Interview mit Autorin Nicola Schmidt über den Umgang mit Problemen bei einer Trennung mit Kindern.
Das „Ich-heirate-eine-Familie-Ding“ handelt von einer Mutter und einem Vater, die sich und ihre Kinder zu einer neuen Familie – einer Patchwork-Familie – formiert haben. In diesem Interview geht es um das Überwinden einer Krise, um die Bedeutung von Männerkreisen und um schlechten Sex.
Das „Ich-heirate-eine-Familie-Ding“ handelt von einer Mutter und einem Vater, die sich und ihre Kinder zu einer neuen Familie – einer Patchwork-Familie – formiert haben. Der Vater, Björn, war erst kurz davor durch eine schwere Trennung gegangen und die Mutter, Kristina, lebte beim Kennenlernen noch in ihrer traditionellen Familie. Beide fühlten sich unsicher und auf neuem Terrain, denn eine solch schwierige Zeit hatten beide noch nie durchgemacht. Zugleich war die aufregende Phase des Kennenlernens so unfassbar schön und leicht, dass beiden klar war: „Hier geht's lang!“
Doch wie damit umgehen? Wie mit den Kindern über die Trennung sprechen? Wie aushalten, dass es gleichzeitig so wunderschön ist – und schmerzhaft wie noch nie? Die beiden suchten Rat. Zahlreiche Ratgeber, Podcasts und Gespräche mit Expertinnen begleiteten die widersprüchliche Zeit der Trennung und des Neubeginns. Nun, einige Jahre später, beginnen Kristina und Björn ihre Geschichte aufzuschreiben – und was liegt da näher, als in frisch erschienenen Büchern nach Expertise zu suchen, die ihre Geschichte in einen größeren Kontext einbetten kann? Denn das ist den beiden schon früh klar: Ihre Geschichte ist kein Einzelfall, was ihnen passiert, ist schon vielen und wird noch vielen Paaren widerfahren. Das ist ihr Motto, unter dem sie ihre Geschichte erzählen: Wir sind jedes Paar.
Den Anfang macht Nicola Schmidt, Autorin des Buches „Trennung ohne Drama“ und Gründerin des „Artgerecht-Projektes“. Sie schreibt in ihrem Buch über die Möglichkeiten, das Drama nach einer Trennung klein zu halten, was der mentalen Gesundheit aller Beteiligten zugute kommt. Sie räumt auf mit der Vorstellung, die Mutter-Vater-Kind-Familie sei das Nonplusultra und sie benennt klar die Ursache für schlechten Sex.
Kristina: Der Beginn einer jeden Patchwork-Familie ist ja mindestens eine Trennung. Das „Ich-heirate-eine-Familie-Ding“ ist eine Serie über das Leben in unserer Patchwork-Familie. Weshalb also Trennung ein gutes Thema ist, um damit unser Projekt zu starten. In Ihrem Buch beschreiben Sie Ihre selbstentwickelte Methode, um mit Trennungen besser umzugehen. Was ist Ihre „Trennung ohne Drama-Methode“?
Nicola Schmidt: Ich habe festgestellt, dass viel Drama in unseren Familien dadurch entsteht, dass wir unser Stresssystem nicht im Griff haben. Wenn Sie eine Trennung mit vielen Konflikten haben, dann entsteht je nachdem, wie die Leute reagieren, dadurch Stress und Angst. Durch Stress entsteht viel unnötiges Drama, das geht bis hin zur Aggression. Evolutionär gesehen ist eine Trennung keine große Sache, weil wir unsere Kinder bis vor etwa zehntausend Jahren in Gruppen aufgezogen haben und damit eine Trennung der Eltern weniger relevant war, als es im Kleinfamilien-System ist. Die Kleinfamilie ist ja ein Konstrukt zur Erhaltung der männlichen Erbfolge, die vorher nicht relevant war. Mein Ziel ist es, den Leuten beizubringen: „In welchen Momenten muss ich mein Stresssystem im Griff haben, damit bei einer Trennung das Drama klein bleibt?“ Das ist der Fall, wenn ich mit meiner Ex-Partnerin spreche, wenn ich mit Verfahrensbeteiligten spreche und natürlich immer, wenn ich mit meinen Kindern rede. Oder wenn das nicht geht, wie kann ich möglichst dieses Drama reduzieren, damit es besser für mich ist und für meine Kinder.
Björn: Wir haben beide Trennungen und Krisen im Leben erlebt. Wir beschäftigen uns mit Krisenmanagement. Und wir fragen uns: Können wir uns auf kommende Krisen vorbereiten?
Nicola Schmidt: Ja, wir können uns auf Krisen vorbereiten. Im Idealfall werden wir schon in unserer Kindheit darauf vorbereitet. In unserer Kultur werden wir aber eher dazu erzogen, Stress zu verdrängen. Viele Leute externalisieren Stress oder versuchen ihn zu vermeiden. Oft sagt man in einer Beziehung, mir geht es nicht gut und du bist schuld. Wir lernen Stress auszuweichen, aber wir lernen oft nicht, uns an unseren Emotionen zu orientieren, um sie zu bewältigen. Auf alle diese Dinge kann ich mich vorbereiten, indem ich zum Beispiel mit Achtsamkeitsübungen, mit Körperwahrnehmung lerne, überhaupt erst mal zu merken, was passiert mit mir, wenn ich in der Krise bin. Beim Arbeiten mit meinen Klienten erkläre ich Eltern, eine Krise hat diese und jene Phasen. Du befindest dich jetzt in einer bestimmten Phase – und danach kommt eine andere. Manchmal gehen deine Gefühle richtig in den Keller. Aber danach geht es wieder aufwärts. Wenn wir verstehen, dass es ein Prozess ist und kein Zustand, dann ist auch eine Krise bewältigbar. Manchmal bin ich am Nullpunkt meiner Krise und ich hab das Gefühl, die Welt ist vorbei. Aber es wird leichter, wenn ich weiß: es ist nur eine Frage der Zeit, bis mein Stresssystem sich erholt, bis ich mich erhole. Und dann wird's mir irgendwann auch wieder gut gehen. Das zu wissen hilft uns, mit Krisen viel besser umzugehen.
Kristina: Ich habe mich vom Vater meiner Kinder getrennt. Muss ich jetzt für immer ein schlechtes Gewissen haben?
Nicola Schmidt: Selbstverständlich nicht. Schlechtes Gewissen bedeutet doch, dass man etwas gemacht hat, was man sich selbst nicht verzeiht, wodurch man sich als schlechten Mensch wahrnimmt. Aber eine Trennung definiert nicht, wer Sie sind und sie definiert auch nicht, wer Ihre Kinder sind. Eine Trennung ist eine weitere Erfahrung in Ihrem Leben, die Sie mit Ihren Kindern bewältigen und mit Ihrem Ex-Partner. Eine Trennung ist etwas, was im Leben passiert, genauso wie Krankheiten, Todesfälle, Naturkatastrophen, Jobverluste, Neuausrichtung. Es passiert etwas, aber es definiert mich nicht. Es gibt auch keinerlei wissenschaftliche Belege dafür, dass Kinder ein Leben lang unter einer Trennung leiden. Das ist Unsinn.
Kristina: Im Buch machen Sie deutlich, dass Sie nicht dafür sind, dass man Kinder instrumentalisiert. Wir sind derselben Meinung. Dennoch gibt es Eltern, die das machen. Und aus eigenem Erleben haben wir uns gefragt, was können wir als Außenstehende tun, wenn wir merken, in unserem Umfeld passiert das? Wie können wir zum Beispiel diese Kinder unterstützen, wenn wir gar nicht Teil des Systems oder der Familie sind?
Nicola Schmidt: Also die erste Frage ist, haben Sie einen Auftrag? Wenn Sie keinen Auftrag haben, gar nicht. Was maßen wir uns an, in Systeme einzugreifen, wenn wir keinen Auftrag haben? Das wäre der erste Schritt, ich muss mir einen Auftrag holen und sagen, ich sehe da was, willst du das hören? Ich würde das anders machen, willst du das wissen? Aber wenn ich keinen Auftrag habe, ist es ein Übergriff. Es sei denn, das Kindeswohl ist gefährdet, dann gehört das in die Hände von Fachleuten.
Schlechtes Gewissen bedeutet, dass man etwas gemacht hat, was man sich selbst nicht verzeiht.
Björn: Was Sie empfehlen, ist sich sprichwörtlich ein Dorf aufzubauen. Ich bin ja ein Mann und ich habe in diesem Bereich traditionell mehr Schwierigkeiten. Wie kann ich mir helfen lassen, um selber ein Dorf aufzubauen?
Nicola Schmidt: Was den meisten Männern bei uns fehlt, ist ein Männerkreis. Eigentlich haben in einem Dorf die Frauen ihren Frauenkreis, die Männer ihren Männerkreis. Und im Männerkreis wird nicht nur über Fußball und Musik gesprochen, sondern auch: Wie geht es mir mit meiner Beziehung, mit meinen Kindern, in meiner Rolle als Mann, als Partner? Das heißt, der erste Schritt für Männer ist es, sich andere Männer in der gleichen Situation zu suchen. Zu erkennen, dass es anderen Männern genauso geht wie mir. Und dass es total normal ist, diese Themen zu haben, diese Gedanken zu denken und jenes Gefühl zu fühlen. Und gleichzeitig kriegen Männer, die alleine mit Kindern sind, gesellschaftlich häufig viel schneller Hilfe. Wenn sie eine neue Partnerin finden, übernimmt diese häufiger die Kinder, wenn er mal krank ist, während eine Frau, die einen neuen Freund hat, diesem im Krankheitsfall oft nicht genauso selbstverständlich die Kinder übergeben kann. Väter haben oft einen weniger leichten Zugang zu ihrer Gefühlswelt und es fällt ihnen viel schwerer, über Beziehungen und über das Gefühlsleben so zu reden, wie Frauen das tun. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass Jungen schon als 3-Jährige weniger über Gefühle reden können als Mädchen, weil Eltern mit Jungs weniger über Gefühle reden als mit ihren Mädchen.
So geht Patchwork - Kristina und Björn sprechen über Bonuskinder, kleine Rituale und grandiose Missverständnisse
„Wir sind jedes Paar“ – Die Einleitung zum Projekt
Kristina: Was ist für Kinder schädlicher? Eltern, die in einer unglücklichen Beziehung bleiben oder die Erfahrung einer elterlichen Trennung?
Nicola Schmidt: Es kommt darauf an. Wenn ich eine Beziehung habe, die total friedlich läuft, aber wir haben uns halt auseinandergelebt, da läuft nicht mehr viel zwischen uns, aber der Laden läuft, wir sind freundlich zueinander und das erleben die Kinder. Für sie ist die Welt also erstmal stabil und in Ordnung. Wenn in so einem System jemand eine Trennung ausspricht und plötzlich ein Rosenkrieg um Auto, Haus und Sorgerecht beginnt, dann war die relativ ruhige Beziehung für die Kinder möglicherweise ein sichererer Ort. Wenn es allerdings zur Trennung kommt in einer Familie, in der ich jeden Tag von der Schule nach Hause komme und nicht weiß, ob es zu Hause einen riesigen Streit gibt, sieht die Situation völlig anders aus. Wenn eine Trennung in so ein System mehr Ruhe und Verlässlichkeit bringen kann, ist eine Trennung für die Kinder der bessere Weg. Aber am Ende bleibt es dabei: Wir können uns das oft nicht aussuchen.
Kristina: Woran erkenne ich denn, dass meine Kinder unter der Trennung leiden?
Nicola Schmidt: Die meisten Kinder zeigen deutliche Verhaltensänderungen, also Stress-Symptome. Das heißt, sie schlafen schlecht, sie essen schlecht. Manche werden still, manche werden aggressiv, manche nässen wieder ein. Sie machen Entwicklungsrückschritte. Die Kinder haben keine Energie mehr, um irgendwas zu unternehmen. Sie vermissen den anderen Elternteil. Trennungen können die ganze Bandbreite an Symptomen hervorrufen, die wir sehen, wenn Kinder psychisch überlastet sind. Aber man muss auch sehen: In der Regel haben sich Trennungskinder nach zwölf bis 24 Monaten ganz gut wieder gefangen, wenn sie gut begleitet werden.
Björn: Sie schreiben, das Private sei politisch und deswegen müsse man darüber schreiben. So ähnlich ist auch unser Ansatz für unsere Kolumne. Wir sagen: „Wir sind jedes Paar.“ Sie schreiben, dass viele Paare an gesellschaftlichen Maßstäben scheitern, zum Beispiel, dass sie mehr Care-Arbeit macht als er.
Nicola Schmidt: Gründe für Trennungen liegen sehr viel in dieser Care-Arbeits-Debatte. Und ich habe neulich auf Instagram gefragt, warum hast du dich getrennt oder warum würdest du dich trennen, wenn du dich jetzt trennen würdest. Und Mental Load und Care-Arbeit standen wirklich in jeder zweiten Antwort ganz oben.
Björn: Oder das ist der gesellschaftlich akzeptierte Grund, den man nennen kann, weil man vielleicht auf Instagram nicht schreibt, ich finde den Sex mit meinem Partner einfach nicht gut?
Nicola Schmidt: Die Entfremdung vom Partner drückt sich in unterschiedlichen Arten aus und der Mangel an Kontakt entsteht meist im Alltag. Und wie schwindet die Nähe? Unter anderem über ungleiche Arbeitsverteilung im Alltag. Und damit sind wir wieder bei der Care-Arbeitsdebatte, wenn wir über Kinder und Eltern reden. Das ist ein Riesenthema für Frauen. Mental Load ist sehr belastend und viele Männer sehen es gar nicht. Dazu passt die Statistik, die sagt, dass die meisten Männer aus allen Wolken fallen, wenn die Frau sagt, sie will sich trennen.
Kristina: Was ist das Komplizierte bei einer Trennung von einem Paar, das verschiedene Sprachen spricht und in verschiedenen Ländern lebt?
Nicola Schmidt: Bei verschiedenen Kulturen hält man unterschiedliche Dinge für selbstverständlich, wie man sich in bestimmten Situationen zu verhalten hat. Wenn Sie und ich über Tischmanieren sprechen, haben wir völlig unterschiedliche Vorstellungen, weil wir keine einheitliche Kultur mehr haben. Wenn meine Kinder zu Ihnen zum Abendessen kommen, einigen wir uns auf so ein paar Basics und wahrscheinlich kriegen wir das noch mal hin. Wenn ich aber eine andere Kultur habe, dann bekommen diese Themen eine völlig andere Dimension. Da helfen eine kulturübergreifende Trennungsberatung oder kultursensitive Erziehungsberatung. Und wir sollten das nicht unterschätzen: Schon in Deutschland, wenn jemand aus der ehemaligen DDR und jemand aus Bayern gemeinsame Kinder haben, können total unterschiedliche Vorstellungen herrschen.
Kristina Dargel, selbst aufgewachsen in Patchwork und heute Patchwork-Mama, ist hauptberuflich Geschäftsführerin – zu Hause eigentlich auch. Als Rheinländerin im Exil bringt sie das Lachen nach Franken, vermisst den „echten Karneval“ und fungiert als Künstlermuse und Sparringspartnerin.