Mobilitätsexpertin Katja Diehl: Sie ist die Suffragette der Verkehrswende

Die Hamburgerin setzt sich täglich dafür ein, dass Menschen auch ohne eigenen Wagen komfortabel und sicher unterwegs sein können. Mit ihren Forderungen stößt sie oft auf Widerstand. Das schreckt sie nicht. Im Gegenteil.

vom Recherche-Kollektiv Busy Streets:
8 Minuten
Eine Frau sitzt an einer Bushaltestelle auf einer Bank. Neben ihr steht ein Fahrrad

Katja Diehl verändert den Blick auf die Mobilität in Deutschland. Mit ihrem Buch „Autokorrektur – Mobilität für eine lebenswerte Welt“ bringt die Hamburgerin neue Sichtweisen in die Verkehrswende-Debatte. Sie fordert eine echte Freiheit bei der Verkehrsmittelwahl für alle Menschen. Diese Freiheit fehlt ihr überall dort, wo Mobilität ohne Auto unmöglich ist. Zugleich plädiert sie dafür, Autos in den Stadtzentren und Wohnstraßen massiv einzuschränken, weil sie alle Verkehrsteilnehmerïnnen ohne Privatwagen behindern oder gefährdeten.

Indem sie den privaten Autobesitz als zentrales Problem benennt, verändert Katja Diehl die Diskussionen. Sie hinterfragt die These vieler Politikerïnnen, dass die Menschen gerne Auto fahren und immer mehr Auto fahren wollen. Mit Fakten und Beispielen zeigt sie, dass auch das Gegenteil der Fall ist. Katja Diehls Haltung kommt nicht immer gut an. Die Mobilitätsexpertin stellt den Status quo im Verkehr in Frage und damit die Verkehrspolitik und das Lebenswerk vieler Poltikerïnnen, Verkehrsplanerïnnen, den Entscheiderïnnen aus der Automobilbranche und vieler Autoliebhaberïnnen. Immer wieder gerät sie mit ihren Äußerungen ins Kreuzfeuer der Menschen, die den Status quo bewahren wollen.

Busy Streets: Guido Kühn hat Sie in einer Karikatur als Suffragette der Verkehrswende gezeichnet und damit mit den Kämpferinnen für das Frauenwahlrecht im frühen 20. Jahrhundert gleichgesetzt. Sehen Sie sich so? Als Kämpferin für eine autofreie Mobilität?

Katja Diehl: Ich glaube schon, dass ich den Menschen mit meinem Buch #Autokorrektur eine Stimme gebe, die sich eine autofreie Mobilität wünschen und sonst nicht gehört werden. Ich habe für das Buch mit über 60 Leuten gesprochen. Ich habe sie reden lassen und nicht über sie geredet, wie viele Politikerïnnen das machen. Dabei zeigte sich, dass diese Leute als Ausrede für eine autogerechte Verkehrsplanung missbraucht werden und das auch so empfinden.

Busy Streets: In welchen Momenten fühlen die Menschen sich von der Politik missbraucht?

Katja Diehl: Viele Menschen fahren Auto, weil sie es müssen und nicht, weil sie es wollen. Das ist keine selbstbestimmte Mobilität, sondern das Ergebnis einer verfehlten Raum- und Verkehrsplanung. Diesen Aspekt verschweigen Politikerïnnen. Sie behaupten weiterhin, dass Autofahren und Autobesitz das erklärte Ziel aller Menschen seien. Dabei haben 13 Millionen Erwachsene noch nicht mal einen Führerschein. Nur 43 Prozent der Menschen, die in Armut leben, haben ein Auto. Dafür haben Menschen mit hohem Einkommen eher einen Dritt- und Viertwagen. Wahlfreiheit in der Mobilität heißt: Jede:r sollte das Recht haben, ein Leben ohne eigenes Auto führen zu können.

Das Buchcover zeigt die Autorin und gezeichnete Menschen, die ohne Auto unterwegs sind
Ihr Buch "Autokorrektur" landete in der SPIEGEL-Bestsellerliste auf Platz 5.

Busy Streets: Die Krankenschwester, die zum Schichtdienst muss und die Menschen, die auf dem Land leben, werden stets zitiert, um Autoprivilegien oder den Bau von Straßen oder Autobahnen zu rechtfertigen. Haben diese Personen denn zurzeit Alternativen?

Katja Diehl: Nein, die haben sie nicht. Und das ist für viele eine echte Tragödie. Eine Alleinerziehende sagte mir für mein Buch, sie würde ihren Wagen gerne sofort verkaufen. 20 Jahre hat man ihr in der Region eine Bahnverbindung versprochen. Bekommen hat sie schließlich eine Autobahn. Sie sagt ebenfalls, das die Politik sie als Ausrede benutzt, um nichts zu verändern. Dabei würde sie viel lieber den ÖPNV nutzen als ein Auto. Allein aus Kostengründen. Ihr Wagen ist alt. Sie kann Anfang des Monats nicht abschätzen, was sie der Wagen in den nächsten Wochen kosten wird.

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