Suche nach verborgenen Partikel: CERN-Forscher:innen stochern im Teilchennebel

Mehr als ein Jahrzehnt nach dem Nachweis des letzten vorhergesagten Elementarteilchens machen sich Physiker:innen auf die Suche nach dunkler Materie – und wissen nicht, was genau sie erwartet.

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Blick in einen langen Tunnel mit einem Gang und unterschiedliche dicken Röhren und Rohrleitungen

„Dass ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält“, so wünschte es sich Goethes Romanfigur Faust schon im 19. Jahrhundert. Ein ähnliches Bestreben kann man auch den theoretischen Physikern unterstellen, die – anders als der fiktive Universalgelehrte – ihre Hoffnung weiter in die klassische Wissenschaft legen. Mit der Entdeckung des Higgs-Bosons, eines über Jahrzehnte nur vermuteten Teilchens, gelang 2012 ein solcher Schritt zum Verständnis unserer Welt. Jetzt machen sich Wissenschaftler an eben jener Einrichtung, an der das Higgs-Boson nachgewiesen wurde, erneut auf die Suche. Diesmal wollen sie etwas finden, von dem sie nicht wissen, was es ist.

Eigentlich hat das Higgs-Boson das Standardmodell der Elementarteilchenphysik komplettiert. Dieses Standardmodell beschreibt alle bekannten Teilchen und deren Wechselwirkungen – starke, schwache und elektromagnetische – mit Ausnahme der Schwerkraft. Viele Wissenschaftler gehen aber davon aus, dass dieses Standardmodell nur ein Teil eines größeren Zusammenhangs ist, den wir noch nicht kennen. Darauf deuten etwa auch Dunkle Materie und Dunkle Energie hin, die nicht vom Standardmodell erfasst werden.

Suche nach der Dunklen Materie

Unter Dunkler Materie verstehen viele Wissenschaftler: Teilchen, die nicht direkt sichtbar sind, aber deren Schwerkraft messbar ist. Weil die Masse der sichtbaren Teilchen des Universums nicht ausreicht, um bestimmte Phänomene zu erklären, nimmt die Wissenschaft an, dass es dunkle Materie geben muss. Über die Gravitation interagieren diese Teilchen mit den bekannten Teilchen. Hypothetische Kandidaten sind schwere neutrale Leptonen und dunkle Photonen. Ähnlich ist die dunkle Energie eine bislang nur hypothetische Energieform, um bestimmte Phänomene erklären zu können.

Das neue Experiment soll nun Teile der Dunklen Materie aufspüren. Daran beteiligt sind Forscher aus 50 Universitäten und Forschungseinrichtungen, unter ihnen der theoretische Physiker Peter Schupp von der privaten Constructor University in Bremen.

Herr Schupp, Sie wollen am Europäischen Zentrum für Kernforschung – dem nahe Genf gelegenen CERN – nach Teilchen suchen, von denen Sie gar nicht wissen, ob es sie gibt. Wie kommt man auf diese Idee?

Prof. Dr. Peter Schupp: Wir wissen, dass es diese Bestandteile der sogenannten Dunklen Materie geben muss: Astrophysikalische Beobachtungen zeigen sogar, dass sie fünfmal häufiger im Universum anzutreffen sind als gewöhnliche Materie. Wir wissen aber nicht, um was für Teilchen es sich genau handelt. Sicher ist nur, dass sie nicht mit Licht wechselwirken und daher effektiv unsichtbar sind und, dass sie aufgrund ihrer Gravitation für die Entwicklung unseres Universums essenziell sind.

Das Projekt heißt „Search for Hidden Particles“, kurz SHiP. Was könnten Sie finden – und welche Bedeutung hätte das? Wir hoffen, von dem geplanten Experiment mehr über diese mysteriöse Dunkle Materie zu erfahren und ihre Teilchen in situ zu entdecken. Das Akronym SHiP – Schiff – passt gut, weil man es sich so vorstellen könnte, dass wir erst einen Kontinent auf der Erde kennen und nun als Entdecker neuer Welten in See stechen.

Blick in den verborgenen Sektor

Wie soll diese Suche am CERN funktionieren?

Aufgrund ihrer schwachen Wechselwirkung sind die Teilchen im sogenannten verborgenen Sektor sehr schwer zu beobachten. Wir müssen daher eine sehr große Anzahl von Teilchen erzeugen. Um diese verborgenen Teilchen zu finden, wird SHiP einen leistungsstarken Protonenstrahl auf ein Ziel richten, um Bedingungen zu schaffen, unter denen neue Teilchen entstehen und beobachtet werden können.

Schema-Zeichnung der Bauelemente des SHiP-Experiments
Der Aufbau des ShiP-Experiments am CERN

Im Gegensatz zu früheren Experimenten, die mit hohen Energien arbeiteten, wird sich SHiP auf niedrigere Energien, aber sehr hohe Leuchtkraft konzentrieren. Im Fachjargon bedeutet es, dass wir an der „luminosity frontier“ – also der Leuchtkraftgrenze – arbeiten, und nicht so wie bei anderen Experimenten am CERN an der „high energy frontier“ – der Hochenergiegrenze. Die hohe Intensität des bereits 1976 in Betrieb genommenen Super Proton Synchrotrons am CERN zusammen mit neuen Detektoren wird die Suche ermöglichen. Dadurch könnten Teilchen erkannt werden, die nur sehr schwach wechselwirken und daher bisher nicht entdeckt werden konnten.

Welche Aufgabe hat dabei Ihr Team von der Constructor University?

Die Suche nach Teilchen des verborgenen Sektors ist wie die sprichwörtliche Suche nach einer Nadel im Heuhaufen. Wir planen diese Suche durch KI-gestützte Methoden der Datenverarbeitung zu unterstützen und bei der Auswahl und optimalen Positionierung der Detektoren zu helfen. Ein weiterer Aufgabenbereich sind die Teilchenphysikaspekte.

Neue Teilchen wären eine bahnbrechende Entdeckung

Was sind die größten Herausforderungen bei dem Vorhaben?

Die größte Herausforderung ist das Herausfiltern interessanter Signale aus dem Hintergrund einer unglaublich großen Zahl gewöhnlicher Teilchenwechselwirkungen. Sprichwörtlich sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht.

Was ist, wenn Sie keine neuen Teilchen finden?

Neue Teilchen wären eine bahnbrechende fantastische Entdeckung und wir sind optimistisch, aber ein negatives Ergebnis würde uns auch viel über die Natur der Teilchen im verborgenen Sektor sagen. Es ist eine Win-Win-Situation.

Wann wird das Experiment startbereit sein – und wie lange wollen Sie nach unbekannten Teilchen suchen?

Erste Planungen für SHiP haben bereits vor zehn Jahren begonnen. Das endgültige Design wird zurzeit diskutiert und nach dem Aufbau der Anlage können wir voraussichtlich ab 2030 Daten erfassen und analysieren. Der erste Durchlauf wird zwei Jahre dauern und es sind weitere Messphasen geplant. Der gesamte Zeithorizont ist 10 bis 15 Jahre lang und der ist natürlich von den Ergebnissen abhängig.

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