel zu schneiden, also schnitten sie mir die Finger. Ich konnte nicht sprechen. Ich konnte nicht weinen. Ich konnte nicht schreien. Ich konnte nichts tun. Ich musste mich von ihnen schneiden lassen und blutete. Das war schrecklich, absolute Folter.
Die Ärzte kamen immer wieder und schalteten die eiserne Lunge ab, bis ich nach Luft schnappte. Sie wollen mich so zum Atmen zwingen. Sie verstanden nicht, dass es kein Signal zwischen meinem Gehirn und meinen Lungen gab. Totale Ignoranz. Es war sehr schmerzhaft. Ich hatte damals wahnsinnige Angst. Ich wollte nach Hause. Ich wollte weg von diesen Leuten, die ich hasste, weil ich nichts falsch gemacht habe. Es war schlimm. Ich konnte nicht essen, weil das Essen widerlich war. Ich habe es ausgespuckt, weil es so widerlich war. Ich habe viel Gewicht verloren. Ich wog fast nichts mehr. Das einzig Gute war der tägliche Besuch von Mama und Papa, aber das war alles. Es war schrecklich.
Pandemia: Wann sind Sie dann nach Hause gekommen?
Alexander: Ich mach es kurz. Ich war so ziemlich am Ende, weil ich nichts mehr aß. Ich hatte eigentlich keinen Grund in dieser Umgebung weiterzuleben. Dann – es war fast Weihnachten – kam Mom kam herein und sagte: „Doktor, wir wollen ihn nach Hause holen.“ Der Arzt sagte: „Das können sie machen, weil er nicht länger als ein paar Tage leben wird. Er wird Weihnachten nicht mehr erleben.“ Sie haben einen Generator besorgt und die eiserne Lunge und den Generator in einen Lastwagen gepackt und mich nach Hause gefahren. Als ich daheim ankam (lacht), kam mein Bruder und fragte, „Hast du Hunger?“ Ich hatte ewig nichts gegessen. Ich habe nur gelacht. Ich lachte so sehr, dass ich nicht sprechen konnte. Ich sagte, ja. Er sagte, was willst du. Ich sagte es ihm und er ging in die Küche und machte es mir. Er kam zurück und fütterte mich damit. Das war meine Ankunft zu Hause. Und der Rest meines Lebens war eine Kombination aus einem Ereignis, einem Abenteuer, einem Wunder, wie auch immer man es nennen will, nach dem anderen. Ich lernte wieder zu husten, was bedeutete, dass ich mich räuspern konnte. Ich musste nicht mehr abgesaugt werden. Ich lernte anders zu husten und zu atmen. Das bedeutete, dass ich anfangen konnte zu reden. Also fing ich wieder an zu sprechen und das führte dann zu „Mama, ich will in die Schule“ und solche Sachen. Ich wollte unbedingt zur Schule gehen, aber es dauerte Jahre, bis Mom und Dad sich endlich bei der Schulbehörde von Dallas durchsetzten und Lehrer zu uns nach Hause kamen, um uns zu unterrichten. Das war eine lange Zeit. Aber egal. Ich habe dann auch gelernt zu atmen. Das steht auch im Buch.
„Paul, hast du jemals versucht zu atmen?“
Pandemia: Erzählen Sie mir bitte ein bisschen darüber. Ihre Eltern haben Ihnen etwas versprochen, wenn Sie atmen lernen würden, oder?
Alexander: Wow, ich bin beeindruckt, du hast mein Buch gelesen.
Ich wollte immer einen Hund. Ich werd dir ein Geheimnis preisgeben. Das Buch heißt „Three Minutes for a Dog…“ Eine Freundin hat gemeint, Paul, es gibt nur einen Titel für das Buch. Jedenfalls wollte ich immer ein Haustier haben und habe nie eines bekommen. Ich wollte immer noch ein Haustier. Dann kam diese Frau von March of Dimes. Sie wollte mit mir üben und ich sagte, ich kann das nicht. Ich kann nicht herauskommen. Ich kann die Eiserne Lunge nicht öffnen. Sie sagte, na gut, aber ich möchte trotzdem mit dir üben. Ich sagte, tut mir leid, aber ich kann das nicht. Jedenfalls wurden wir Freunde und ich fand heraus, dass sie Hunde züchtete und ich war natürlich total fasziniert. „Ich will Bilder, ich will sie sehen. Nimmst du sie mit zu Shows?“
Sie hatte also diese brillante Idee, die mein Leben komplett veränderte. Ich glaube, sie hat mit meinen Eltern gesprochen, aber ich weiß es nicht genau. Sie kam eines Tages zu mir und sagte: „Paul, hast du jemals versucht zu atmen?“ Ich sagte, ich möchte nicht darüber sprechen. Sie sagte, bitte sprich mit mir darüber. Ich erzählte ihr, was die Ärzte getan hatten, und sie fragte, ob ich denn nie sonst versucht hatte zu atmen. Ja, einmal, als sie die eiserne Lunge abstellten und sie sagten, ich solle das nicht tun. Das sei nicht gut. Es hat mir Angst gemacht. Also habe ich es nie wieder gemacht. Sie sagte, was war das? Und ich sagte, nun, ich bin mir nicht sicher. Ich habe irgendetwas gemacht. Sie sagte, würdest du es noch einmal versuchen? Nein, ich kann nicht. Sie sagte, was wäre, wenn ich dir einen Hund geben würde. Und ich war einfach über allen Wolken. Ich wäre dafür auf dem Kopf gestanden. Sie sagte, ok, folgendes wünsche ich mir von dir: Du gibst mir drei Minuten und ich sagte, ich werde aber nicht atmen können. Sie sagte, lass uns eine Uhr hier oben aufstellen und du übst mit mir. Wenn du mir sagst, ich soll die eiserne Lunge schließen, werde ich sie schließen. Wir haben also daran gearbeitet und gearbeitet. Ein Jahr haben wir daran gearbeitet und schließlich habe ich einen Atemzug hingekriegt, aber mit einer sehr ungewöhnlichen Methode. Ich konnte nicht normal atmen. Ich hatte keine Muskeln, um es zu tun, aber ich tat etwas mit meinem Mund. Ich schnappte nach Luft und schluckte diese in meine Lungen. Am Anfang war es extrem schwierig. Nach einem Jahr Arbeit haben wir die Fähigkeit entwickelt, drei Minuten draußen zu bleiben. Ich habe ihr ihre drei Minuten gegeben und sie hat mir einen Hund geschenkt (lacht). So lernte ich also zu atmen. Ich bin einfach drangeblieben, drangeblieben, drangeblieben. Schließlich konnte ich für fünf bis zehn Minuten aus der Eisernen Lunge raus, dann für 15, 20 Minuten. Mit den Jahren wurde es immer länger. Die Muskeln haben sich entwickelt und es wurde einfacher. Ich konnte dann auch endlich raus. Das war wundervoll. Und ich mache es immer noch. Ich habe es bis zu einem ganzen Tag geschafft. Ich kann das den ganzen Tag machen. Es kostet viel Energie. Ich muss mich sehr konzentrieren. Ich kann es nie einfach lassen. Ich muss mich zwar ausruhen, aber muss auch dranbleiben. Auch wenn ich müde werde, muss ich dranbleiben. Denn wenn du aufhörst, sagt dein Körper, Hey, ich bin auch noch da. Als ich auf meinem Höhepunkt war, konnte ich den ganzen Tag und die ganze Nacht draußen bleiben. Wenn ich müde wurde, kehrte ich schließlich in meine eiserne Lunge zurück, um mich auszuruhen.
„Sie müssen ein guter Anwalt sein, wir wollen von ihnen vertreten werden."
Pandemia: Wie oft gehen Sie heute raus?
Alexander: Das ist eine lange Geschichte. Nicht sehr häufig. Mein Leben hat sich sehr verändert. Ich habe gearbeitet, bin zur Schule gegangen. Endlich konnte ich zur Schule gehen, keine richtige Schule. Ich bin die 12 Stufen von Lehrer zu Hause unterrichtet worden. Ich habe mich für’s College beworben. Sie sagten, ich kann nicht aufs College gehen. Natürlich bin ich trotzdem gegangen. Ich habe studiert, einen Abschluss gemacht und bin dann auf die Law School gegangen. Ich machte den Abschluss und war Anwalt, ein echter Anwalt. Es war das Schwierigste, was ich je getan habe. Ich habe es geschafft und legte mit der Arbeit los.
Ich habe mir ein kleines Büro besorgt und ein Schild aufgehängt. Ich habe in der Zeitung eine Anzeige geschaltet und rate mal was? Ich habe Klienten bekommen. Sie kamen und kamen. Sie kamen in mein Büro und sagten: „Was machen Sie da? Liegen Sie in der Sonnenbank oder was?“ „Nein, nicht ganz.“ Und ich erzählte ihnen, was Sache war, und sie meinten, das sei unglaublich. Sie sagten: „Sie haben unermüdlich gekämpft, um das zu schaffen. Sie müssen ein guter Anwalt sein, wir wollen von ihnen vertreten werden.“ Und meine Kanzlei wuchs.
Ich hatte einen Unfall und verletzte meinen Rücken und mein Bein und ich konnte nicht bewegt werden, weil es so wehtat. Rate mal was? Erst war ich gelähmt, dann habe ich jahrelang gearbeitet, bin gereist, hatte ein großartiges Leben und dann war ich wieder gelähmt. Also zurück in die Eiserne Lunge, denn dort lebe ich.
Pandemia: Wann ist der Unfall passiert?
Alexander: Ich habe 35 Jahre gearbeitet und dann ist es passiert. Ich glaube, das war vor 12 oder 15 Jahren. Das hat mein Leben sehr eingeschränkt. Ich tat Dinge, um mich zu beschäftigen. Am Anfang war das, was ich tat, kein Ziel in meinem Leben, aber ich habe es geschafft, ein Buch zu schreiben. Ich war selber erstaunt. Es wird auf der ganzen Welt gelese.
Ich bekomme Briefe aus Indien, aus Europa, von überall. Ich bekomme sie von kleinen Inseln, aus Afrika, aus der ganzen Welt. Leute kommen auf mich zu und fragen, ob sie ein Video machen können, und ich sage, warum nicht. Sie machten ein Video fürs Fernsehen und fürs Internet. Die Leute sahen es und schrieben mir Briefe, dass ich eine Inspiration sei.
Pandemia: Woher nehmen Sie Ihre positive Mentalität?
Alexander: Die Leute stellen mir immer diese Frage. Was stimmt nicht mit dir? (lacht) Wenn du wirklich eine Antwort willst: Ich war schon immer so. Als ich ein kleiner Junge war und alle anderen ins Bett gingen, schlich ich mich aus dem Fenster neben meinem Bett und ging nach draußen und erkundete, was nachts geschah. Was ist das für ein Käfer? Was ist das für ein Tier? Ich liebe es einfach, das zu tun. Mein Leben war schon immer so. Was machbar oder besser noch nicht machbar ist, das mache ich. Ich möchte nach Europa. Ja, ich bin auf meine Eiserne Lunge angewiesen, aber ich will Europa sehen. Das wollte ich schon immer, also suche ich nach einer Möglichkeit, nach Europa zu reisen und ich werde nach Europa reisen. Ich werde Leuten von Dingen erzählen, ich werde mich dort umsehen. Ich schätze, es wird eine Weile dauern. Wie auch immer, ich will nach Griechenland, nach London. Weil sie mich in London entdeckt haben. Im Guardian wurde ein Artikel über mich geschrieben.
„Du wirst dein Gehirn benutzen müssen. Das ist also der Deal.“
Pandemia: Ja, den habe ich gelesen. Es war ein sehr guter Artikel.
Alexander: Ja, es war eines der Besten, den ich je gelesen habe.
Jedenfalls ist es Teil meines Charakters. An die eiserne Lunge gefesselt, völlig gelähmt, schreibe ich mit dem Mund. Ich bewege mich in meinem Rollstuhl fort und muss auf eine ganz besondere Art und Weise atmen, ich kenne niemanden auf der Welt, der so atmet, aber ich tue es und es hält mich am Leben. Ich habe damals in der Eisernen Lunge viel nachgedacht und eines der Dinge, die ich gedacht habe, war, weißt du, Paul, du wirst nie in der Lage sein, Dinge wie ein normaler Mann – was auch immer das ist – zu tun. Du wirst also mit Menschen arbeiten müssen. Du musst ihnen beibringen, wie sie sich um dich kümmern, dich herumschieben und Sachen tun müssen. Irgendwie wirst du zur Schule gehen müssen, weil du wirst kein Klempner werden. Das wird nicht funktionieren. Du wirst kein Ballsportler werden. Das wird auch nicht funktionieren. Also wirst du dein Gehirn benutzen müssen. Das ist also der Deal. Mach deine Ausbildung. Mach Sie so gut wie möglich. Messe dich mit den Besten. Dann werden die Leute sagen: Oh, der ist furchtbar schlau, wir sollten ihn einstellen und ihm einen Job geben. Also habe ich mich dazu entschieden. Ich wurde Ökonom und Jurist und Anwalt. Ich war gut in dem, was ich tat. Ich liebte es, Leute vor Gericht zu bringen, mit der Opposition zu argumentieren, der Jury von ihnen zu erzählen, mit dem Richter zu argumentieren. Ich liebte das alles, weil ich Dinge für Menschen tun konnte, die Hilfe brauchten, wie ich es tat, und vielleicht ihr Leben besser zu machen, so wie ich es wollte.
Pandemia: Warum verwenden Sie immer noch die Eiserne Lunge? Gibt es keine Alternativen?
Alexander: Das ist der Deal: Ich atme großartig in der Eisernen Lunge. Es ist der natürlichste Atemzug, wie ihn kein anderes Gerät machen könnte. Ich atme, wie du atmest. Die Brust dehnt sich aus, lässt die Lungen expandieren, man atmet ein und bläst es dann wieder aus. Das macht also die Eiserne Lunge. Sie expandiert meine Brust, meine Lunge und ich nehme dabei einen Atemzug. Ich muss einatmen, genau wie du, und dann muss ich ausatmen. Also für mich ist es ein normaler Atemzug. Wenn ich also jetzt eine Überdruckmaschine benutze, muss sie irgendwo hineingehen, dann würde sie meinen Mund oder was auch immer bedecken. Dann kann ich nicht sprechen und schreiben, also wird das nicht funktionieren, aber die Eiserne Lunge funktioniert. Sie funktioniert auf sehr angemessene Weise und ich persönlich glaube, dass es für Menschen wie mich die natürlichste und gesündeste Art ist, zu überleben. Aber die Leute kommen rein und sagen: Oh mein Gott, du bist in einer Eisernen Lunge, das ist schrecklich und du kannst gar nicht raus. Ich schaue sie an und sage, aber ich atme und das ist eine große Sache. Und ich kann raus, ich kann die Sonne genießen, ich kann ins Kino gehen, ich kann in Restaurants gehen, an den See gehen und angeln oder was auch immer, ich habe ein ziemlich gutes Leben. Es ist gar nicht schlecht. Die Leute sagen, es muss schrecklich sein, den ganzen Tag in dieser Maschine eingesperrt zu sein. Nun, nein, es ist nicht die Welt, die ich mir aussuchen würde, aber sie atmet für mich, ich kann sprechen, ich kann schreiben, ich kann Bilder mit einem Pinsel im Mund malen, ich kann mich hinsetzen und mit Elektronik spielen mit einem kleinen Plastikstab. Ich kann eine Menge Dinge tun.
Es beschäftigt mich nicht das, was ich nicht tun kann, sondern das, was ich tun kann, und bitte verzieht euch, denn nicht ich bin es, der meine Welt daran hindert, sich auszudehnen. Ich verabrede mich, ich gehe ins Kino. Ich habe eine gute Zeit. Ich kann keinen Sport treiben und kein Auto fahren. Es wird schwer, nach London zu reisen, aber ich werde einen Weg finden. Es ist anders, aber es ist nicht so, dass ich aufgeben sollte. So bin ich nicht. Ich liebe das Leben, die Erfahrungen, die ich gemacht habe. Ich liebe den Prozess, Fähigkeiten zu entwickeln, wie sonst kein anderer, etwas zu tun, was sonst niemand tut, weil ihnen die Vorstellungskraft fehlt. Ich hatte viele Träume und ich habe die meisten davon wahr werden lassen. Ein paar habe ich aber noch.
„Ich möchte wirklich noch alles aus meinem Leben herausquetschen“
Pandemia: Welche anderen Träume haben Sie noch, außer nach London zu fahren?
Alexander: Weißt du, was mich stört? Menschen mit Behinderung sehen die Fähigkeiten, die sie haben, nicht. Sie träumen nicht. Sie entwickeln keine Prozesse, die ihnen erlauben, was auch immer zu tun. Sie scheinen nicht zu wissen, dass das Leben dazu da ist, etwas zu tun, was noch nie zuvor getan wurde. Schau dir die Geschichte an. Nur weil du körperlich oder geistig behindert bist, welchen Unterschied macht das? Alle sind behindert. Jeder steht vor Herausforderungen, die zu überwinden sind. Wenn du sie überwindest und wenn du es kapierst und etwas tust, das du dir ausgedacht hast, wovon du geträumt hast, wow. So sollte das Leben gelebt werden. Aber die Sache ist, dass man dem Leben eine Chance geben muss. Es gehört dir. Was für ein Geschenk, zu leben. Das Leben ist so unglaublich. Nimm es und tu etwas, fühle etwas, was du zuvor noch nie gefühlt hast. Es macht Spaß. Ich finde das zumindest.
Pandemia: Ich auch!
Alexander: Ich mag Sie. Wie wundervoll!
Pandemia: Paul, wie war die Pandemie für Sie? Hat sich dadurch viel für Sie verändert?
Alexander: Es war echt mühsam. Ich musste geimpft werden. Niemand wollte ins Haus kommen, um mir die Spritzen zu geben. Das Problem haben wir überwunden und ich habe alle Impfungen bekommen. Jeder, der hierher kam, trug eine Maske. Ich habe keine getragen, weil ich damit nicht atmen kann. Ich wurde richtig krank. Das hat keinen Spaß gemacht. Ich habe es überlebt und bin immer noch hier.
Pandemia: Sie hatten Covid?
Alexander: Ich weiß nicht, ob es Covid war. Ich hab es aber geschafft. Ich fühle mich stärker. Ich habe das Gefühl, ich möchte etwas tun, was ich noch nie getan habe. Ich werde älter und ich möchte wirklich noch alles aus meinem Leben herausquetschen. Ich möchte einen Ort bauen, an dem Menschen mit Behinderungen leben können, und ich möchte Experten für bestimmte Bereiche haben, die ihnen beibringen, wie man arbeitet, die ihnen beibringen, wie man seinen Lebensunterhalt verdient. Ihre Behinderung, und das ist das außergewöhnliche daran, ist ihr Kapital. Sie können für sich nutzen. Sie sollten sich dessen nicht schämen. Sie sollten es nutzen, um das Leben interessanter zu machen. Das ist, was ich denke.
Pandemia: Kennen Sie andere Menschen, die in einer Eisernen Lunge leben?
Alexander: Ich kenne zwei andere Leute, die ich in den Nachrichten oder im Fernsehen oder so gesehen habe. Ich bin wahrscheinlich der Älteste.
Pandemia: Wie alt sind Sie?
Alexander: Du weißt, dass ich dir das nicht sagen werde. (lacht). Ich bin älter, aber ich fühle mich immer noch jung und sehr fit und abenteuerlustig. Ich lebe noch. Ich werde noch eine Weile hier sein und für Trubel sorgen.
Pandemia: Gibt es noch etwas, das Sie unseren Zuhörern sagen möchten?
Alexander: Mit meinem Buch habe ich versucht zu vermitteln was Polio ist. Ich habe meine Lebensgeschichte erzählt und wie es ist, Polio zu haben und die damit verbundenen Kämpfe und Enttäuschungen, die Teil des Lebens sind. Es ist mir schwer gefallen, das Buch zu schreiben, weil ich viel Zeug aus der Vergangenheit ausgraben musste. Dinge, die ich vergessen wollte. Dinge, an die ich mich nicht erinnern wollte, die ich aber unbedingt in das Buch aufnehmen wollte, damit die Leute die Wahrheit erfahren. Ich wünsche mir, dass, selbst wenn ihr das Buch nicht lest, dass ihr wisst, dass Polio, egal was die Leute sagen, immer noch da ist. Man steckt sich wirklich sehr leicht an. Und es ist eine unglaublich zerstörerische Krankheit. Es kostet nicht viel Energie, dein Kind zum Arzt zu bringen. Du kannst dein Kind impfen lassen und musst dir keine Sorgen machen, und dein Kind auch nicht. Das allein wäre ein großer Schritt, dafür zu sorgen, dass das Leben nicht zu einem Albtraum wird, und das geht bei Polio sehr schnell.
Pandemia: Das ist ein gutes Schlusswort.
Alexander: Das ist alles, was ich darüber sagen wollte.
Die aktuelle Folge des Pandemia-Podcasts, in der Paul Alexander und Paul Offit zu hören sind, gibt es hier:
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