Das Merkel-Lexikon: Von Ukraine über Umwelt und Urlaub bis USA

26 Minuten
Die Hände von Kanzlerin Merkel, zur Raute geformt.

Uckermark (s. Heimat, Ostdeutschland)

Auch wenn Merkel Hamburg geboren ist und ihren Wahlkreis in Mecklenburg-Vorpommern hat – sie bezeichnet sich selbst als Brandenburgerin.[1] Dort wuchs sie in der Nähe von Templin auf. Dort verbrachte sie als Kind Urlaube in Orten wie Himmelpfort, war in ihrer Jugend mit ihrem Vater auf dem Motorboot unterwegs. Dort steht ihre Datsche, dort schwimmt sie im See. „Mein Wochenend-Grundstück in der Uckermark. Das ist Heimat“, betonte sie etwa 2009.[2] Allerdings kennt Merkel nicht alles in der Uckermark: So bekannte sie 2019, dass sie etwa noch nie im Weihnachstpostamt in Himmelpfort gewesen sei, das Briefe an den Weihnachtsmann entgegennimmt. [3]

  • [1] Merkel beim Bürgerdialog in Schwedt, 30. April 2019.
  • [2] Im Bild-Interview, 9. November 2009.
  • [3] Merkel beim Bürgerdialog in Schwedt, 30. April 2019.

Ukraine (s. auch Russland)

Beobachter sehen in der Aushandlung der Minsker Vereinbarung zur Deeskalation in der Ostukraine 2014 Merkels außenpolitisches Meisterstück. Denn erstmals übernahmen eine deutsche Kanzlerin und ihr damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier – mit Rückendeckung der USA und unter Einbeziehung Frankreichs – dabei den Versuch, federführend einen militärischen Konflikt mit diplomatischen Mitteln zumindest einzufrieren. So richtig sie ihr Vorgehen 2014 findet, so sehr betonte Merkel später selbst den nur relativen Erfolg. Die Situation in der Ostukraine sei „ein mühselig ausgehandelter Waffenstillstand, sozusagen fragil, stabil gehalten durch das Minsker Abkommen, mit dem Deutschland und Frankreich gemeinsam mit Russland und der Ukraine versuchen, den Konflikt zu lösen. Allerdings müssen wir sagen: Von einer Lösung sind wir weit entfernt“, bekannt sie im Februar 2019. Die Ukraine sah sie als Daueraufgabe: „Wir müssen unbedingt weiterarbeiten.“[1]

Zunächst hatte Merkel Präsident Viktor Juschtschenko, dann ab 2010 Viktor Janukowitsch als Gegenüber in Kiew, bis sich dieser im Februar 2014 im Zuge der Maidan-Wirren nach Russland absetzte. Ab dem 7. Juni 2014 war ihr Ansprechpartner dann Präsident Petro Poroschenko, den sie mehrere Dutzend Male bis zu dessen Abwahl 2019 traf. Zuletzt empfing sie ihn am 12. April im Kanzleramt – und löste damit einen Streit aus, ob sie Poroschenko direkt vor der zweiten Runde der ukrainischen Präsidentschaftswahl noch einen letzten Freundschaftsdienst erweisen wollte. Ihr Sprecher dementierte jede Einmischung in den Wahlkampf.

Das Verhältnis Merkels zur Ukraine wirkt durchaus widersprüchlich – ohne dass sie selbst dies so sieht. Zum einen hatte sie sich nach der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel 2014 an die Speerspitze derer gestellt, die Sanktionen gegen Russland forderten und durchsetzten. Merkel überraschte damit auch diejenigen, die Deutschland über viele Jahren vorgeworfen hatten, gegenüber Russland aus wirtschaftlichen Gründen eine Appeasement-Politik zu betreiben.

Zum anderen hat Merkel der Ukraine aber immer auch die Grenzen einer Annäherung aufgezeigt. Schon auf dem Nato-Gipfel in Bukarest hatte sie 2008 dem US-Drängen widerstanden, der Ukraine eine klare Aufnahmeperspektive in das westliche Verteidigungsbündnis anzubieten. Stattdessen verwies sie auf die Zerrissenheit des Landes in einen nach Westen ausgerichteten Teil und einen nach Russland orientierten Osten. Auch als EU-Mitglied sah sie das Land nicht, sondern plädierte 2013 für das dann auch geschlossene EU-Assoziierungsabkommen.

Zudem verteidigte Merkel die Ostsee-Pipeline Nordstream stets gegen Kritik sowohl von Amerikanern, Polen und Ukrainern. Sie sagte der ukrainischen Regierung nur zu, dafür zu sorgen, dass das Land auch nach dem Bau der zweiten Pipeline-Röhre Transitland für russisches Gas bleiben werde. „Ich verstehe Petro Poroschenko, der hier sitzt und sagt: Die Ukraine ist Transitland für russisches Erdgas und möchte es bleiben. Ich habe ihm immer und immer wieder versichert, dafür jede Unterstützung zu geben und Verhandlungen dafür zu führen; und das werden wir – Wahlkampf hin oder her – auch weiterhin tun“, betonte sie im Februar 2019. Aber man wolle eben auch Russland als Handelspartner pflegen. [2]

Als am 21. April Poroschenkos Konkurrent Wolodymyr Selensky gewann, gratulierte Merkel ihm zunächst schriftlich, wünschte ihm Glück und lud ihn nach Berlin ein. Dabei betonte sie, dass sich „seit der Revolution der Würde“ die Beziehungen unserer Länder in erfreulichem Maße intensiviert hätten – politisch wie wirtschaftlich, gesellschaftlich wie kulturell. „Die Stabilisierung der Ukraine sowie eine friedliche Konfliktlösung liegen mir ebenso am Herzen wie die Durchführung zentraler Reformen der Justiz, der Dezentralisierung sowie der Korruptionsbekämpfung.“ Sie sagte weitere Unterstützung für die Ukraine „insbesondere in ihrem Recht auf Souveränität und territoriale Integrität“ zu.[3] Am 23. April telefonierten die beiden dann erstmals miteinander. Zugleich kritisierten Deutschland und Frankreich scharf, dass die russische Regierung direkt nach dem Wahlsieg Selenskys den Menschen in den Separatistengebieten in der Ost-Ukraine russische Pässe anbot.

Macron und Merkel trafen die Absprache, dass in Paris ein weiteres Normandie-Treffen auf Chefebene stattfinden sollte – was dann am 9. Dezember 2019 erstmals seit 3 Jahren auch stattfand und Spekulationen auslöste, ob nun Frankreich die Initiative übernommen habe. Kanzlerin und Präsidenten betonten, dass man guten Willens sei, voranzukommen – de facto änderte sich aber auch danach kaum etwas in der Ostukraine.

Am 12. Juli 2021 empfing sie Selensky ein weiteres Mal im Kanzleramt. Wieder wurden die Differenzen bei Nord Stream 2 betont. Merkel bekräftigte aber ihre Zusagen, dass der Erhalt der Ukraine als Gastransitland Voraussetzung für die Nutzung der Nord Stream 2-Pipeline sei. „Ich pflege meine Versprechungen zu halten. Ich glaube, das gilt auch für jeden weiteren deutschen Bundeskanzler“, betonte sie. Zudem sagte sie der Ukraine 1,5 Millionen Corona-Impfdosen zu. Selensky zeigte sich – anders als Deutschland und Frankreich – offen, dafür, das Normandie-Format durch die USA zu erweitern.[5]

Ganz unbekannt ist Merkel die Ukraine übrigens nicht: Während ihrer wissenschaftlichen Arbeit als DDR-Physikerin hatte sie in der ostukrainischen Stadt Donezk – damals noch als Teil der Sowjetunion – einen mehrwöchigen Sprachaufenthalt absolviert.[4]

  • [1] Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz, 16. Februar 2019.
  • [2] Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz, 16. Februar 2019.
  • [3] Glückwunschschreiben Merkels am 22. April 2019.
  • [4] Vgl. Wolfgang Suckert, Thüringer Allgemeine, 17. Juli 2014, der sich auf einen ehemaligen Akademie-Kollegen Merkels bezieht.
  • [5] Pressekonfernez am 12. Juli 2021 im Kanzleramt.
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