Hallo Erde, wie geht es dir?
Twitter und Facebook geben sekündlich Auskunft über das menschliche Befinden. Aber wann gibt es auch ein smartes Netzwerk, das etwas über den Zustand unserer Erde sagen könnte?
Twitter und Facebook geben sekündlich Auskunft über das menschliche Befinden. Doch was macht unsere Erde gerade? Und wie verhalten wir uns am besten, damit es uns auf ihr gut geht? Darüber wissen wir erschreckend wenig.
Rückblickend wird 2019 wohl als Jahr in Erinnerung bleiben, in dem eine Klima-Nachricht die nächste jagte – und alle hatten denselben Tenor: Die bisherigen Klimavoraussagen sind zu konservativ. Der Klimawandel trifft nicht nur unsere Enkel, sondern bereits unsere Kinder. Und nicht nur die Kinder, sondern wir selbst bekommen die Auswirkungen bereits deutlich zu spüren. Denn die Eisschilde schmelzen schneller, der Permafrost taut rascher, das Meer erwärmt sich schneller und das Wetter wird extremer.
Nicht nur die Zahlen zu diesen physikalischen Prozessen waren zu konservativ interpretiert worden. Die konkreten Vorsorgemaßnahmen vor Hochwasser und Fluten sind viel drängender als gedacht: Nicht erst Ende des Jahrhunderts, sondern schon 2050 könnten große Städte wie Hamburg, Bremen und Oldenburg, Amsterdam, Rotterdam und London, Basra und Alexandria regelmäßig von Hochwasser bedroht sein, wenn der globale Meeresspiegel um einen Meter ansteigt und keine Vorkehrungen getroffen werden. In Asien sind es nicht nur Millionenstädte, sondern weite Landstriche, etwa in Vietnam und Bangladesch. 2050, das ist eigentlich das Jahr, das die Politik für Zero-Carbon einplant.
Grund für diese Fehleinschätzungen ist dieses Mal nicht ein beschleunigter Klimawandel, sondern „nur“ eine unzureichende Datenbasis. Forscher haben jetzt das weithin genutzte Geländemodell korrigiert, das auf Daten eines von der US-Weltraumbehörde NASA durchgeführten Challenger-Flugs beruht. Das Modell hatte fälschlicherweise auch Häuserdächer und Baumwipfel als höchste Bodenpunkte angezeigt. Teilweise wurden so Korrekturen von mehreren Metern notwendig.
Die neuen Überflutungskarten berücksichtigen allerdings keine Deiche, merkt Athanasios Vafeidis, Professor für Küstensysteme und Küstengefahren von der Universität Kiel in einem Interview mit dem Deutschlandfunk an, weshalb auf ihrer Basis keine zuverlässigen Aussagen über Adaptionsmaßnahmen getroffen werden können. Die Karten sollen daher, so merkt der Faktenfinder der Tagesschau an, eher als Screening-Tool betrachtet werden, um potenziell gefährdete Gebiete zu identifizieren.
Aber auch andere Vorgänge weisen auf grundlegende Änderungen hin, an die sich die Menschen deutlich schneller anpassen müssen als gedacht. Am Wochenende etwa wurde bekannt, dass sich die Wanderung der Polarwale in diesem Jahr erstmals so verändert hat, dass die indigene Bevölkerung in der Arktis um ihre traditionelle Nahrungsversorgung fürchten muss. Isoliert verfügbare historische Daten helfen bei der Interpretation dieses Phänomens nicht weiter.
Fragen über Fragen
Entschlossenes Handeln ist angesichts der Klimakrise notwendig. Umso wichtiger ist es für Regierungen und Behörden, Unternehmen und Organisationen, aber auch Bürger auf ein möglichst aktuelles und zuverlässiges Zahlenmaterial zugreifen zu können. Es müsste Antworten auf naheliegende Fragen liefern können, wie etwa
- Welche Orte in der Nähe sind während einer Hitzewelle am kühlsten, falls die Klimaanlage ausfällt?
- Wie viele und welche Bäume muss ich wo pflanzen, um ein bestimmtes CO2-Budget auszugleichen?
- Ab welcher Regenmenge oder Wasserhöhe ist dieser Ort vom Hochwasser bedroht? Und wie hoch ist das Risiko, wenn bestimmte Maßnahmen getroffen werden?
- Welche Pflanzen sind an diesem Ort am resilientesten gegen Hitze oder Nässe? Ab welcher Risikohöhe rechnet sich eine Umstellung?
- Welches Investment in erneuerbare Energien rechnet sich für mich am ehesten?
- Wie wirkt sich der Bau dieser Straße oder dieser Siedlung auf die natürliche Umgebung aus? Wie kann ich die damit verbundenen Umweltrisiken minimieren?
Um diese Fragen beantworten zu können, müssen jeweils unterschiedliche Datenbestände in ihrer Aussagekraft bewertet und miteinander in Beziehung gesetzt werden. Microsoft beispielsweise entwickelt diverse “Earth Algorithms” für den Katastrophenschutz. Die Algorithmen werden trainiert, Gegenstände, Flüsse, Bäume, Felder, Straßen und Gebäude auf hochauflösenden Karten selbst zu identifizieren – damit sollen Karten auf Basis von Luftbildern günstiger, schneller und regelmäßiger aktualisiert werden können. Zahlreiche Dienste setzten auch auf dem europäischen Erdbeobachtungsprogramm COPERNICUS auf, wie eine Bericht von KlimaSocial zeigt.
Die Masterfrage
Aus unternehmerischer Sicht stellt sich die Frage, welche Investments sich lohnen. Wobei der eigentliche Gewinn nicht der buchhalterische sein sollte, sondern darin liegen muss, eine Antwort auf die Masterfrage zu finden:
- Wie gehen wir mit den natürlichen Ressourcen der Erde gerecht und nachhaltig um, um eine klimastabile Zukunft zu sichern?
Diese Frage stellte Lucas Joppa, Umweltbeauftragter bei Microsoft, in einem Gastbeitrag für den Scientific American. Seine Antwort lautet: Wir müssen in die richtigen technischen Lösungen investieren. Aus seiner Sicht wäre das ein „planetarer Computer“, der die Eigenschaften einer globalen Suchmaschine mit der einer georäumlichen Entscheidungsmaschine kombinieren würde. Er könnte Anfragen zum Umweltstatus des Planeten beantworten und in Echtzeit Aussagen zur Optimierung es planetaren Öko-Zustands treffen.
Alles also nur Science-Fiction oder ein Marketing-Gag, um ein Immer-weiter-so zu rechtfertigen? Immerhin leitet Lucas Joppa Microsofts Programm „AI for Earth“, das derzeit über 400 Projekte in 71 Ländern fördert, welche KI-Werkzeuge „für die Erde“ entwickeln. Joppa verweist auf eine Untersuchung der Unternehmensberatung PriceWaterhouseCoopers, wonach der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in nur wenigen Bereichen das Bruttosozialprodukt um 4,4 Prozent steigern und gleichzeitig die Emissionen um 4 Prozent senken könnte. Und eine UN-Organisation, die sich mit globalen Fragen zur Anpassung an den Klimawandel befasst, kam zu dem Ergebnis, dass der Nutzen von Investitionen in Anpassungsmaßnahmen die Kosten um das Vierfache übersteige.
Noch eine Frage
- Wie können Digitalisierung und Nachhaltigkeit zusammengebracht werden?
Aktuell bestehe das Problem darin, so sagt Lucas Joppa, dass es gegenwärtig an Daten, Rechenpower und Skalierbarkeit mangele, um die zentrale Frage nach einer klimastabilen Zukunft zu beantworten. Gleichzeitig könnten aber die drei Beschleunigungsfaktoren der Informationsgesellschaft, nämlich die Allgegenwärtigkeit der Daten, die Fortschritte bei der Algorithmen-Entwicklung und der Zugang zu einer skalierbaren Computerinfrastruktur, auf Fragestellungen zur Nachhaltigkeit in der natürlichen Welt angewandt werden.
Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch das aktuelle Hauptgutachten des Nachhaltigkeitsrats der Bundesregierung (WBGU), das ebenfalls versucht Digitalisierung und Nachhaltigkeit strategisch zusammenzudenken. Es verweist auf die Debatte zu „Smart Earth“:
„Hunderte von Terabyte an Erdsystemdaten werden täglich generiert, während die Kapazität, diese sinnvoll auszuwerten, bei weitem nicht Schritt hält. Monitoring profitiert von automatisierter Datenerfassung und -auswertung, und die zunehmende Digitalisierung und Vernetzung erlaubt die Zusammenführung großer Datenmengen, während die Interpretation dieser Daten häufig aufwändige Modellierungen erfordert."
Eine Konsequenz aus dem Gutachten ist nun, dass das Bundesforschungsministerium den Auftrag erhalten hat, einen Aktionsplan zur Digitalisierung und Nachhaltigkeit bis Mitte Dezember zu erarbeiten.
Wird Künstliche Intelligenz uns retten?
Auch knapp 80 Jahre nach dem Bau der ersten funktionstüchtigen Rechner und gut 25 Jahre nach der Erfindung des World Wide Web gibt es nur wenige naturbezogene Anwendungen. Eigentlich sollten wir wissen, wieviel CO2 die Wälder weltweit im Moment speichern, wie viele Bäume es gibt und wie schnell diese Bäume wachsen und wieder verschwinden, meint Lucas Joppa. Ähnlich sieht es aus beim Artenschutz, dem Anstieg des Meeresspiegels oder der Verfügbarkeit von Seen und Flüssen mit Trinkwasserqualität.
Doch diese Fragen lassen sich nur sehr eingeschränkt beantworten, da die Daten nicht hochauflösend genug sind. „Es frustriert mich zutiefst, wenn ich sehe, was wir eigentlich machen könnten, aber wie weit wir noch zurückliegen, um grundlegende Informationen über die Gesundheit unseres Planeten zu verstehen, “ sagt Joppa. Ein Anfang wäre es, ein globales Netzwerk aufzubauen, das die verfügbaren Umweltdaten miteinander verbindet.
Einzelne Projekte zielen bereits in diese Richtung, zum Beispiel zu den Themen
- Wald: Ein Unterprogramm von Microsofts „AI for Earth“ ist SilviaTerra. Es erfasst die Anzahl der Bäume in den USA – damit sollen einerseits neue Märkte definiert werden, andererseits die Entwaldung begrenzt werden. Das Projekt Global Foest Watch des World Resources Institute bietet eine App namens Forest Watcher an, über die Freiwillige ihre Beobachtungen melden können. Damit werden KI-unterstützte Analysen von Satellitenbildern verifiziert.
- Meeresboden: Die Ocean Observatories Initiative (OOI) erfasst mit Microsoft neue Daten über den Meeresboden und macht sie öffentlich zugänglich. Der „Allen Coral Atlas“, ein Projekt des Microsoft-Mitbegründers Paul Allen und mehreren wissenschaftlichen Einrichtungen, dokumentiert den Zustand von Korallenriffs weltweit.
- Artenschutz: iNaturalist hat bereits über 25 Millionen Artenschutz-Datensätze gesammelt. Dazu gehören beispielsweise Projekte wie SharkNet von EarthNC zu Haien und Meeressäugern oder Birdtracker. NatureServe arbeitet an einer Biodiversitätskarte, mit der gefährdete Arten besser geschützt werden sollen, ohne die lokale Landwirtschaft oder Entwicklung zu stark zu beeinträchtigen.
Nicht alle groß angelegten „Smart Planet“-Projekte dienen jedoch unmittelbar dem Arten- und Klimaschutz. Nokia etwa wollte mit seinem Projekt „Sensor Planet“ immerhin noch Informationen zur Luftqualität erfassen. IBM verfolgte mit seinem 2008 gestartetem „Smarter Planet“-Projekt vor allem Wasser- und Verkehrsmanagementprojekte, die später in „Smarter Cities“-Projekte mündeten.
HP Labs baute im Rahmen des Projekts CeNSE (Central Nervous System for the Earth) ein Sensorennetzwerk auf, „um zu fühlen, schmecken, riechen, sehen und hören, was auf der Welt vor sich geht“, um Geschäftsanwendungen zu „optimieren“. Ein erstes Testprojekt war 2009 denn auch eine Anwendung für den Ölkonzern Shell, der damit seine seismische Datenbasis verbessern wollte, um „noch einfacher und kosteneffizienter schwierige Öl-. Und Gasvorkommen ausbeuten zu können“. Das Geschäftsziel war hier klar umrissen.
Ähnlich zielgerichtet dürften auch die zahlreichen Aufklärungsprojekte von militärischer Seite betrieben werden. An Daten mangelt es daher vielleicht nicht unbedingt. Sie müssten vielleicht nur für wissenschaftliche und gemeinnützige Zwecke zur Verfügung gestellt werden. Schließlich stufen auch die Militärs die Klimakrise inzwischen als Top-Risiko ein.