„Zwanzig Prozent der Fläche zwischen den Hausreihen sollten zur Grünfläche werden“

Mehr Grün statt Grau – Dr. Michael Richter, Experte für Umweltgerechte Stadt- und Infrastrukturplanung, beschreibt, warum es notwendig ist, Straßen jetzt zu entsiegeln und mehr Grün in die Stadt zu bringen.

vom Recherche-Kollektiv Busy Streets:
8 Minuten
Nach dem Umbau: In der Straße führt eine Fahrbahn in jede Richtung. Zwischen den Fahrbahnen und am Rand der Fahrbahn verlaufen neue breite Grünflächen.

Viele Städte haben in den vergangenen Jahren damit begonnen, auf ihren Straßen mehr Platz für Radfahrer und Fußgänger zu schaffen. Aber reicht das in Zeiten des Klimawandels aus? Die Hitzewarnungen für einzelne Städte oder gesamte Bundesländer steigen, wie dieses Jahr in Bayern oder Nordrhein-Westfalen. Dabei setzen die hohen Temperaturen den Menschen in den Innenstädten besonders zu. Mit ihren vielen asphaltierten Flächen heizen sich die Zentren überproportional stark auf. Die Stadt- und Verkehrsplaner müssen deshalb umdenken. Dr. Michael Richter, Geoökologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der HafenCity Universität (HCU) in Hamburg erforscht seit Jahren, wie die klimagerechte Straße aussehen kann, die Innenstädte kühlt.

Busy Streets: Herr Richter, die Stadt Hamburg will Straßen für den Rad- und Fußverkehr ausbauen. In den vergangenen Monaten zeigte das Thermometer aber oft mehr als 30 Grad an und der Asphalt flirrte vor Hitze. Will man bei den Temperaturen überhaupt noch zu Fuß gehen oder Radfahren?

Michael Richter: Jedenfalls nicht in der prallen Sonne. Wir brauchen mehr Grünflächen, Bäume und Sträucher entlang unserer Stadtstraßen, die Schatten spenden und die Umgebungsluft kühlen. In solchen Straßen können die Menschen auch bei großer Hitze unterwegs sein. Der Fachbegriff lautet BlueGreenStreets (GrünBlaueStraßen). Das sind Straßen, die in ihren Grünflächen (Grün) das Regenwasser (Blau) speichern und auch bei längerer Trockenheit den Bäumen und anderen Pflanzen zur Verfügung stellen. Die vergangenen Monate und Sommer haben bundesweit gezeigt, dass wir klimagerechte Straßen brauchen, um die Folgen des Klimawandels zu mildern. Dazu gehört neben dem Schutz vor großer Hitze auch ein Umgang mit Starkregen.

Mehr Grünflächen in jeder Straße klingt für Radfahrende und Fußgängerïnnen attraktiv, aber wie realistisch ist der Umbau?

Richter: Die Frage ist eher: existiert eine Alternative zum Umbau? Hamburg hat 2022 mit 40,1 Grad einen Hitzerekord aufgestellt. In diesem Sommer lag die Temperatur bundesweit in Städten tagelang bei über 30 Grad Celsius. Viele unserer Stadtstraßen sind Hitzehotspots, weil sie monofunktionale Transitstrecken für den Autoverkehr sind. Dagegen sind Straßen mit breiten, schattigen Rad- und Gehwegen, vielen Grünflächen und Sitzgelegenheiten Aufenthaltsräume. Wie solche Straßen in der Praxis aussehen, kann man in Hamburg in der Königstraße oder der Louise-Schröder Straße in Altona sehen. In beiden Straßen wurden jeweils zwei Fahrspuren zu Grünflächen und Rad- und Fußwegen. Dort wurden Klimaanpassung und Verkehrswende kombiniert.

Vor dem Umbau: Auf der Straße fahren Autos in beide Richtungen. Einige Pkw parken vereinzelt am Fahrbahnrand.
Vor dem Umbau: Die Louise-Schröder-Straße war eine typische autogerechte Straße.
Nach dem Umbau: In der Straße führt eine Fahrbahn in jede Richtung. Zwischen den Fahrbahnen und am Rand der Fahrbahn verlaufen neue breite Grünflächen.
Nach dem Umbau der Louise-Schröder-Straße: Mehr Grünflächen und mehr Platz für Fußgängerïnnen und den Radverkehr verbessern die Aufenthaltsqualität.
Zwischen Gehweg und Fahrbahn stehen Bäume in einer Grünfläche.
Vor dem Umbau: Die Königstraße im August 2022.
Die Bäume zwischen Fahrbahn und Gehweg stehen in einer neu angelegten Grünfläche.
Nach dem Umbau: Die Königstraße im August 2024. Der Grünstreifen ist deutlich breiter und der Gehweg wurde erneuert.
Vor dem Haus verläuft ein breiter Gehweg und eine Straße.
Vor dem Umbau im August 2022: Viel Asphalt und wenig Grün in der Königstraße
Wo der Gehweg an die Fahrbahn grenzt, wurde eine Grünfläche angelegt.
Nach dem Umbau: Jetzt gibt es mehr Grünflächen und Stellplätze für Fahrräder in der Königstraße.
Der Radweg auf der Fahrbahn ist mit einem Piktogramm und einer durchgezogenen Linie markiert.
Im August 2022 war der Radweg farblich markiert.
Eine etwa handgroße Barriere trennt die Fahrspur der Autofahrer von dem Radweg auf der Fahrbahn.
Nachher: Seit August 2022 werden Radfahrenden auf der Fahrbahn baulich vor dem Autoverkehr geschützt.
In den Grünstreifen stehen zwei junge Bäume.
Außerdem wurde der Grünstreifen an der Stelle erweitert, es wurden mehr Bäume gepflanzt und der Gehweg erneuert.

Hamburg ist bundesweit Vorreiter beim klimagerechten Umbau der Städte.

Michael Richter