Die Familie, zu der ich jetzt gehöre, nimmt über das Jahr hinweg völlig unterschiedliche Formen an. Das ist das Besondere am Konzept der Patchwork-Familie. Mal herrscht Ruhe, wenn ich mit Kristina oder ganz alleine bin. Sind wir zu zweit, können wir als Paar die Dinge tun, die uns interessieren. Dann verläuft die Zeit nach unserem eigenen Rhythmus. Das ist der Raum, den wir für uns geschaffen haben, um uns zu begegnen. Mit der Freiheit, abends auszugehen, auch mal wegzufahren oder einfach nur ein Buch zu lesen. Dann, mit einem Mal, ergießt sich eine erste Welle über unser Leben: Kristinas Kinder Sophie und Maximilian kommen ja jetzt im Wochenwechsel, Freitag ist Umzug. Im Eingang stehen dann Schulranzen und versperren einem den Weg. Kaum sind sie drin, ist alles immer neu und aufregend. Stets gilt es, die Dinge auszutarieren, um sich auf den neuesten Stand zu bringen: die Dynamik zwischen den Kindern im neuen Heim, ihr Verhältnis zu mir, der ich nicht ihr Vater bin. Jede Woche aufs Neue will die Beziehung getestet und ausprobiert werden. Grenzen gilt es stets neu zu erkunden. Mit Sophie mache ich eine bestimmte Form von Witzen bei Tisch, die stets ähnlich endet. Sie schlägt dann immer die Hände über dem Kopf zusammen und ruft laut aus, dass es doch nicht wahr sein könne, dass ich nichts, wirklich gar nichts verstünde. Dabei lachen wir und ich hoffe, sie mag mich wegen meiner Art.
Kleine Rituale
Ich habe meine Freude daran, denn es sind kleine Rituale, die ich zur Anwendung bringe, um das herstellen zu können, das ich für mich als mein Heim definiere, als Familie. Verbundenheit funktioniert für mich nur über Kommunikation, über Spiel, über Momente. Man muss diese Momente dem Alltag abtrotzen, weil wir als Erwachsene Gefahr laufen, nicht aufmerksam genug zu sein. Besonders jetzt, wo wir uns dazu entschlossen haben, den Kreis unserer Familie zu erweitern. Als erstes ist da mein neunzehnjähriger Sohn Nil, der in Spanien aufgewachsen ist und nun nach seinem Abitur in Katalonien hier in Bamberg eine Schreinerlehre macht. Er ist seit fast zwei Jahren bei uns.
Seine Anliegen mussten nach seiner Ankunft erst definiert werden. Das bedeutete, eine Schule und eine Praktikumsstelle zu finden. Alles war neu, das Zusammenleben musste erst Routinen entwickeln, bevor wir in der Lage waren, uns gegenseitig einzuschätzen. Wie würde er sich mit meiner Partnerin verstehen? Würde Kristina mit Nil zurecht kommen? Welche Probleme würden sich mit ihren Kindern ergeben? Fragen über Fragen. Eine Welle von Unsicherheiten brach über uns herein, die wir losgetreten hatten, deren Folgen aber verheerende Wirkung haben konnten, ebenso wie bereichernde Momente. Einzig der Mut, sich dieser Erfahrung auszusetzen, stand ganz am Anfang. Das unbestimmte Gefühl, das Ding zu zweit in Angriff zu nehmen, bereit zu sein für all die Rückschläge, die am Wegesrand lauerten. Doch auch Nil ist nun schon länger hier und wir haben begonnen, uns aneinander zu gewöhnen.
Grandiose Missverständnisse
Richtig stürmisch wird es allerdings erst, wenn wir als Familie komplett versammelt sind. Dann ist auch meine kleine Tochter Clara mit an Bord, die ist genauso alt wie Sophie . Meine Tochter spricht Katalanisch und Spanisch und das macht es oft nicht leicht im Umgang der Kinder miteinander. Kinder verstehen sich über das Spiel auch ohne viele Worte, aber sie können sich auch grandios missverstehen. Das müssen dann die Eltern ausbaden, die zu vermitteln versuchen, bis die Köpfe rauchen. Wer schläft heute in welchem Zimmer, wer darf mit wem in die Badewanne, wer hat wessen Spielzeug angefasst, ohne Erlaubnis. Diese intensive Zeit, die in die Ferien fällt, muss erst einmal durchgestanden werden. Das verlangt von allen Beteiligten ein Maximum an innerer Ruhe und Toleranz. Wer geht alles mit zum Einkaufen, wer will was nicht essen und für wieviele Minuten darf ich mal auf die Toilette, ohne gerufen zu werden?
Familienmitglied Nr. 7 ist kein Spielzeug
Und alle, die Teil der Welle sind, die die Flut bringt, bleiben andächtig stehen, beim Blick auf unser neuestes Familienmitglied. Es hat große Augen, um sich bei uns zurecht zu finden und schwarzes Fell. Wir haben es aus dem Tierheim geholt; erst waren die Kinder Feuer und Flamme und wollten alles dafür geben, um es in der Familie begrüßen zu dürfen. Doch als sich herausstellte, dass es macht, was es will, waren die Kinder sich plötzlich nicht mehr so sicher.
Eine Katze ist schließlich kein Spielzeug. Eher Familienmitglied Nr. 7.