Richtungsdebatte in der Verkehrspolitik: Ist die Straße wichtiger als die Schiene?
Die Fußball-Europameisterschaft 2024 in Deutschland zeigt schonungslos, dass die Deutsche Bahn ihre Belastungsgrenze längst überschritten hat. Jetzt will die FDP die eingeplanten Mittel für die Schiene um eine Milliarde kürzen, um sie in die Autobahnen zu investieren.
Das Europameisterschaftsspiel Deutschland gegen Schottland in München wird einigen Fans in besonderer Erinnerung bleiben. Auf dem Weg zum und vom Stadion blieben die Züge lange auf den Bahnsteigen und in den Tunneln stehen. Die Stimmung unter den Fans war ruhig und gelassen, obwohl es in den Zügen und auf den Bahnsteigen immer voller wurde. Das Verkehrschaos schaffte es sogar in die internationale Berichterstattung – die Deutschen kennt man so nicht.
Seit der Privatisierung der Deutschen Bahn im Jahr 1994 wurde viele Jahre lang zu wenig Geld in die Infrastruktur investiert. Erst in letzten Jahren wurden die Mittel deutlich aufgestockt. Doch jetzt wird laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung in Kreisen der FDP darüber diskutiert, der Bahn im Haushalt 2025 etwa eine Milliarde weniger zuzugestehen als ursprünglich geplant – und das Geld stattdessen in die Autobahnen zu investieren.
Wie steht es um die Finanzierung der Deutschen Bahn? Das haben wir den Verkehrspolitiker Matthias Gastel von den Grünen gefragt.
Herr Gastel, aktuell laufen die Verhandlungen für den Bundeshaushalt 2025. Die FDP will eine Milliarde Euro, die für die Sanierung der Deutschen Bahn reserviert ist, für die Instandhaltung der Autobahnen nutzen. Welche Botschaft sendet sie damit aus?
Die Botschaft, Straße sei wichtiger als Schiene, ist nicht die Position dieser Koalition. Wir haben etwas anderes im Koalitionsvertrag vereinbart. Bei der Schiene besteht ein ähnlicher Sanierungsbedarf wie bei der Straße. Deswegen dürfen Straße und Schiene nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wir wollen weder gesperrte Autobahnbrücken noch wollen wir noch mehr Langsamfahrstellen im deutschen Schienennetz.
„Überhitzte Waggons, häufige Verspätungen und regelmäßige Zugausfälle“ – so lautete die Schlagzeile der New York Times vor einigen Tagen. Die Europameisterschaft rückt nicht nur Deutschland in den Fokus, sondern auf das deutsche Bahnsystem. Kommen diese internationalen Stimmen bei der Politik an?
Ich glaube nicht, dass wir diese internationalen Stimmen brauchen, um den Handlungsbedarf zu erkennen. Wir haben ja bereits reagiert. Noch nie wurde so viel investiert, vor allem in die Sanierung des Schienennetzes. Wir müssen das Schienennetz funktionstüchtig halten und leistungsfähiger machen. Dafür nehmen wir viel Geld in die Hand. Wir haben bereits die Hebel umgelegt – aber wenn mehr investiert wird, gibt es mehr Baustellen. Wenn es mehr Baustellen gibt, gibt es mehr Beeinträchtigungen in Form von unpünktlichen Zügen.
Deutsche Effizienz. Verlässlichkeit. Funktionalität. „Vergessen Sie alles, was Sie zu wissen glaubten“ – das schreibt die New York Times in einem weiteren Bericht über die Europameisterschaft in Deutschland. Von Verkehrskollaps vor und nach den Spielen in München und Gelsenkirchen ist die Rede. Sind wir an einem Kipppunkt angelangt?
Wir waren an dem Punkt, wo wir vor der Entscheidung standen, entweder durch desolate Zustände in der Infrastruktur massive Einschränkungen im Schienennetz hinnehmen zu müssen oder aber dem gegenzusteuern.
Was ist Ihre Strategie?
Wir sanieren so viel wie noch nie zuvor. Wir haben zudem ein Programm aufgelegt, um die Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Das heißt, wir gestalten das deutsche Schienennetz so, dass es flexibler nutzbar ist für den Personen- wie auch für den Güterverkehr.
Die New York Times erinnert übrigens auch daran, dass der Bund die grundgesetzliche Verantwortung hat, für die Zuverlässigkeit der Bahn zu sorgen. Muss eine US-amerikanische Zeitung die Bundesregierung an ihre Pflichten erinnern?
Der Koalition sind diese Pflichten klar – das war bei vorangegangenen Regierungen nicht der Fall, die deutlich zu wenig Geld bereitgestellt haben. Aktuell holen wir Versäumnisse aus der Vergangenheit nach. Ich erwarte, dass auch Finanzminister Christian Lindner diese Dringlichkeit der Investitionen versteht. Auch unterlassene Investitionen mit der Folge, dass Infrastruktur kaputt geht, sind faktisch Schulden.
Sie appellieren an den Finanzminister. Aber Verkehrsminister Wissing soll die eine Milliarde mehr für die Autobahnen erhalten. Wer entscheidet letztlich?
Die Milliarde ist noch nicht bei der Straße gelandet. Die Umschichtung ist eine Idee, die irgendwo in der FDP zwischen Finanz- und Verkehrsministerium entstanden ist. Letztlich entscheidet der Deutsche Bundestag als Haushaltsgesetzgeber. Wir wissen aber auch, dass wesentliche Entscheidungen schon im Vorfeld so weit getroffen sind, dass es im parlamentarischen Verfahren sehr schwierig ist, noch größere Änderungen vorzunehmen. Ich erwarte von den Koalitionsspitzen, dass sie es schaffen, der Straße die notwendigen Gelder für die erforderliche Sanierung zukommen zu lassen, ohne dass diese Mittel von der Schiene kommen.
Wieviel Geld braucht es für die Schiene, damit die Bahn wieder zuverlässig arbeiten kann?
Wir haben einen Investitionsbedarf bis 2027 in Höhe von 45 Milliarden Euro festgestellt. Die Gelder für die Deutsche Bahn wurden zwar erheblich aufgestockt, wegen der bekannten Haushaltsprobleme aber nicht auf das benötigte Niveau. Wir brauchen aber nicht nur mehr Geld, sondern auch eine verlässliche Finanzierung.
Was meinen Sie damit?
Ein Hin und Her bei der Finanzierung von Straßen und Schieneninfrastruktur führt dazu, dass es eine massive Verunsicherung in der Bauwirtschaft gibt. Sie weiß nicht, mit welchen Aufträgen in welcher Höhe sie rechnen kann und stellt deshalb nicht die notwendigen Kapazitäten zur Verfügung. Wenn wir im Dezember über einen Haushalt für das darauffolgende Jahr entscheiden und erst dann feststeht, wie viel Geld bereitsteht, passiert es häufig, dass Personal, Maschinen und Baumaterialien fehlen. Alles muss dann teuer organisiert werden.
Was ist Ihre Botschaft an Bundesfinanzminister Christian Lindner?
Dass eine kurzfristige Haushaltsplanung immer zu hohen Preisen im Baubereich führt – man bekommt also weniger Leistung für sein Geld. Es ist wichtig, dass wir bei Straßen wie auch bei der Schiene zu einer verlässlichen Finanzierung kommen. Ein Auf und Ab in der Finanzplanung wird am Ende sehr, sehr teuer.