Sex, Begehren, Partnerschaft: Weshalb Liebe kein bloßer Zufall der Evolution ist

Forschende haben tief in die Vergangenheit des Homo sapiens geblickt und herausgefunden, wann und weshalb die Liebe in die Welt kam. Sie ergründeten, wie die Chemie der zwischenmenschlichen Bindung funktioniert und warum in den meisten Kulturkreisen Frauen und Männer gern paarweise leben. Und wieso es überhaupt Sexualität gibt

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Vor überwiegend goldenem Hintergrund ist ein  abstrakt dargestelltes Paar in inniger Umarmung zu sehen. Der Mann beugt sich etwas nach unten, sein Gesicht ist kaum zu sehen, küsst die Frau auf die Wange. Sie hat den Kopf in den Nacken geneigt; ihr Gesicht mit den geschlossenen Augen ist deutlich zu erkennen und hat einen hingebungsvollen Ausdruck.

Dass Liebe uns Menschen verzehren und sogar über das Leben hinausweisen kann, sehen wir bei Romeo und Julia. Sie gelten als berühmtestes Liebespaar der Welt. Weil ihre Familien im italienischen Verona verfeindet sind, verheimlichen sie ihre Liebe und lassen sich ohne Wissen der Eltern trauen. Doch Romeo tötet im Streit einen Cousin Julias – und muss aus der Stadt fliehen. Nun spitzt sich Shakespeares Tragödie zu: Julia soll mit einem anderen Mann verheiratet werden, nimmt aber aus Verzweiflung und um diesem Schicksal zu entfliehen einen Trunk, der sie scheintot macht. Romeo hört davon und eilt in die Gruft zur vermeintlich toten Julia. Von Trauer übermannt, vergiftet er sich und stirbt an ihrer Seite. Als Julia wieder erwacht, sieht sie den leblosen Romeo neben sich. Seinen Tod aber verwindet sie nicht und ersticht sich mit dessen Dolch.

Kein Zweifel: Sich zu verlieben und wahre Liebe zu spüren, gehört zu den intensivsten Gefühlen von uns Menschen. Zahllose Geschichten, Gedichte, Lieder und Dramen zelebrieren in allen Weltkulturen das Begehren und die Verstrickungen, die die Liebe mit sich bringt. Partnersuche, das Werben umeinander, Heiratsanträge und Hochzeiten prägen das Zusammenleben der Menschen.

Das Mysterium der ewigen Bindung

In vielen Gesellschaften wird die dauerhafte Bindung zwischen Paaren geradezu überhöht und zu einem Ideal oder Mysterium stilisiert, das wissenschaftlich nur schwer zu ergründen ist. Filme, Bücher oder Popsongs verklären die ewige, unverbrüchliche Liebe. Und die Kirche stellt an die Bindung einen lebenslangen Anspruch, versinnbildlicht durch das Eheversprechen und häufig besiegelt mit den Worten „Bis der Tod euch scheidet“.

Zu sehen ist die Nahaufnahme eines Paares. Der Mann im weißen T-Shirt hat seine Partnerin von hinten mit dem Arm umfasst, ihr das Gesicht zugeneigt. Sie – im ärmellosen Sommerkleid und mit langen, glatten braunen Haaren – lächelt glücklich, die Augen halb geschlossen.
Verliebte Menschen strahlen höchstes Glück aus und schwelgen in Gefühlen. Biologen glauben, dass die Paarbindung uralte Wurzeln hat und Kalkül der Evolution ist

Doch in der Wirklichkeit scheitert das Ideal der romantischen Liebe allzu oft. Bei nicht wenigen Paaren verblassen die Gefühle oder gehen ganz verloren; viele trennen sich und bei einigen steht am Ende der blanke Hass. Da drängt sich der Verdacht auf, Liebe sei vielleicht ein verklärtes Produkt idealisierter Vorstellungen und reines Wunschdenken. Aus biologischer Perspektive erscheint sie gar als Trick der Natur, der die Menschen zur Fortpflanzung treibt.

Ist Liebe also nichts weiter als ein von uns kitschig verbrämtes Kalkül der Evolution, um Nachwuchs in die Welt zu bringen und aufzuziehen?

Als Pionierin der evolutionsbiologischen Erforschung der Liebe gilt die US-Anthropologin Helen Fisher von der Rutgers University in New Jersey. Bereits in den 1990er Jahren machte sie mit einer aufregenden These auf sich aufmerksam. Die Liebe, so stellte Fisher fest, hält nicht ewig, sondern nur so lange, wie es für die Aufzucht eines Kindes notwendig ist. Die Anthropologin hatte die Scheidungsdaten von Bürgern aus verschiedenen Nationen analysiert und festgestellt, dass die meisten sich nach einer Ehedauer von rund vier Jahren trennten – und nicht nach sieben Jahren, wie sie erwartet hatte und wie die berühmte Liebeskomödie „Das verflixte 7. Jahr“ aus dem Jahr 1955 suggeriert.

Hat die Liebe ein biologisch eingebautes Verfallsdatum?

Noch etwas fiel der Anthropologin auf: Es waren vor allem junge Frauen und Männer, überwiegend zwischen 20 und 30 Jahren, die sich scheiden ließen. Sie waren also im besten Alter, um Nachwuchs aufzuziehen. Vier Jahre aber seien etwa die Zeit, die ein Kind brauche, um aus dem Gröbsten heraus zu sein und in der eine Mutter – zumindest in der Welt der Urmenschen – auf die Mithilfe eines Mannes angewiesen sei, stellte Fisher fest. Deshalb, so ihre These, bestehe eine biologisch vorhandene Tendenz, sich nach vier Jahren neu zu orientieren – nach dem Motto: Es könnte ja noch ein Besserer kommen, um mit diesem das nächste Kind aufzuziehen.

Eine Braut in weißem Kleid – Schulter und Oberarme frei, an den hochgesteckten blonden Haaren einen Schleier tragend – tanzt beschwingt mit ihrem Bräutigam, der großenteils von ihr verdeckt wird. Im Hintergrund unscharf und dunkel die zuschauenden Hochzeitsgäste und um das Paar herum ein von oben kommender Konfetti-Regen.
Dem Klischee nach gilt die Hochzeit als „schönster Tag im Leben“ und die Ehe soll lebenslang währen. Oft ist sie aber nicht von Dauer – und dafür gibt es einen biologischen Grund
In dichtem Schnee sind sechs hellbraune, am Rücken braunweiß gestreifte Wildschwein-Kinder zu sehen. Zwei blicken neugierig in die Kamera, eines hat Schnee an der Schnauze, zwei beschnüffeln sich. Rechts ist das dunkelbraune Bein der Mutter zu erkennen, im Hintergrund unscharf ein weiteres erwachsenes Wildschwein.
Tierbabys wie diese Wildschwein-Frischlinge empfinden auch wir Menschen als niedlich. Das liegt daran, dass der evolutionäre Ursprung aller Zuneigung auf die Liebe zum Nachwuchs zurückgeht
Vor hellem, unscharfen Hintergrund aus Eis zeichnen sich zwei aufrecht stehende Pinguine ab, die Bauchseiten weiß, Rücken grau, Köpfe schwarz mit leuchtend orangen Fleck und rötlicher Schnabelunterseite. Sie haben ihre Oberkörper einander zugewandt, den Kopf jeweils auf den Nacken des anderen gelehnt und scheinen den Ausdruck „Zuneigung“ im wahren Wortsinn zu verkörpern.
Auch viele Vögel – wie diese Königspinguine in der Antarktis – kennen eine innige Bindung zwischen Paaren. Bei 86 Prozent aller Vogelarten ziehen Weibchen und Männchen die Küken gemeinsam auf. Treu sind sie einander dennoch nicht immer
Vor grünem, unscharfem Hintergrund ist der Kopf eines Schimpansen-Kindes zu sehen. Es hat den Mund geöffnet und schaut nach links, mit einem freudig oder überrascht wirkenden Gesichtsausdruck.
Junge Schimpansen müssen sich überwiegend auf ihre Mütter verlassen, während die Männchen sich aus der Kindererziehung heraushalten. Das hat mit der Unverbindlichkeit ihrer Paarbeziehungen zu tun. Bei uns Menschen hat sich das gründlich verändert
An einem sommerlichen Seeufer zwischen Gras liegt ein Paar junger Menschen, sich innig küssend. Er hat sich über sie gebeugt, man sieht fast nur seine dichten braunen Haare. Sie liegt, mit hellem Top und kurzer Hose bekleidet, auf dem Rücken und umarmt ihn.
Verlieben sich zwei junge Menschen, kann das wie ein Drogenrausch wirken. Hormone und Botenstoffe durchfluten das Gehirn und machen den Partner zum wichtigsten Menschen der Welt
Das Gemälde zeigt ein Paar vor gelblichbraunem, blassen Hintergrund. Sie trägt ein helles Top und graue Hosen, er ein bläuliches Jackett. Sie ist ihm zugewandt, hat ihren Arm um seine Schulter gelegt, er hat ihr Handgelenkt gefasst und schaut geradeaus.
Bei diesem, von Otto Müller Anfang des 20. Jahrhundert gemalten Liebespaar (Ausschnitt) ist nicht so recht zu ersehen, wie innig die beiden zueinander stehen. Bei vielen Paaren wird aus berauschter Verliebtheit im Lauf der Zeit eine ruhige abgeklärte Liebe, bei anderen schwindet die Zuneigung komplett
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