Rhythmus und Kreativität bei Robert Lax

Der US-amerikanische Dichter Robert Lax (1915 bis 2000) war ein Mann mit einem besonderen Lebensrhythmus. Sein Motto: einfach leben und einfach schreiben.

9 Minuten
Robert Lax auf Patmos

Kennen Sie Robert Lax? Ich kannte den vor gut 100 Jahren geborenen Lax nicht, bevor ich zufällig ein kleines Büchlein über ihn entdeckte. In „Mit Robert Lax die Träume fangen“ schildert der Herausgeber Steve T. Georgiou unter anderem seine erste Begegnung mit Lax auf der Insel Patmos, wo der Dichter fast 30 Jahre bis kurz vor seinem Tod im Jahr 2000 zurückgezogen lebte.

Zuhörer

Steve T. Georgiou, kalifornischer College-Lehrer mit griechischen Wurzeln, macht 1993 eine Europareise, um Abstand von Beruf und Privatleben zu gewinnen. In Skala, dem Hafenort von Patmos, wird er von einem jungen Einheimischen angesprochen. Wer er sei, was er mache und was ihn auf die Insel führe. Georgiou gibt Auskunft und erhält den Rat, doch einen alten weisen Mann, ebenfalls Amerikaner, nicht weit vom Hafen den Berg hinauf zu besuchen (1).

Lax lebt dort in einem kleinen weißen Haus am Rande der sonnigen Inselstadt. Es ist ruhig, ein paar Hühner laufen umher, Katzen sitzen im Schatten der Häuser. Hin und wieder schallt eine Schiffssirene vom Hafen hoch. Als Georgiou abends an die Tür klopft, reagiert der hagere, groß gewachsene Lax zunächst zurückhaltend, weil er keinen Besucher erwartet. Doch schon bald sitzt der Gast auf dem Sofa in einem der beiden Zimmer, die Lax bewohnt, löffelt den angebotenen Joghurt und erzählt aus seinem Leben.

Robert Lax im hohen Alter
Der Dichter Robert Lax (1915 - 2000) lebte viele Jahre bis kurz vor seinem Tod auf der griechischen Insel Patmos

Lax ist ein guter Zuhörer. Einer, der nur wenig redet. Seinem Gegenüber, so sagt er, kann er nur das weitergeben, was er selbst als „leeres Gefäß“ empfangen habe. Einer, der anderen Menschen hilft, die eigenen Gaben zu entdecken und zu entfalten, den eigenen Platz im Leben zu finden.

Georgiou wird nach diesem ersten Zusammentreffen immer wieder nach Patmos kommen, mit Lax reden, mit ihm lachen und am Kai des Hafens auf und ab gehen.

Lebenslauf

Robert Lax wurde 1915 in Olean im Bundesstaat New York geboren. An der Columbia University in New York studierte er englische Literatur und freundete sich mit den Künstlern Ad Reinhardt und Edward Rice an. Auch seine Freundschaft mit dem Mönch, Mystiker und Schriftsteller Thomas Merton rührte aus dieser Zeit.

Mit 28 konvertierte der in einer jüdischen Familie geborene Lax zum katholischen Glauben. Warum er trotz seiner Neigung zur Spiritualität und Kontemplation nicht wie sein Freund Merton in ein Kloster eintrat, mag an einem der drei klösterlichen Gelübde – Armut, Keuschheit, Gehorsam – gelegen haben. „Armut ist mir bekannt. An Keuschheit hätte ich mich gewöhnen können. Aber an Gehorsam nie“, sagte Lax ((1) Seite 50).

Stattdessen begann Lax eine Wanderzeit zunächst durch die USA, Kanada und später auch durch Europa. Er arbeitete als Barkeeper und Nachtwächter, schrieb Werbetexte und war als Journalist für den „New Yorker“ tätig. Kurz nach dem 2. Weltkrieg bekam er die Möglichkeit, mit dem „Christian Family Circus“ durch Kanada zu reisen. Dieses Erlebnis, Lax trat selbst als Clown auf und lernte das Jonglieren, prägte ihn und bildete die Grundlage für seinen 1959 veröffentlichten Gedichtband „Circus of the Sun“.

Für kurze Zeit arbeitete Lax als Drehbuchschreiber in Hollywood und bereiste dann als Journalist für die katholische Zeitschrift „Jubilee“ Frankreich und Griechenland. 1964 kehrte er seiner Heimat den Rücken, zog sich zurück und lebte zunächst auf Kalymnos, später auf Patmos.

Die griechische Insel Patmos
Blick auf Skala, den Hafenort der griechischen Insel Patmos

Werk

Lax verbrachte viel Zeit allein. Er schrieb und dachte nach. Immer wieder suchte er aber auch die Begegnung – er liebte die Menschen – Begegnungen mit Nachbarn auf der Insel, beim abendlichen Gang hinab zum Hafen, zur Post, zum Einkaufsladen und mit Menschen überall auf der Welt, die ihn besuchten oder in regem brieflichen Austausch mit ihm standen.

In Griechenland lebte Lax ein Leben zwischen Gebet und Dichtung. Immer deutlicher entwickelte Lax seinen ganz eigenen abstrakten poetischen Stil. Seine Gedichte und Tagebücher schickte er an Freunde. Wer etwas veröffentlichen wollte, sollte das tun. Über 150 Publikationen erschienen in Kleinverlagen (2).

Die Einfachheit seines Lebens spiegelt sich in der Einfachheit der Gedichte wieder, einer Konzentrierung auf das wirklich Wichtige. Nach Lax Verständnis sind Wörter keine Endpunkte sondern Türen zum Verstehen.

Typisch für Lax Dichtung ist die vertikale Form mit häufig nur einem Wort oder einer Silbe je Zeile. Was wir beim (horizontalen) Lesen gerne tun, nämlich den Text rasch abzuscannen und vieles auch zu überlesen, funktioniert bei der vertikalen Anordnung der Worte nicht. Im Computer-Zeitalter wirkten Lax` Texte geradezu ein wenig trotzig, wie sie den Leser dazu bringen würden, anzuhalten und bei jedem einzelnen Wort, bei jeder einzelnen Silbe zu bleiben, schreibt der New Yorker Autor Robert Hirschfield (3). Dabei würde es automatisch zu einer veränderten Wahrnehmung von Wörtern und Silben, zu einer Neuordnung im Kosmos der Sprache kommen.

Der Gegensatz zwischen Lax` Lebens- und Arbeitsweise und der heutigen, von Bildern und Worten überfluteten Medienwelt könnte kaum krasser sein. Lax unterstreicht mit seinem Werk, wie viel Kraft in einem einzigen Wort steckt, welche Räume eine einzige Zeile eröffnen kann und wie wertvoll die Stille ist. „Geräusche kommen und gehen, aber die Stille bleibt“, sagte Lax (4).

(life)

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ful

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Is

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Robert Lax in (5)

„Mein Schreiben ist einfach, mit Wiederholungen. Wenn es dazu hilft, die Dinge zu verlangsamen, wäre das wundervoll. Wir müssen langsamer werden! (..) Denke langsam, bewege dich langsam. Nur wenn wir verlangsamen, entspannen, zur Ruhe kommen, können wir irgendetwas wirklich verstehen.“

((1), Seite 81)

Was Lax meint, ist keine Schlaffheit, keine träge Passivität; vielmehr eine auch im hohen Alter noch spürbar kraftvolle Langsamkeit – im Reden und in der Bewegung. Lax Gang glich laut Steve T. Georgiou dem langsamen Dahingleiten eines Bootes. Lax Leben erscheint wie ein sanftes Dahinfließen, in dem der gegebene Augenblick aktiv, Schritt für Schritt, Wort für Wort angenommen wird, um ihn dann hinter sich zu lassen.

Profilfoto des US-amerikanischen Dichters Robert Lax
Robert Lax: die Einfachheit seines Lebens spiegelt sich in der Einfachheit seiner Gedichte.

Für Lax gibt es zwischen dem Gehen, dem Beten und dem Schreiben keinen Qualitätsunterschied. Alles ist wertvoll und Teil eines aus der Fülle gelebten Lebens. Unsere schnelle Zeit braucht Vorbilder wie Lax. Wer seinen Gang, seine Sprache, seine jungenhafte Freude durch das Anschauen des biografischen Films „Why should I buy a bed when all that I want is sleep?“ von Nicolas Humbert und Werner Penzel einmal vor Augen bzw. in den Ohren hat, behält sie im Sinn, als Erinnerung an die Ruhe und Kraft, die in jedem Menschen steckt (4).

„Er (Lax) glaubte wirklich, wenn du verlangsamst und wartest, werden sich die Dinge von selber zeigen und du wirst den rechten Weg einschlagen. Er interessierte sich stärker für das Wirkliche als für das Schnelle. Die meisten von uns wollen eine Entscheidung treffen und weitergehen. Lax dachte nicht, dass das Weitergehen an sich einen großen Wert hat. Er wollte wissen, was wahr, was richtig ist“, zitiert Hirschfield Lax` Biographen Michael McGregor (3).

Rhythmus und Kreativität

Für Lax kam auch die schöpferische Kraft aus dieser Langsamkeit, aus der Kunst des Wartens. Zunächst müsste für eine künstlerische Arbeit der richtige Ort gefunden werden. Für Lax war es das kleine Häuschen auf Patmos. In dem gut 50-minütigen Schwarz-Weiß-Film von Humbert und Penzel bekommt man einen guten Eindruck, wie Lax lebte:

Ein Raum mit wenigen Möbeln. Ein Sofa, zwei Stühle, ein Tisch, ein elektrischer Heizkörper, auf einem Stuhl die Schreibmaschine, auf dem Sofa Decken, unbeantwortete Briefe, ein Adressbuch, ein Literaturmagazin, daneben ein Regal mit Büchern und Notizheften, ein Fenster, zwei Türen, der Blick aus dem Fenster, das Meer.

Nun gelte es, immer wieder, möglichst jeden Tag, an diesen Ort zu gehen und dort für eine Zeit zu verweilen. Auf Dauer werde die Routine ihre Wirkung zeigen und die Kreativität fließen, denn: Geist und Körper reagierten auf Rhythmus, meinte Lax ((1) Seite 71).

Wer Gedichte schreibe, solle sie wachsen lassen wie Bäume. Es geschehen lassen, frei, denn die Worte kommen und fließen von ganz allein. „Solange du in deinem Rhythmus bleibst, wirst du Themen finden, die immer wiederkehren, das sind die, die am meisten Teil von dir sind“, sagte Lax.

Lax verglich das Schreiben mit dem Atmen. Bei beidem gehe es darum, sich zu leeren und wieder füllen zu lassen. Das, was wirklich das Eigene ist, entsteht dann auf dem Grund des Vorgegebenen, des Universellen, des Verbindenden, des Wahren.

„Ich glaube, wir sind ein Teil eines universalen rhythmischen Prozesses, denn wir sind alle ein Teil der Natur – wir sind in ihr und von ihr. Wir atmen wie die herein- und hinausrollenden Wellen – wir fließen. Kosmische Kreativität und kreative Entwicklung gehen dauernd weiter. Alles singt ständig“, sagte Lax ((1) Seite 76).

Robert Lax in seinem Haus auf Patmos
Robert Lax in seinem Haus auf Patmos

Aktivität geschehe, spirituell gesehen, auf der Basis des Wahrgenommenen, als Antwort auf das Wahrgenommene, schreibt der Theologe, Germanist und Religionswissenschaftler Peter Wild in seinem Buch über Robert Lax ((5) Seite 119). „Der Grundrhythmus ist vorgegeben, es ist an uns, ihn aufzunehmen und, aufbauend auf ihm, unser Lied entstehen zu lassen; das eigene Lied und die Lieder der anderen bilden gemeinsam die Musik, die zum Tanz einlädt“, schreibt Wild. Warten und Wahrnehmung als Voraussetzung, als Vorstufe jeden (kreativen) Handelns.

Marcia Kelly, die Nichte von Robert Lax, erinnert daran, wie sehr Lax` Sichtweise derjenigen von Franz Kafka ähnelt (6).

„Du brauchst dein Zimmer nicht zu verlassen …
bleib einfach an deinem Tisch sitzen und horche.
Du brauchst nicht einmal zu horchen, warte einfach.
Du brauchst nicht einmal zu warten, werde einfach still –
und die Welt wird sich offenbaren, um demaskiert zu werden;
sie hat gar keine andere Wahl.“

(Franz Kafka, Betrachtungen über Sünde, Leid, Hoffnung und den wahren Weg)

Heimreise

Im Jahr 2000, Lax war inzwischen 85, bat er seine Nichte und ihren Mann, ihn in die Schweiz zu begleiten, das Priesterseminar St. Beat in Luzern hatte ihm angeboten, dort zu leben. Lax lehnte es ab zu fliegen, daher war an eine Rückkehr in die USA zunächst nicht zu denken. Erst als Marcia Kelly ihm anbot, eine Reise in die Heimat per Schiff zu organisieren, willigte Lax ein. Nach einigen Zwischenstationen ging es mit dem Ozeandampfer von Southampton nach New York, wo Lax und eine Gruppe von Freunden, die ihn begleiteten, am 29. Juli 2000 eintrafen. Er sei glücklich, dorthin zurückgekommen zu sein, wo alles begann, sagte Lax bei seiner Ankunft in Olean. Zwei Monate später, am Morgen des 26. September, starb Lax in seinem Elternhaus.

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(Inschrift auf Lax` Grabstein in der Nähe der St. Bonaventure University, die im „Robert Lax Archive“ den Nachlass des Dichters verwaltet.)

Es braucht Menschen wie Robert Lax. Wer auf diesen Wartenden, auf diesen Wahrheitssucher blickt, wird beschenkt. Was uns Menschen glücklich macht, ist nicht das Viele, ist nicht der materielle Fortschritt, was uns glücklich macht, ist die Wahrheit.

Titel zweier Bücher über Robert Lax
Zwei wunderbare Bücher über Robert Lax: "Mit Robert Lax die Träume fangen" (Hrsg.: Steve Georgiou, Herder-Verlag) und "Von der Wachheit des Wartens" (Peter Wild, Matthias-Grünewald-Verlag)

Quellen und Lesetipps:

(1) Robert Lax „Mit Robert Lax die Träume fangen“, herausgegeben von Steve Theodore Georgiou, Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2006

(2) https://www.zeit.de/2004/04/HB-Lax

(3) Robert Lax: A life slowly lived. Beshara Magazine, Ausgabe 12, Frühling 2019

(4) Nicolas Humbert/Werner Penzel „Why should I buy a bed when all that I want is sleep.“

(5) Peter Wild „Von der Wachheit des Wartens – Robert Lax spirituell gelesen“, Matthias-Grünewald-Verlag, Ostfildern 2010

(6) http://merton.org/ITMS/Seasonal/26/26–1Kelly.pdf

http://www.robertlax.com

http://web.sbu.edu/friedsam/laxweb/

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