Fürs Leben perfekt

Ein Gentest im Kindergarten zeigt den Eltern auf, wie ihre Kinder am besten gefördert werden können. Ein Zukunftsszenario.

vom Recherche-Kollektiv die ZukunftsReporter:
9 Minuten
Kinder betrachten einen DNA-Strang.

Stellen wir uns einmal vor, wir wollten die Schulbildung stärker auf die individuellen Stärken und Schwächen der Kinder ausrichten als bisher. Schon in der Grundschule. Weil es einen Gentest gibt, mit dem sich das Potential der Kinder früher einschätzen lässt. Niemand wird doch etwas dagegen haben, wenn Kinder früh gefördert werden, oder? Ein Zukunftsszenario der ZukunftsReporter.

Unser Sohn Luca ist jetzt ein Jahr im Kindergarten. Er hat sich gut eingewöhnt und verträgt sich mit den anderen Kindern. Luca geht gern in die Helikoptergruppe. Früher hatten die Gruppen im Kindergarten oft die Namen von Tieren, aber mal ehrlich: Wer will heute noch Pinguin, Delfin oder gar Biene sein? Helikopter können fliegen. Wohin und so weit sie wollen, und diese Chance soll unser Sohn auch bekommen. In zwei Wochen wird Luca drei Jahre alt – wie schnell doch die Zeit vergeht. Nach der Eingewöhnungszeit beginnt dann für ihn die erste Kreativphase. Unser Kindergarten bietet Kunst, Musik, Sport, Sprachen und Programmierung – alles in altersgerechten Konzepten.

FLP heißt die Methode. Das steht eigentlich für „First learning period“, Lernen in einer frühen Lebensphase. Wir witzeln gern und sagen: Es bedeutet „Für’s Leben Perfekt“. FLP-Kindergärten sind begehrt. Früher hatten Hochschulen den Numerus Clausus, die guten Gymnasien und Grundschulen lange Wartelisten, Plätze für die Betreuung des Nachwuchses waren schon immer knapp, doch die neuen Förderprogramme für Kinder haben die Nachfrage bei den guten Kindergärten zusätzlich explodieren lassen.

Wir haben uns für den FLP-Zweig entschieden und einen Platz bekommen. Andere Eltern bevorzugen AAA, den „All activities approach“, gern Triple A genannt, wie die optimale Einstufung einer Geldanlage. Aber darüber haben wir nicht viel Gutes gehört. Triple A kann mit seinem Konzept der universalen Förderung die Stärken und Schwächen der Kinder nicht gut herausarbeiten. Die Kinder müssen Sport treiben, malen und Musik machen. Wir wollten dagegen auf Nummer sicher gehen, dass Luca eine auf ihn angepasste Förderung erhält. Wir Eltern tragen ja die Verantwortung in dieser Phase der Entwicklung, in der unsere Kinder noch keine eigenen Entscheidungen treffen können.

Der Sprachtest und die körperlichen Untersuchungen für Kleinkinder sind seit Jahren selbstverständlich. FLP nutzt zusätzlich den genetischen Score für Intelligenz. Das hat uns überzeugt. Der Test für den IQ wertet mehr als 6000 Stellen im Erbgut aus. Alle Informationen werden in einer komplexen Intelligenzmatrix kombiniert, die mit den genetischen Daten von 120.000 anerkannt intelligenten Menschen im passenden sozialen Umfeld verglichen wird. Alle Faktoren müssen berücksichtigt werden, denn Intelligenz hat ja nichts mit der Hautfarbe oder der geografischen Herkunft zu tun. Es hat fast ein Jahrzehnt gedauert, bis die Methode ihre anfänglichen Schwächen abgelegt hatte. Aber jetzt vertrauen wir den Ergebnissen.

Wir Eltern erfahren dadurch frühzeitig etwas über die kognitiven Fähigkeiten unserer Kinder. In welchen der Bereichen sind sie überdurchschnittlich begabt? Eine wichtige Information. Als wachsame Eltern können wir so feststellen, ob das Kind hinter den Möglichkeiten zurückbleibt. Wir alle wissen, dass der Blick der Eltern auf das eigene Kind oft durch eine übertriebene Sorge oder romantische Verklärung belastet ist. Man freut sich über Kleinigkeiten und übersieht dabei leicht, dass ganz andere Chancen offenstehen. Auch wir können uns davon nicht freisprechen, deshalb der Gentest.

Wir rechnen damit, dass Luca besonders gut geeignet ist, mit Zahlen und Logikproblemen zu hantieren. Die musikalische Kreativität ist bei ihm nicht so stark ausgeprägt. Luca spielt auf seinem Tablet nicht mit den Musik-Apps, wie es andere Kinder stundenlang tun. Auch bei den Trommelkursen zur Steigerung des Rhythmusgefühls hat er nicht so gut mitgemacht. Das ist ja nicht schlimm. Wir haben das akzeptiert. Kein Kind ist perfekt. Aber warten wir das Ergebnis des Gentests ab, vielleicht haben wir Luca bisher nur falsch gefördert.

Wer sich für FLP entscheidet, muss damit rechnen, dass der Gentest kein außergewöhnliches Potential ermittelt. Wir könnten damit leben, aber wir erwarten ein überdurchschnittliches Ergebnis. Die Voraussetzungen für Luca sind gut. Wir mussten als Eltern einen herkömmlichen IQ-Test machen, als wir unseren Sohn im Kindergarten angemeldet haben, und das Ergebnis kann sich sehen lassen.

Anfangs gab es viele Proteste gegen Gentests an Kindern. Das Ergebnis werde die Eltern und ihre Kinder zu stark unter Druck setzen. Intelligenz sei zudem nicht der einzige Faktor für ein glückliches Leben. Das stimmt, aber sind Geist, Geld und Glück nicht nur verschiedene Begriffe für die gleiche Sehnsucht? Auch wir wissen genau, dass es keinen Automatismus gibt, der clevere Kinder produziert. Intelligenz ist in den Genen der Kinder nur angelegt. Es braucht das richtige Umfeld, damit sie sich entfalten kann.

Genau diese Erkenntnis steht hinter dem Konzept von FLP. Dafür gibt es den persönlichen Coach im Kindergarten. Der wird sich um Luca kümmern. FLP arbeitet mit kleinen Gruppen mit nur fünf Kindern und fördert sie dort, wo außergewöhnliche Ergebnisse möglich sind. Alles geschieht freiwillig. Außerdem ist unser Kindergarten keine Eliteschmiede. Diese Zeiten sind längst vorbei. Weil erfolgreiche Intelligenz auch ein gutes Sozialverhalten erfordert, achtet FLP auf eine gute Mischung in den Gruppen. Die vermeintlich schwächeren Kinder vermögen von den anderen zu lernen und erhalten dadurch ihre Chance, sich zu verbessern. Eine Win-win-Situation. Außerdem geht es nicht nur um die Ausprägung von Intelligenz. Eine Stunde Sport ist Pflicht, obwohl Luca das überhaupt nicht gefällt. Die Kinder schließen Freundschaften, machen einen Fahrradführerschein und basteln zu Weihnachten einen Foto-Familienkalender. Der Spaß darf im Kindergarten nicht zu kurz kommen.

Spielende Kinder im Kindergarten
Wie werden Kinder glücklich oder erfolgreich? Kann ein Gentest dabei helfen?
Sie haben Feedback? Schreiben Sie uns an info@riffreporter.de!