Medikamentenabhängigkeit – Die Nase voll von Nasenspray und Nasentropfen
Tabuthema Nasenspray: Wann der Sprühstoß Sinn macht, wann man abhängig ist, was das alles mit der „Stinknase“ Ozäna zu tun hat: Fünf Fakten über abschwellende Nasentropfen und Sprays.
Nasensprays sind verpönt. Obwohl über 15 Millionen Erwachsene in Deutschland sie bei Erkältungen oder einem Schnupfen täglich nutzen. Aber kaum einer spricht darüber. Dass sich der Gebrauch abschwellender Nasentropfen oder Sprays zu einer Art Tabuthema gemausert hat, liegt auch an der öffentlichen Wahrnehmung durch die negative Berichterstattung: Rapper Sido beichtete seine jahrelange Abhängigkeit und schilderte vor vier Jahren, wie er von seiner Nasenspray-Sucht losgekommen ist. Hunderttausende Nasenspray-Junkies riskierten ihre Gesundheit. Der regelmäßige Gebrauch sei angeblich so schädlich wie Kokain, ist in manchen Medien zu lesen. Wer sich ständig etwas in die Nase sprühe, riskiere eine übel riechende „Stinknase“, heißt es.
Dabei ist der Gebrauch der Mittel an sich gar nicht verkehrt. „Selbstverständlich darf man bei einer Erkältung Nasenspray benutzen“, sagt Marie-Luise Polk von der Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde vom Universitätsklinikum Dresden. Wenn die Nase verstopft sei und die Belüftung der Nasennebenhöhlen schlecht, nehme das Krankheitsgefühl zu. „Abschwellende Nasentropfen machen dann Sinn: Das Sekret kann besser abfließen. Auch wir in der Klinik nutzen bei schweren Entzündungen der Nasennebenhöhlen regelmäßig lokal abschwellende Medikamente“, sagt Polk.
Allerdings – und jetzt kommt die entscheidende Einschränkung – sollte man die Tropfen nicht länger als sieben Tage am Stück nehmen. Dann sollte Schluss sein: „Wer die Tropfen oder das Spray routinemäßig vor dem Einschlafen nimmt, weil die Nase zugeht, gewöhnt seine Schleimhaut an das Medikament und die Nase schwillt immer wieder zu.“ Dann drohe ein medikamentöser Schnupfen, für den Fachleute einen eigenen Namen haben: Privinismus – abgeleitet vom Handelsnamen des schleimhautabschwellenden Wirkstoffes Naphazolin.
Wie wirken Nasentropfen? Wie kommt es zur Abhängigkeit? Was kann man dagegen tun, welche Alternativen gibt es, um die Nase frei zu bekommen und steigern die Medikamente tatsächlich das Risiko, an einer Stinknase (Ozäna) zu erkranken? Fünf Fakten über Nasentropfen.
I. Wie Nasentropfen wirken
Ob klein, ob groß, lang, breit oder schmal: Unsere Nase reinigt die Atemluft, sie feuchtet sie an und wärmt sie auf. Wichtig für all diese Funktionen sind die Nasenmuscheln: Diese mit Schleimhaut überzogenen Knochenlamellen regulieren, wie viel Luft ein- und ausströmen kann. Wenn die Nase zugeht, schwellen die Nasenmuscheln an. Wenn sich diese Schwellkörper wie zum Beispiel bei einem 100-Meter-Sprint optimal öffnen, schwellen die Nasenmuscheln ab.
„Nasentropfen imitieren einen natürlichen Nervenstimulus“, erklärt Martin Wagenmann, leitender Oberarzt an der Klinik für Rhinologie, Allergologie und endoskopische Schädelbasischirurgie am Universitätsklinikum Düsseldorf. Sie wirkten als so genannte Sympathomimetika auf die glatten Muskelzellen am Ende spezialisierter Venen in der Nasenschleimhaut. „Die Gefäße ziehen sich zusammen, die Schleimhaut schwillt ab, der Patient, die Patientin bekommt wieder mehr Luft“, sagt Wagenmann.
Chemisch gesehen gibt es verschiedene Typen an Nasentropfen. Alle wirken auf die sogenannten Adrenozeptoren von Nervenzellen. Es gibt die so genannten Beta-Phenylethylamin-Derivate und die Imidazolin-Derivate wie Xylometazolin und Oxymetazolin. Die Mittel wirken vor allem lokal an der Nasenschleimhaut und gelangen nur in vernachlässigbar kleinen Mengen ins Blut.
II. Wie eine Abhängigkeit entsteht
„Bei regelmäßigem Gebrauch von Nasenspray oder -tropfen gewöhnen sich die Rezeptoren auf den Nervenzellen in der Nase an den Stimulus“, sagt Martin Wagenmann. Nach welcher Nutzungsdauer die Gewöhnung eintritt, ist individuell unterschiedlich: Bei manchen dauert es nur drei Tage, bei anderen mehrere Wochen. „Wenn dann die Nasentropfen weggelassen werden, schwillt die Nase umso stärker zu“, erklärt der HNO-Arzt – ein Teufelskreis, der eine immer höhere Dosierung erfordere. „Es entsteht ein medikamentenbedingter Schnupfen.“ Um ungehindert durch die Nase atmen zu können, müsse dann immer wieder getropft oder gesprüht werden.
„Ich würde nicht von einer Sucht sprechen, weil die Vorgänge überhaupt nicht zu vergleichen sind mit einer Alkohol- oder Drogensucht“, sagt Wagenmann. Das Wort „Abhängigkeit“ treffe den Zustand weit besser. Dabei handelt es sich keinesfalls um eine rein psychische, sondern durchaus auch um eine physische Abhängigkeit.
Der Dauergebrauch schadet der Schleimhaut: Das Gewebe verändert sich, die feinen Reinigungshärchen, die Cilien, schlagen nicht mehr so tatkräftig, um Schmutz aus der Nase hinauszubefördern. Bei einer Nasentropfen-Nase bleiben die Blutgefäße in der Schleimhaut dauerhaft eng gestellt, die Nase ist nicht mehr ausreichend mit Nährstoffen versorgt. „Die Schleimhaut beginnt zu schrumpfen und sondert kaum noch Sekret ab, sie trocknet aus“, schreibt die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen in einer Informationsschrift über verschiedene Formen der Medikamentenabhängigkeit.
Laut Schätzungen des mittlerweile verstorbenen Bremer Gesundheitsökonomen und Apothekers Gerd Gläske gibt es in Deutschland mindestens 100.000 Nasenspray-Abhängige. Laut dem Redaktionsnetzwerk Deutschland könnte die Zahl der Betroffenen sogar bei rund einer Million liegen. Das sind aber nur Schätzungen: Studien, die die tatsächlich Häufigkeit ermittelt haben, gibt es nicht. Hinweise für eine rege Nutzung der Nasensprays und Tropfen liefern die Verkaufszahlen: Unter den 20 meistverkauften und rezeptfreien Mitteln in Apotheken seien laut Gerd Glaeske vier Präparate mit abschwellenden Nasensprays, berichtet das RND.
III. Wie kommt man los von der Abhängigkeit?
Bei einer Abhängigkeit geht kein Weg daran vorbei: Das Nasenspray, die Nasentropfen müssen abgesetzt werden. „Die medikamentenbedingte Umstellung der gefäßgesteuerten Muskulatur in der Nase ist gut zu behandeln, aber die Betroffenen müssen Geduld mitbringen“, sagt Martin Wagenmann. Wichtig sei, den Patientinnen und Patienten zu erklären, was in ihrer Nase passiere, und gemeinsam ein Behandlungskonzept zu überlegen. Die wichtigste Botschaft dabei sei: „Es kann Wochen bis Monate dauern, bis sich die Nase wieder umgewöhnt hat.“
Am Universitätsklinikum Dresden favorisieren die Ärztinnen und Ärzte ein langsames Ausschleichen der Therapie: „Wir empfehlen zuerst Kindernasenspray zu nutzen, dann Spray für Babys und schließlich ganz damit aufzuhören“, sagt HNO-Ärztin Marie-Luise Polk. Unter Umständen könne zusätzlich ein cortisonhaltiges Nasenspray zum Einsatz kommen.
Das sieht auch Martin Wagenmann so. Am Universitätsklinikum Düsseldorf empfehle man zusätzlich, ein Tagebuch über den Verbrauch der Sprays zu führen und die Nase mit Salben und Nasendusche zu pflegen. Grundsätzlich müsse man aber als Allererstes abklären, woher der chronische Schnupfen eigentlich komme: Sind die Nasentropfen Schuld oder reagiert der Patient, die Patientin vielleicht auch allergisch auf ein harmloses Umweltallergen, auf Hausstaubmilben, Katzenhaar oder Birkenpollen? Ist der Patient tatsächlich allergisch, muss die Allergie gezielt behandelt werden. Auch eine chronische Entzündung der Nasennebenhöhlen kann beteiligt sein oder anatomische Besonderheiten, wie weiche Nasenflügel oder eine schiefe Nasenscheidewand, wenn die Nasenatmung schwerfällt.
IV. Welche Alternativen es gibt
Marie-Luise Polk empfiehlt bei verschnupfter Nase den Gebrauch von hypertonen Solelösungen in Form von Nasensprays (Meersalznasenspray) oder Nasenduschen mit Nasenspülsalz, die die Nase ebenso sehr gut säubern.
„Fast bei jeder Sorte von chronischem Schnupfen hilft ein lokal wirkendes, cortisonhaltiges Nasenspray viel besser als klassische Nasentropfen“, sagt Martin Wagenmann. Wichtig sei dabei aber zu wissen, dass sich die Wirkung der Medikamente deutlich unterscheide: „Von den Nasentropfen her ist man es gewohnt, dass die Wirkung sofort eintritt, das ist aber beim Cortison-Spray nicht der Fall. Bis man den abschwellenden Effekt merkt, kann es mehrere Tage dauern“, sagt Wagenmann.
V. Steigt durch den Gebrauch von Nasentropfen das Risiko für eine „Stinknase“ (Ozäna)
Die Özäna oder „Stinknase“ ist eine sehr seltene Erkrankung der Nasenschleimhaut. Wenn das Gewebe der Schleimhaut schwindet und sich borkige Verkrustungen in der Nase bilden, können sich darunter übel riechende Bakterien, wie etwa Klebsiella pneumoniae ozaenae ansiedeln. Die Folge: Aus der Nase heraus kommt ein höchst unangenehmer Geruch.
Ozäna muss noch vor 120 Jahren recht häufig aufgetreten sein, sagt Wolf Lübbers, HNO-Arzt aus Hannover und Verfasser von medizinhistorischen Fachartikeln. Die Ozäna hat zum einen wohl eine genetische Komponente, die man aber noch nicht sicher kennt. Zum anderen kann sie als Folge von anderen Erkrankungen, wie zum Beispiel Lepra oder Syphilis, exzessivem Drogenkonsum über die Nase – wie beispielsweise beim Kokainkonsum – oder auch nach ausgedehnten Operationen auftreten. „Ich stamme noch aus einer Zeit, in der man bei Operationen sehr rigoros mit der Nasenschleimhaut umging“, sagt Lübbers. Die Schleimhäute wurden teilweise fast komplett entfernt, inklusive der Nasenmuscheln. Als Folge dieses „Empty-Nose-Syndroms“ klagten die Patientinnen und Patienten häufig über Ozäna-ähnliche Folgeerscheinungen wie Borkenbildung und Verstopftheitsgefühl.
Rein theoretisch könne auch der übermäßige Gebrauch von Nasentropfen eine „Stinknase“ verursachen. „Die Nasentropfen bewirken, dass sich die Gefäße in der Schleimhaut zusammenziehen. Die Schleimhaut wird nicht mehr ausreichend ernährt, sie trocknet aus.“ Durch das ewige On und Off durch die Nasentropfen kann es zu einer Durchblutungsstörung der Nasenschleimhaut kommen. „Es entsteht eine trockene Nase, aber eine trockene Nase ist noch lange keine ‚Stinknase‘“, sagt Lübbers. Um eine Ozäna zu verursachen, müssten die Nasentropfen schon in rauen Mengen in die Nase gegeben werden, meint der HNO-Spezialist. Lübbers hat in seiner 35-jährigen Praxistätigkeit nur zwei leichte Ozäna-Fälle gesehen.
Eine vollständige Heilung der „Stinknase“ ist schwierig. Wenn früher Spülungen, Salbeneinlagen und Pudereinblasungen nicht mehr halfen, versuchten es die Mediziner mit verflüssigtem Hart-Paraffin, das sie unter die Nasenschleimhaut spritzten. Von solchen Methoden, die den Schaden eher noch vergrößerten, ist man heute weit entfernt. Der Arzt, die Ärztin entfernt gegebenenfalls Borken und Krusten und kann die vergrößerte Nasenhöhle unter Umständen durch eine operative Einlage von Knorpelstückchen verkleinern. Die Betroffenen sollten Nase und Schleimhäute mit physiologischer Kochsalzlösung oder mit speziellen Nasen-Salben und -Cremes gut pflegen sowie mit feuchter Raumluft die Schleimhäute feucht halten. Unterstützend wirkt auch reichhaltige Flüssigkeitszufuhr.