Mit dem Zitronenfalter durch das Jahr
Ein Interview mit dem Schriftsteller und Schmetterlingsfreund Peter Henning
Wer Peter Hennings Buch liest oder sich persönlich mit ihm unterhält, wird danach mit anderen Augen durch die Welt gehen. Seine Begeisterung für Schmetterlinge steckt an. Nie zuvor war mir im Frühling der Aurora-Falter aufgefallen, in diesem Jahr sehe ich ihn immer wieder.
Von Ulrike Gebhardt
Peter Henning, geboren 1959 in Hanau, Schriftsteller, Journalist und Autor von 10 Romanen, veröffentlichte 2018 „Mein Schmetterlingsjahr“, ein Buch, das mit guten Kritiken bedacht und von den Lesern recht begeistert aufgenommen wurde. Es ist nicht nur ein Reisebuch, Henning schildert seine Schmetterlingsstreifzüge unter anderem durch Spanien, Italien, Griechenland und die Schweiz und berichtet über insgesamt 121 verschiedene Schmetterlingsarten. Das Buch, Henning nennt es ein „Hybrid“, ist auch die Geschichte über seinen polnischen Ziehvater, Viktor Knapik, der bei Henning die Begeisterung für Schmetterlinge weckte. Mit ihm fuhr Henning ebenfalls quer durch Europa und erlebte dabei, wie er sagt, die schönsten Abenteuer seiner Kindheit.
„Durch die immer intensivere Beschäftigung mit Schmetterlingen schuf ich mir über die Jahre und Jahrzehnte eine Art Gegenwelt, in die ich mich regelmäßig zurückziehe, wenn ich eine Pause von den Strapazen des Alltags brauche.“
(P. Henning „Mein Schmetterlingsjahr“, Seite 75)
Welche Bedeutung haben Schmetterlinge für Sie, Herr Henning?
Schmetterlinge und Literatur sind mein Leben. Seit Kindesbeinen beschäftige ich mich mit Schmetterlingen, suche, sammle und beobachte, züchte und bewundere sie. In all meinen Romanen spielen Schmetterlinge irgendwie eine Rolle. Der Schmetterling steht für die Schönheit, für die Zerbrechlichkeit, die Vergänglichkeit unserer Existenz. Er ist eine wundervolle Metapher und darüber hinaus sehr stark bedroht. Falter, die in meiner Kindheit und Jugend noch zum Alltagsbild gehörten, stehen inzwischen auf der Roten Liste, wie fast sämtliche Bläulinge oder der Große Kohlweißling. Oder sie sind ganz verschwunden, wie der Trauermantel. Gab es 1970 in Nordrhein-Westfalen noch 171 Schmetterlingsarten, sind es heute noch 70.
Das muss man sich mal überlegen, was wir da in den letzten 30,40 Jahren kaputt gemacht haben. Die Bienen verschwinden und jetzt ziehen die Schmetterlinge nach. Ich halte es für sehr wichtig, sie zu schützen. Und versuche auch dazu zu motivieren, mit meinem Buch, aber ich gehe auch in Schulen und gebe kleine Aufklärungshilfen im Unterricht. Wenn du den Kleinen die Schönheit der Schmetterlinge vor Augen führst, werden sie nie wieder auf eine Raupe treten, sondern stattdessen ein Stöckchen nehmen und die Raupe auf die nächste Wiese setzen. Diese Tiere sind Bioindikatoren, erst verschwinden die Bienen und Schmetterlinge, dann verschwindet der Mensch.
Einer unserer bekanntesten Schmetterlinge ist der Zitronenfalter. Auch in Ihrem Buch taucht er immer wieder auf. In unseren Breitengraden kann man ihn bei milder Witterung schon ab Februar oder März herumflattern sehen. Mit seinem leuchtenden Gelb auf der noch winterlich grauen Vegetation erfreut er das Auge des sonnenhungrigen Betrachters ja irgendwie besonders.
Der Zitronenfalter ist der Methusalem unter den Schmetterlingen. Die Falter können bis zu 12 Monate alt werden und haben damit die höchste Lebenserwartung unserer heimischen Tagfalter. Aber die, die im Jahr schon sehr früh auftauchen sind nicht die Ersten, sondern die Letzten. Die Generation der Falter, die im Spätsommer oder Herbst ausgebildet wurden, schaffen es meist bis ins nächste Jahr. Sie suchen sich Baumspalten, Astlöcher oder überleben sogar zwischen Gräsern in Bodennähe. Andere Falter überwintern in Kellerräumen oder auf Dachböden, das macht der Zitronenfalter nicht. Manchmal werden die Falter sogar überschneit. Sie können einige Minusgrade gut aushalten, weil sie die Flüssigkeit in ihren Adern, um es banal auszudrücken, in Frostschutzmittel umwandeln. Die Falter, die überwintert haben, erkennt man oft daran, dass ihre Flügel etwas „abgeflogen“ sind, die ein oder andere Schuppe ist verloren gegangen, die Flügel eingerissen, weil der Falter schon durch Sturm und Regen geflogen ist.
Und was passiert, wenn sie den Winter überstanden und wieder herauskommen?
Dann versuchen sie, eine neue Generation hervorzubringen, die Arterhaltung ist ihr Seinsauftrag. Die leuchtend gelben Zitronenfalter sind die Männchen, sie müssen die Weibchen anlocken mit ihrer Schönheit. Die wiederum sind eher zitronenblass, ungefähr so gefärbt wie eine aufgeschnittene Limette. Rote Punkte auf den Flügeln haben Männchen und Weibchen. Auf den Blüten sitzen sie nie mit offenen sondern immer mit geschlossenen Flügeln. Man kann sehr schön das gelbe Aderwerk sehen, das die Flügel durchzieht. Hat ein Männchen ein Weibchen gefunden und begattet, legt das Weibchen seine Eier sehr speziell, nämlich jedes einzeln ab. Das ist kompliziert, der Falter muss sich immer wieder setzen, Ei für Ei. Das Kleine Tagpfauenauge macht das anders, es legt 200 Eier auf einmal an eine Stelle. Dort können dann massenhaft Raupen auftreten, die, bevor die zweite Häutung beginnt, in einer Art Spinnennetz zusammenleben und eine Pflanze bewandern, alles herunter fressen und dann weiter zur nächsten Pflanze ziehen. Alle Schmetterlinge legen ihre Eier gezielt an die Futterpflanzen der Raupen.
Wie lange dauert es bis die Raupen schlüpfen?
Das ist unterschiedlich und auch von den Außentemperaturen abhängig. Die Natur liefert der Raupe die erste Nahrung schon mit. Sie fressen als erstes die Eihülle auf, das ist pures Eiweiß, ideale Stärkung und dann suchen sie sich ihren Platz an der Futterpflanze und fangen an zu fressen. Die Raupen des Zitronenfalters sind noch nicht gelb, sondern grasgrün, damit optimal getarnt und in der Umgebung kaum zu erkennen, schwer zu entdecken. Ich persönlich habe bis jetzt noch keine Zitronenfalter-Raupe gesehen.
Was fressen denn die Raupen des Zitronenfalters?
Die Raupen leben von den Blättern des Echten Faulbaums oder einer Kreuzdorn-Art, dem Purgier-Kreuzdorn. Der Zitronenfalter „weiß“, dass er seine Eier an den Faulbaum legen muss. Warum oder wie er das im Einzelnen hinbekommt, weiß man noch nicht, aber dem Falter ist es in seinen genetischen Code eingeschrieben. Wenn man sich mit Schmetterlingen beschäftigt, hat man naturgemäß auch mit Pflanzen zu tun. Es gibt polyphage Raupen, etwa die des Kleinen Nachtpfauenauges, die gehen an Obstbäume und Beerensträucher, fressen Blätter von Kirsche, Apfel, Brombeere, Himbeere. Die Raupen des Tagpfauenauges können sie dagegen nur mit Brennnesseln füttern, sie sind monophag. Ich habe gerade die Raupen des Großen Totenkopfschwärmers hier bei mir in der Wohnung – sie sind riesig, bis zu 16 Zentimeter lang, fingerdick und unfassbar interessante Tiere. Die fressen eigentlich Kartoffelpflanzen. Aber wo bekommt man jetzt frische Kartoffelpflanzen her? Jetzt über den Winter bekomme ich sie auch mit Ligusterblättern durch. Es hat gut geklappt gestern haben sie sich verpuppt.
Die Raupen des Zitronenfalters fressen und fressen, wie lange?
Mehrere Wochen, dabei häuten sie sich drei- bis viermal, ziehen dabei jedes Mal ihre Haut wie mit einem Reißverschluss ab, verändern ihre Gestalt und vergrößern ihr Gewicht, manche Raupen um das bis zu 700-fache. Eine unglaubliche Metamorphose. Die Eier des Großen Totenkopfschwärmers, die ich angeliefert bekomme, sind stecknadelkopfgroß. Die Raupe, wie ich eben schon sagte, kann bis 16 Zentimeter lang werden. Die Raupen sind mein Lieblingsstadium, sie sind unglaublich faszinierend, wenn man sie einmal genau anguckt.
Und dann die Verpuppung?
Ja, die Raupen des Zitronenfalters verpuppen sich noch im Frühling oder frühen Sommer direkt am Faulbaum. Die Raupe hört auf zu fressen, verwandelt ihre Erscheinungsform und tritt in das dritte Lebensstadium, die Puppe ein. Es gibt verschiedene Puppenformen, der Zitronenfalter bildet eine Gürtelpuppe. Die Raupe setzt sich dabei an den Stengel eines abgefressenen Blattes und klebt ihr Hinterteil dort fest. Sie beginnt, einen Faden zu spinnen, den sie auf der Höhe ihrer Brust befestigt und wie einen Gürtel um sich legt. Dann lässt sie sich dort wie in ein Sicherheitsgurt zurückfallen und verpuppt sich weiter. Der Zitronenfalter macht es wie der Schwalbenschwanz, dann gibt es noch Stürzpuppen (zum Beispiel beim Tagpfauenauge), die sich an ihrem Hinterteil aufhängen, dann aber kopfüber nach unten fallen lassen. Außerdem gibt es Falter, die einen Kokon aus Seide bilden oder andere, deren Puppen frei am Boden liegen.
In der Puppe ereignet sich dann die magische Umwandlung der Raupe in den Schmetterling.
Auch dieser Vorgang ist temperaturabhängig, geht beim Zitronenfalter aber recht schnell. Wenn die Puppenruhe vorbei ist, sprengt der Falter die Hülle und strafft die Flügel. Nach etwa einer Stunde ist er flugbereit. Im Gegensatz zur Raupe, findet man den Falter überall. In Gärten, Parks, offenem Gelände und Bergwiesen. Der Zitronenfalter ist ein Liebhaber des Halbschattens. Die Falter, die im Sommer schlüpfen, legen recht bald eine Flugpause ein. Der Zitronenfalter meidet die große Hitze und wir sehen ihn im Hochsommer daher nicht auf den Wiesen. Im Spätsommer wird er dann wieder aktiv und kann je nach Temperatur bis in den Dezember umherfliegen. Wird es dann zu kalt, zieht er sich zur Überwinterung zurück.
Wie gefährdet ist der Zitronenfalter in unseren Breitengraden?
Man sieht ihn noch recht häufig. Aber für den Zitronenfalter gilt wie für alle anderen: wenn die Raupen keine Futterpflanzen mehr finden, gibt es den Falter nicht mehr. Wenn die Faulbäume schwinden, ist auch der Zitronenfalter gefährdet. Ganz allgemein gilt: nicht nur die Monokulturen erschweren den Schmetterlingen das Leben, sondern zum Beispiel auch das Mähverhalten in den Kommunen. Wer ständig mäht, mäht alles kaputt.
Sie zitieren in Ihrem Buch den russischen Schriftsteller Vladimir Nabokov, mit dem Sie die Leidenschaft für Schmetterlinge und Literatur teilen:
„.. am meisten genieße ich die Zeitlosigkeit, wenn ich (..) unter seltenen Schmetterlingen und ihren Futterpflanzen stehe. Das ist Ekstase, und hinter der Ekstase ist etwas anderes, schwer Erklärbares. Es ist wie ein kurzes Vakuum, in das alles strömt, was ich liebe. Ein Gefühl der Einheit mit Sonne und Stein. Ein Schauer der Dankbarkeit, wem sie auch zu gelten hat – dem kontrapunktischen Genius menschlichen Schicksals oder den freundlichen Geistern, die einem glücklichen Sterblichen zu Willen sind.“ (Vladimir Nabokov)
Die Beschäftigung mit den Schmetterlingen hat auch für Sie etwas Mystisches, oder?
Zuerst einmal: ich kenne niemanden, der so wunderbar über Schmetterlinge geschrieben hat, mit seinen Worten so nah an ihre unvergleichliche Schönheit gekommen ist, wie Nabokov. Ich habe ihm schon oft nachgespürt, war auch im Hotel am Genfer See, in dem Nabokov mit seiner Frau lebte. Im letzten Kapitel meines Buches „Das Schillern des Todes“, für mich das wichtigste Kapitel im Buch, geht es um die Großen Schillerfalter und um die Existenzfrage. Ich frage mich dort, für was der Schmetterling eigentlich steht. Er zeigt mir, wie schön und vital das Dasein trotz aller Zerbrechlichkeit ist, und dass das Leben immer wieder neu beginnt.„
“Der Schmetterling zeigt mir, wie schön und vital das Dasein trotz aller Zerbrechlichkeit ist, und dass das Leben immer wieder neu beginnt."
(Peter Henning)
FAKTEN
Der Zitronenfalter (Gonepteryx rhamni)
Name
Zitronen(falter), die männlichen Tiere sind gelb wie eine Zitrone; Falter: sind die Schmetterlinge, die in Ruhestellung ihre Flügel über dem Rücken schließen;
Gonepteryx: Eckflügler, die vier Flügel eines Falters sind an den Ecken deutlich zugespitzt; rhamni: von Rhamnus, Nahrungspflanze der Raupe: Rhamnus cathartica (Purgier Kreuzdorn) und Rhamnus Frangula (Faulbaum).
Merkmale
Falter: Männchen zitronengelb, Weibchen grünlich-weißlich-gelb, Flügelspannweite 50 bis 55 Millimeter
Raupe: mattgrün mit weißen Seitenstreifen (dient der Tarnung vor gefiederten Fressfeinden)
Ei: grünlich-gelb, spindelförmig, längsgerippt
Lebenszyklus
Die Weibchen legen ihre Eier ab wenn der Blattaustrieb beginnt (etwa ab April), direkt an die Knospen der Futterpflanzen. Die Raupen schlüpfen nach rund sechs Tagen, sie kann man von Mai bis Juli an ihren Futterpflanzen sehen. Die Puppenruhe dauert je nach Temperaturverhältnissen etwa zwei Wochen. An Ende Juni fliegen die ersten Falter der neuen Generation umher und steuern ihre Nahrungsquellen an, wie z. B. die Kohldistel, Lerchensporn, Lungenkraut, Blutweiderich, Seidelbast und andere nektarspendende Pflanzen. Im Juli und August ist der Falter kaum zu sehen, er mag die Hitze nicht und legt eine Ruhepause an schattigen Orten ein.
Die männlichen Zitronenfalter tragen ein (nur unter UV-Licht erkennbares) Muster an den Rändern ihrer Flügel, das Auskunft über die Temperatur- und Wetterumstände gibt, in denen der Falter lebt. Dieses UV-Muster ist umso ausgeprägter, je wärmer die Umgebungstemperatur und je höher die Niederschläge im Lebensraum des Zitronenfalters sind.
Die erwachsenen Falter leben im Durchschnitt etwa 9 Monate, einige können sogar ein Jahr alt werden. Im späten Herbst ziehen sich die Falter in ihre Überwinterungsquartiere unter Sträuchern, in Grashorsten und Hecken zurück. Sie überleben, weil sie den Gefrierpunkt ihrer Körperflüssigkeit durch Stoffe wie Glycerin und Sorbit auf mehrere Minusgrade herabgesetzten können. Wird es im nächsten Frühling wieder wärmer, startet der gelbe Falter durch in die meist noch wintergraue Vegetation.
Quellen:
Mein Schmetterlingsjahr. Peter Henning, Theiss Verlag, Darmstadt 2018
Schmetterlinge – erkennen und bestimmen. Heiko Bellmann, Mosaik Verlag, München 2001
https://www.deutschlands-natur.de/tierarten/tagfalter/zitronenfalter/