Der Blick aus dem All für wenige Cent
Satelliten- und Wetterdaten müssten selbst für den afrikanischen Bauern erschwinglich sein, der unter dem Klimawandel leidet, meint Cloudeo-Gründer Manfred Krischke im Gespräch mit KlimaSocial.
Manfred Krischke, Gründer des Münchner Startups Cloudeo, setzt in Zukunft darauf, Geodaten auch über auf Blockchain-Techniken basierten Smart Contracts zu vermarkten. Damit will der gelernte Raumfahrtingenieur nichts weniger als „den globalen Markt für Geodaten zu revolutionieren“. Dabei erwartet er auch aufgrund der Klimakrise in vielen Bereichen eine steigende Nachfrage. Christiane Schulzki-Haddouti hat sich mit ihm über seine Pläne unterhalten.
Transaktionen können dank Blockchain-Technik über sogenannte „Smart Contracts“ abgewickelt werden. Das sind Softwareprogramme, die auf der Blockchain aufbauen und bestimmte Vertragsinhalte bereits im Programmcode enthalten. Käufe und Verkäufe können damit automatisiert abgeschlossen werden, sobald alle beteiligten Parteien die vereinbarten Konditionen erfüllen. Für die Transaktionen ist keine zentrale Datenhaltung notwendig.
Zu den Auslösern eines Vertragsabschlusses über einen „Smart Contract" könnte beispielsweise ein Messwert gehören: Misst ein Sensor einen Wert unter 2 Grad Celsius, könnte das einen Vertrag mit einem Schneeglätte-Warndienst auslösen. Das Überschreiten einer bestimmten Windstärke oder eines Pegelstandes könnte die Buchung eines Dienstes für Sturm- oder Hochwasserwarnungen triggern. Diese Verträge werden dann auch wieder automatisch beim Erreichen bestimmter Entwarnungsgrenzen gekündigt.
Sollten bestehende rechtliche und technische Probleme der Blockchain-Technik gelöst werden können, wären solche Angebote möglich. Auch könnten Nutzer selbst wieder mit ihren Smartphones oder vernetzten Fahrzeugen weitere Daten liefern und gegen neue Informationen eintauschen. Da im Moment dieser neue Datenmarkt erst entsteht, ist noch vieles offen. Doch schon jetzt wird deutlich, dass nicht allein die Technik, sondern auch der Klimawandel die Entwicklung vorantreiben wird.
Herr Krischke, welche Rolle spielt der Klimawandel bei Ihren strategischen Überlegungen?
Er spielt eine sehr wichtige Rolle. Die Wetterextreme nehmen zu, und damit wird auch die Nachfrage nach möglichst genauen und aktuellen Geo- und Wetterdaten steigen.
Wenn wir über Blockchain-Techniken reden, geht es ja auch um Kleinstverträge, die per Smart Contracts automatisiert abgeschlossen werden können. Wo sehen Sie hier – mit Blick auf den Klimawandel – potenzielle Kunden?
Als Kunden kommen beispielsweise Bauern in Betracht, die über Smart Contracts je nach Bedarf zu minimalen Beträgen individuelle, ortsbezogene Wetterprognosen, Düngeempfehlungen und sonstige Anbauinformationen abrufen können. Diese ließen sich außerdem mit dem Internet der Dinge verbinden: Eine Anwendung könnte im Zusammenspiel mit Sensoren in Erntemaschinen entscheiden, ob eine Düngeanwendung sinnvoll ist oder ob eine autonome Erntemaschine sogar wegen drohender Überflutung auf ein etwas höher gelegenes Feld gefahren werden soll. Ähnlich könnte das auch mit Sensoren funktionieren, die in einem städtischen Abwassersystem installiert sind: Ab dem Erreichen bestimmter Messwerte würde beispielsweise das Katastrophenmanagement der Stadt alarmiert werden.
Damit wären im Grunde die großen Landwirtschaftsmaschinen-Hersteller oder Kommunen Ihre Kunden. Ist Ihre Technik dann für einzelne Bürger zu teuer?
Nein, das kann so günstig sein, dass sich auch Bauern in afrikanischen Ländern den Datenabruf leisten können.
An welche Größenordnung denken Sie dabei?
Ein Abruf kann nur wenige Cent kosten, außerdem können die Bauern selbst wieder Daten verkaufen.
Haben Sie bereits Kunden?
Auf unserer Plattform sind zurzeit etwa 1000 Firmen registriert, die Interesse an unseren Diensten haben, mit denen sie auch eigene Anwendungen entwickeln können. Wir sprechen aktuell unter anderem mit einem großen Versicherungskonzern, der mit Geodaten ein Risikomanagementsystem aufbauen will.
Mit Blockchain-Technik den Markt für Geodaten umkrempeln zu wollen, klingt angesichts der noch bestehenden technischen und rechtlichen Risiken ein wenig nach Rocket Science. Wie handfest sind denn Ihre Pläne bereits?
Der Zugang zu Geodaten ist bislang mit hohen Ausgaben im vier- bis sechsstelligen Bereich verbunden. Schon ohne Blockchain haben wir es mit unserem cloudbasierten Geschäftsmodell geschafft, diese Kosten um bis zu 95 Prozent zu senken – und so den Zugang zu Satelliteninformationen tatsächlich jedem zu ermöglichen. Die Blockchain ist ein wesentliches Element dies in Zukunft noch wesentlich effizienter zu erreichen.
Wie soll das gehen?
Jeder kann Daten über flexible Kleinstverträge, sogenannte Smart Contracts auf Blockchain-Technologie basierend, kaufen und verkaufen. Damit können kleinste Datenabfragen nach Bedarf gestartet und bezahlt werden. Ein Abonnement ist dann nicht mehr notwendig. Wir liefern die Daten und Werkzeuge und die Blockchain-Technik, die passenden Anwendungen dazu kommen von Partnern, denen wir im Prinzip alles als Service zur Verfügung stellen können, was sie brauchen oder was ihnen noch fehlt.
Welche Daten haben Sie heute schon im Gepäck?
Wir haben jede Menge Geodaten von Satelliten, Flugzeugen und Wetterdiensten. Außerdem erwarte ich, dass in Zukunft jeder die Geodaten, die er selbst mit seinen vernetzten Geräten wie etwa Smartphones oder vernetzten Fahrzeugen sammelt, direkt zu Geld machen kann.
Wo sind Sie denn bereits aktiv?
Als kommerzieller Partner sind wir Teil der Eohops-Initiative (EO data hosted processing for science), die seit Juli 2018 Forschern einen kostenlosen Zugriff auf kommerzielle Erdbeobachtungsdaten, Remote-Sensing-Software und Analytics-Lösungen bietet. Die Wissenschaftler können hochwertige kommerzielle Bilder und Software kostenlos verwenden, müssen sich allerdings vorher im Eohops-Store dafür bewerben.
Was ist die finanzielle Grundlage des Projekts?
Finanziert wird die Initiative von der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Cloudeo betreibt den Store und die Hosting-Umgebung. Schon im vergangenen Jahr konnten Forscher im Rahmen der ersten Eohops-Runde Daten verwenden. Unterstützt wurden damals das Süßwasser-Monitoring, das Management aquatischer Ökosysteme und der Umweltbedingungen für dort vorkommende Tier- und Pflanzenarten, die Beobachtung von Pflanzenvitalität und sogar nachhaltige Infrastrukturplanung und Risikomanagement.
Welche Anwendungen haben Sie selbst bereits im Angebot?
Mit unserer Web-App TimeCaster können Schiffe genauer nachverfolgt werden. Dabei berechnet TimeCaster auf Basis von S-AIS-Rohdatennachrichten (Satellite Automatic Identification Systems), die von verschiedenen Satellitensystemen wie etwa Orbcomm empfangen werden, alle zehn Minuten die Position der ausgewählten Schiffe neu. In 90 Prozent der Fälle beträgt die Positionsabweichung vom tatsächlichen Kurs maximal zehn Seemeilen. Dabei gibt die App auch eine Routenprognose ab, die sich auf bis zu 12 Stunden in die Zukunft erstreckt. Zum Vergleich: Aktuelle Systeme zur maritimen Positionsüberwachung zeigen die Lage von Schiffen aufgrund von langsamen Updates innerhalb einer Toleranz von mehr als 140 Seemeilen an.
Wer interessiert sich für diese Daten?
Die Informationen sind für die verschiedensten Kreise interessant: Flottenbesitzer und -betreiber, Rohstoffhändler in der Öl- und Gasindustrie, Menschenrechts- und Umweltschutzeinrichtungen, Versicherungen für den maritimen Bereich oder Finanzindustrie. Wir verkaufen aber die Daten hier noch nicht über Kryptowährungen und Smart Contracts, sondern über herkömmliche Preismodelle.
Wie wollen Sie langfristig eine gemeinnützige Verwendung der Geodaten sicherstellen?
Wir haben die CEVEN Blockchain Initiative angestoßen und wollen ein „Inititial Token Offering (ITO) in den nächsten Monaten starten. Damit soll dann eine eigens gegründete Stiftung, die CBN Foundation, eine spezielle Kryptowährung, in diesem Fall die CEVEN-Blockchain-Token, auf den Markt bringen. Die Stiftung ist gemeinnützig und wurde in Liechtenstein gegründet, um ein Ökosystem für Geodatenanbieter zu schaffen, innerhalb dessen bezahlbare Geoservices und völlig neuartige Geschäftskonzepte für jedermann angeboten werden sollen, egal ob Einzelperson, Unternehmen, Großkonzern oder Behörde.
Warum richten Sie die Stiftung ausgerechnet in Liechtenstein ein?
Liechtenstein war einmal in Verruf, hat aber 2013 eine komplette Neuausrichtung unternommen und ist jetzt in Europa in Sachen Compliance auf dem aktuellen Stand. Außerdem positioniert sich das Land neben der Schweizer Gemeinde Zug als Pionier der Blockchain-Technologie: Dank seiner kleinen Größe unterstützt es eine enge Begleitung des staatlichen Regulierers und bietet damit eine optimale Rechtssicherheit. Auch eignet sich das Liechtensteiner Stiftungsrecht sehr gut dafür, eine Token-basierte Community aufzubauen.
Ihre Stiftung ist gemeinnützig – was heißt das?
Gemeinnützig bedeutet in unserem Fall, dass es keinen Eigentümer und keinen kommerziellen Nutznießer gibt. Die Aufgaben wurden mit der Stiftungsgründung festgelegt. Alle Mittel dürfen eingesetzt werden, um eine offene Community aufzubauen. Jeder, der will, kann sich bei der Stiftung einbringen, Mitglied werden, an Arbeitsgruppen oder an Ausschreibungen teilnehmen. Außerdem unterliegt die Stiftung der liechtensteinischen Revision.
Wie geht es konkret weiter?
Im Prinzip haben im Rahmen von Eohops bereits die Verwendung von Token als Zahlungsmittel für Satellitendaten implementiert, allerdings ohne dabei bereits die Blockchain zu benutzen. Aufbauend auf dieser Erfahrung wollen wir in naher Zukunft ein größeres dezentrales Netzwerk etablieren, um die gesamte Geoservice-Industrie zu „tokenisieren“, das bedeutet dieses Geschäftsmodell über Smart Contracts und Tokens bezahlbar und abrechenbar zu machen. Parallel dazu wollen wir über klassische Finanzierungsrunden weiteres Kapital beschaffen. Bislang konnten wir bereits rund neun Millionen Euro von überwiegend europäischen Tech-Investoren einsammeln.
Die auf Blockchain-Technik basierende Kryptowährung Bitcoin ist wegen ihres hohen Energiebedarfs in die Kritik geraten. Wie ist die Energieverbrauchsdynamik bei Ihnen?
Bitcoin hat den hohen Energiebedarf wegen eines eingebauten mathematischen Rätsels, welches in der Blockchain benötigt wird, um zu entscheiden, wer die einzelnen Blöcke jeweils als gültig bezeichnen kann und dafür Coins bezieht. Bei uns wird mittel- und langfristig diese Methode nicht eingesetzt werden, so dass der Energieverbrauch kein Thema sein wird.
Können Sie das näher erklären?
Ganz generell gilt natürlich, dass ein dezentrales Ablegen von Informationen in vielen Knoten die zu verarbeitende Datenmenge im Vergleich zu einer zentralisierten Ablage erhöht. Auch die Kommunikation zwischen den Knoten der Blockchain schafft Aufwand und damit auch verlängerte Prozesszeiten. Entscheidend ist auch, ob es sich um eine öffentliche mit beliebig vielen Partnern oder um eine private Blockchain mit nur wenigen Partnern handelt, und welches Konsensverfahren eingesetzt wird.
Wie lösen Sie das Problem?
Ich rechne damit, dass es innerhalb unserer Geodaten-Community eine ausreichende und doch überschaubare Anzahl von Partnern gibt, die gemeinsam eine private Blockchain betreiben. Denkbar wäre beispielsweise eine Blockchain zu haben, deren Knotenpunkte nur über zehn bis zwanzig anerkannte Firmen laufen. Außerdem werden in unserer Blockchain nur der Smart Contract sowie die Hashes von Transaktionen, Dateien und Statusinformationen gespeichert. Die eigentlichen Geodaten werden also nur in separaten effizienten Speichersystemen gespeichert und mit einem Hash-Wert verknüpft, der in der Blockchain abgelegt wird. Mittelfristig kommen für uns nur Blockchains in Betracht, die auf effizienteren Konsensmechanismen beruhen wie etwa der Delegated Proof of Stake, den beispielsweise das Blockchain-Protokoll EOS benutzt.
Ihr erstes Unternehmen war RapidEye. Damals konnten Sie 150 Millionen Euro einsammeln, um 2008 fünf kleine Erdbeobachtungssatelliten ins All zu schießen. Aber schon drei Jahre nach dem Start mussten Sie Insolvenz anmelden. Warum ist Ihr Geschäftsmodell damals gescheitert?
Die RapidEye-Satelliten haben sich technisch als großer Erfolg erwiesen. Sie gehören heute zu der Silicon-Valley-Firma Planet und sind eine anerkannte Referenz im satellitengestützten Monitoring vor allem in der Landwirtschaft. Das Scheitern des ursprünglichen Unternehmens lag zum einen an der Verzögerung bei der Lieferung des Systems durch den Generalunternehmer und den damit verbundenen Kosten. Es lag aber auch daran, dass wir damals den Aspekt eines gesunden geschäftlichen Ökosystems unterschätzt haben: Wir haben zu sehr darauf gesetzt, vom Satellitensegment bis zur Endanwendung alles selbst zu machen, und haben zu wenige Anreize für Partner geschaffen. Für mich war das eine wichtige „lesson learned“, die bei der Konzeption von Cloudeo eine wesentliche Rolle gespielt hat.
Herr Krischke, vielen Dank für den Einblick.