Die Vermessung des Schlafs

Vom Aufbruch in eine neue Zeitkultur

13 Minuten
Schlafende Frau

Deutsche Forscher nähern sich dem Ziel, den inneren menschlichen Rhythmus sowie die Schlafstruktur mit einfachen Mitteln zu überwachen. Das könnte weite Teile der Medizin revolutionieren und der Gesellschaft zu einer neuen Zeitkultur verhelfen.

Und? Gut geschlafen? Genug geschlafen? Zur rechten Zeit geschlafen? Auf solche Fragen reagieren die meisten Menschen nur mit Schulterzucken. Zumindest wenn sie nicht die halbe Nacht wach gelegen haben, müssen sie zugeben: Sie haben keine Ahnung, wie sie geschlafen haben.

Wir besitzen kein Sinnesorgan für Schlafmangel. Ob die letzte Nacht erholsam war, ob wir in den vergangenen Wochen ausreichend Schlaf bekommen haben? Diese Dinge erkennen wir frühestens zur Mittagszeit, wenn der Drang zum Nickerchen besonders mächtig wird oder wir gut durchhalten. Oft wissen wir es sogar erst am Abend, wenn wir mehr oder weniger todmüde ins Bett fallen. Selbst Schlafmediziner definieren erholsamen Schlaf darüber, wie gut wir uns im Laufe des folgenden Tages fühlen und nicht etwa nachts oder gar direkt nach dem Aufstehen.

Viele gesundheitliche Probleme in der Bevölkerung, aber auch die Unzulänglichkeit mancher Medizin, haben ihre Ursache darin, dass wir – bewusst oder unbewusst – gegen unsere individuelle, innere, biologische Zeit leben oder als Ärzte behandeln. Aus diesem Grund gerät unser Stoffwechsel immer mal wieder aus der Balance. Medikamente wirken schlechter als sie könnten. Wir schlafen zudem oft zu wenig oder zu schlecht. Darum ist es äußerst wichtig, dass nun zwei deutsche Forschergruppen neue, bahnbrechende Methoden vorgestellt haben, wie man den inneren Rhythmus des Menschen und seinen Schlaf auf einfache Weise vermessen kann.

So geben uns die Forscher etwas, was uns die Evolution leider nie schenken konnte: Ein Sinnesorgan, das uns sagt, wann und wie wir schlafen und aktiv sein sollten. Sie geben uns zudem neue Werkzeuge, die helfen, den optimalen Zeitpunkt zur Einnahme eines Medikaments zu ermitteln.. Doch damit nicht genug: Sie helfen uns, neue Ideen für eine weniger gesundheitsschädliche Form von Nacht- und Schichtarbeit zu überprüfen, die Bedingungen für den Schulunterricht zu verbessern, zu testen, wie schädlich die Uhrenumstellung auf die sogenannte Sommerzeit tatsächlich ist und so fort.

Die Chronobiologen können mit Hilfe einer einfachen Analyse der Genaktivität auf den Stand der biologischen Uhr zurückschließen.

Achim Kramer von der Berliner Charité ist Chronobiologe, also ein Erforscher der inneren Uhren. Er arbeitet zusammen mit vielen Kolleg*innen seit Jahren an der Entwicklung eines möglichst simplen Bluttests zur Messung der inneren Uhrzeit von Menschen. Jetzt scheint der Durchbruch gelungen zu sein. Die Chronobiologen publizierten Daten, wonach sie mit Hilfe einer einfachen Analyse der Genaktivität in bestimmten Blutzellen ziemlich genau auf den Stand der biologischen Uhr eines Menschen zurückschließen können (The Journal of Clinical Investigation, jci.me/120874/pdf).

Am Anfang stand die computergestützte Analyse der Aktivität tausender Gene in zahlreichen Blutproben, die 12 Probanden über 40 Stunden hinweg alle 3 Stunden entnommen worden waren. Ein selbstlernendes Rechenprogramm verglich diese enorme Datenmenge mit ebenfalls gesammelten Werten über die Schwankungen des Hormons Melatonin. Die wiederholte Messung des Melatoninspiegels gilt derzeit als beste Methode zur Erfassung der inneren Uhrzeit eines Menschen. Sie ist allerdings für den biomedizinischen Alltag viel zu aufwändig.

Eine Wissenschaftlerin sitzt vor einem Bildschirm und wertet ein so genanntes DNA-Microarray aus.
Eine Wissenschaftlerin wertet ein so genanntes DNA-Microarray aus. Die Farben des Musters geben wieder, welche Art von Boten-RNA (mRNA) in welcher Häufigkeit in einer Zellprobe gefunden wurde. Je häufiger ein Gen abgelesen wird, je aktiver es also ist, desto mehr Boten-RNA befindet sich in der Zelle.

„Der neue Test hat das Potenzial, fast die ganze Medizin zu verändern.“ (Dieter Kunz)

Unser innerer Rhythmus folgt nicht den Armbanduhren oder Weckern, sondern dem Lauf der Sonne – also der physikalischen Zeit.

Zwei Grafiken mit mehreren Balken, die weitgehend einer Normalverteilung folgen.
Der Chronotyp beschreibt, wie sich Menschen aufgrund ihrer individuellen inneren Uhren in den äußeren Tag-Nacht-Rhythmus einfügen. Die Grafik zeigt Umfrageergebnisse zu Schlafzeiten an arbeitsfreien Tagen von rund 150.000 Mitteleuropäern, die mit Hilfe eines Chronotyp-Fragebogens gewonnen wurden. Links: Etwa zwei Drittel gehören zu einem der mittleren Chronotypen. Je ein Sechstel fallen in die Kategorien Lerchen oder Eulen (moderate bis extreme Formen). Die meisten Menschen (etwa ein Drittel) schlafen ohne äußeren sozialen Zwang von null bis acht Uhr oder 0:30 bis 8:30 Uhr. Rechts: Weil bei vielen Menschen mit spätem Chronotyp die Arbeitszeit nicht ideal zum biologischen Rhythmus passt, schlafen sie an Arbeitstagen weniger als sie benötigen. Sie leiden am so genannten sozialen Jetlag. Viele Menschen mit frühem Chronotyp kommen dagegen an freien Tagen nicht rechtzeitig zu Bett und schlafen dadurch an diesen Tagen zu wenig.

Perfekt ergänzt wird der Bluttest aus Berlin durch eine neue Methode aus München, aus den Aufzeichnungen eines simplen Bewegungsmessers Rückschlüsse auf die Schlafqualität zu ziehen

Der internationale Flughafen von Venedig in Italien am 14. September 2011: Fluglotsen arbeiten bei Nacht.
Fluglotsen arbeiten nachts am Flughafen von Venedig. Sie gehören ähnlich wie Notfallmediziner, Pflegekräfte, Polizei- und Feuerwehrangestellte zu jenen Berufsgruppen, die regelmäßig Nacht- und Schichtarbeit leisten müssen. Das führt fast zwangsläufig zu chronischem Schlafmangel, der an arbeitsfreien Tagen unbedingt ausgeglichen werden sollte.

„Vielleicht werden wir schon bald verschiedene Schichtsysteme ausprobieren und direkt messen, ob und wie stark sie die inneren Uhren verstellen.“ (Till Roenneberg)

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