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Extra-Urlaubstage für Bahnreisen: Wie Unternehmen nachhaltiges Reisen fördern
Wer nicht fliegt, bekommt mehr Urlaubstage – eine gute Idee?
Zugreisen dauern länger als Flüge. Oft sind sie sogar teurer. Deshalb gewähren manche Unternehmen ihren Mitarbeitenden einen Ausgleich: Wer mit der Bahn anreist und auf Flüge verzichtet, bekommt Extra-Urlaub. Dürfen sich Firmen so in das Privatleben einmischen? Die Mobilitätskolumne
![Ein TGV fährt in den Bahnhof Bordeaux ein. Zu sehen ist das gläserne Kuppeldach. Ein Mann in kurzer Hose schiebt sein mit Taschen bepacktes Fahrrad den Bahnsteig entlang.](https://riff.media/images/mehr-urlaubstage-bahnreise-tgv-bordeaux.jpg?w=3600&h=2025&fit=crop-50-50&s=cec84f9051f2bd52221b0304ba61118e&n_w=3840&n_q=75)
Urlaube plane ich inzwischen fast immer mit dem Zug. Kinder, Hund – alle sind dabei. Manchmal sparen wir bei der Bahnanreise Zeit. Frankfurt-Bordeaux in siebeneinhalb Stunden, das ist mit dem Auto nicht zu schaffen. Oft dauert die Anreise per Bahn aber länger, weil wir Umsteigezeiten einplanen müssen. Gegenüber dem Flieger hat der Zug ohnehin keine Chance. Für die Strecke Frankfurt - Rom braucht das Flugzeug zwei Stunden. Mit dem Nachtzug bin ich 19 Stunden unterwegs. Letzteres ist zwar ein Erlebnis, frisst aber jede Menge wertvolle Urlaubszeit. Dann sind da noch die ungleichen Kosten: Fliegen kann ich schon für 72 Euro nach Rom, das Zugticket kostet mindestens 100 Euro.
Auch deshalb steigen selbst umweltbewusste Menschen oft in den Flieger, wohl wissend, dass Fliegen die klimaschädlichste Form des Reisens ist. 47 Prozent aller Urlaubsreisen wurden im Jahr 2023 mit dem Flugzeug zurückgelegt – so hoch war der Anteil noch nie zuvor, schreibt die Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen in der Reiseanalyse 2024. Der Anteil der Bahn lag bei mageren fünf Prozent. Lässt sich das ändern?
Freiwilliger Ausgleich der Reisezeit
Einen interessanten Weg geht die Genossenschaft Weiberwirtschaft in Berlin. Geschäftsführerin Katja von der Bey setzte sich im Jahr 2019 mit ihren Kolleginnen zusammen und überschlug, wie viel Extrazeit Bahnreisen in den Urlaub kosten. Die Genossenschaft beschloss, diese Zeit als zusätzliche Urlaubstage zu gewähren. Seitdem gilt: Wer mit dem Zug in den Urlaub fährt, bekommt zu den üblichen 30 Tagen Urlaub pro Jahr drei Reisetage extra gewährt.
Auch das Verlagshaus Gutekunst schenkt Mitarbeitern Ausgleichstage, wenn sie in ihrer Freizeit auf das Flugzeug verzichten. Die No-Flight-Days sollen den größeren Zeitbedarf bei der Anreise kompensieren und damit Anreize setzen, nachhaltiger zu reisen, schreibt das Unternehmen.
Die Idee ist nicht neu. Der deutsche E-Mail-Anbieter Posteo bietet seinen Mitarbeitern bereits seit elf Jahren zusätzliche Urlaubstage bei privaten Zugreisen ins Ausland. Wer per Bahn anreist, bekommt zwei Tage Extra und einen Zuschuss von 150 Euro für das Bahnticket. 2014 machte nur ein Mitarbeiter von dem Angebot Gebrauch, 2023 waren es bereits rund 30 Prozent der Beschäftigten, sagt Posteo-Gründerin Sabrina Löhr. Aber: „Wir thematisieren das im Betrieb nicht über das Angebot hinaus, wir wollen keinen Druck erzeugen und niemand wird schief angeschaut für sein privates Reisen“ – Stichwort Flugscham.
Kontrolliert die Firma jetzt den Privaturlaub?
Aber verleiten solche Angebote nicht zwangsläufig zu Missbrauch? Wie kann man kontrollieren, ob die Mitarbeitenden wirklich auf eine Flugreise verzichten? Braucht man Kontrolleure, die Insta-Urlaubsstorys durchforsten, um Betrüger zu entlarven? Und was ist eigentlich mit all denjenigen, die gar nicht verreisen? Kurz gesagt: Sind solche Regelungen nicht viel zu kompliziert?
Posteo gewährt die Urlaubstage auf Vertrauensbasis, die Mitarbeitenden müssen keinen Nachweis erbringen. Weiberwirtschaft handhabt es genauso: „Wir sind ein kleines Unternehmen mit 15 Mitarbeiterinnen, wir wissen eh, wo die anderen ihren Urlaub verbringen“, sagt von der Bey. Wer nicht verreist, bekommt die Extra-Urlaubstage trotzdem.
Das funktioniert gut in kleinen Unternehmen, große Firmen mit hunderten oder tausenden Mitarbeitenden brauchen sicherlich andere Regeln und Kontrollen. Das macht es schwieriger. Viele Unternehmen konzentrieren sich deshalb darauf, die CO₂-Emissionen bei Dienstreisen zu reduzieren. Sie verbieten zum Beispiel Flüge innerhalb Deutschlands, zahlen zusätzliche Hotelübernachtungen, wenn die Anreise per Bahn länger dauert und stellen eine Bahncard 100 zur Verfügung, die auch privat genutzt werden darf.
So viele Fehlanreize
Sind demnach noch mehr Anreize notwendig, damit Menschen vom Flieger auf die Bahn umsteigen? Katja von der Bey sieht einen anderen Hebel: „Im Moment subventionieren wir an vielen Stellen klimaschädliches Verhalten.“ Zum Beispiel sei Kerosin von der Energiesteuer befreit, auf internationale Flüge falle keine Mehrwertsteuer an. Laut Umweltbundesamt entgehen dem Staat dadurch jährlich 12,4 Milliarden Euro. „Wenn wir solche Subventionen abbauen, würde sich auch das Verhalten der Menschen ändern“, sagt sie.
Dieser Text gehört zu einer regelmäßigen Kolumne des Recherche-Kollektivs Busy Streets. Weitere Mobilitätskolumnen finden sie hier.