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Paris wird grüner: 500 Straßen werden autofrei - Bürgerentscheid ebnet Weg zur klimaresilienten Stadt
Paris drängt Autos weiter zurück: mehr Platz für Fußgängerïnnen und Grünanlagen
Die Bürgerïnnen haben entschieden: in der französischen Hauptstadt werden 500 Straßen für Autos dichtgemacht. Ist die niedrige Beteiligung an der Wahlurne ein Problem oder die stumme Zustimmung für weitere Veränderungen. Ein Kommentar

Anne Hidalgo hat es wieder getan. Die Bürgermeisterin von Paris ließ die Bürgerïnnen über die zukünftige Nutzung ihrer Straßen abstimmen. Das Ergebnis war eindeutig: 66 Prozent der Pariserïnnen, die abgestimmt haben, wollen mehr Platz für Fußgängerïnnen, und diese Entwicklung soll eindeutig auf Kosten der Autos gehen. Der Bürgerentscheid öffnet die Tür für 500 neue autofreie Straßen im Zentrum. Wie das im Detail umgesetzt werden soll, überlässt die Bürgermeisterin den Menschen und Entscheiderinnen in den jeweiligen Vierteln. Sie können bestimmen, welche Straßen zur grünen Fußgängerzone werden sollen.
500 Straßen – das klingt in deutschen Orten vielerorts schon nach einer Revolution gegen das Auto, aber für die Metropole Paris ist es eine überschaubare Zahl. In jedem der 20 Quartiere werden etwa 25 Straßen umgebaut, das sollte auch von Autofreunden zu akzeptieren sein.
Und für die Pariserïnnen ist die Diskussion um eine autofreiere Stadt ein bekanntes Thema. Sie wissen, was auf sie zukommt, wenn 500 Straßen dauerhaft verändert werden. In den letzten Jahren wurden bereits 220 der über 6.000 Straßen der Stadt autofrei. Die Auswahl der Straßen verursachte bisher keinen Krawall, sondern suchte die Akzeptanz der Bevölkerung. Die meisten Maßnahmen betrafen Straßen in Schulnähe. Große Umbauten wie in der Rue de Rivoli sind die Ausnahmen.
Trotzdem ist das autofreie Paris nicht jedermensch Sache. Der Opposition im Rathaus gefällt Hidalgos Konzept nicht. Sie kritisierte die geringe Beteiligung. Auffällig in Deutschland ist, dass viele Medien hierzulande diesen Aspekt in ihrer Berichterstattung ebenfalls betonen. Tatsächlich gingen in Paris nur vier Prozent der knapp 1,4 Millionen Wahlberechtigten zur Urne - also etwa 56.000 Bürgerïnnen.
Doch was sagt die niedrige Wahlbeteiligung aus? Sie ist sicher kein Zeichen für fehlende Information. Schließlich hingen stadtweit Plakate, die auffällig zur Wahl aufriefen. Jeder, der sich für Autofahren in Paris interessiert, konnte mit Pro oder Contra abstimmen. Die Abstimmung ist also keine heimliche Aktion, bei der die BürgerInnen der Stadt überrumpelt wurden. Vermutlich ist die geringe Wahlbeteiligung Ausdruck einer Zufriedenheit mit der Verkehrspolitik.
Anscheinend kommen die meisten Pariserïnnen sehr gut damit zurecht, dass ihre Stadt grüner, ruhiger und sauberer wird. Sonst wären am Sonntag sicherlich mehr zur Urne gegangen, um ihren Unmut zu zeigen. Andere Beispiele zeigen, dass die Franzosen ganz gut in der Organisation von Protest sind. Vor der Abstimmung über autofreie Straßen war davon nichts zu spüren.
Anne Hidalgo betonte vor der Wahl, dass die Begrünung auch gegen die Folgen des Klimawandels hilft, etwa gegen die große Sommerhitze. Erinnern Sie sich an die Olympischen Spiele im letzten Jahr in Paris? Es war extrem heiß, teils über 35 Grad Celsius. Diese Temperaturen sind vielleicht angenehm am Strand, aber nicht für Athletïnnen, die Höchstleistungen bringen sollen oder für die Stadtbewohnerïnnen, die ihren Alltag meistern müssen.
Denn große Hitze, die lange anhält, kann gefährlich werden und sogar töten. Menschen sterben bei hohen Temperaturen, weil ihr Kreislauf kollabiert, die Nieren versagen oder sie schnell dehydrieren. Während der Hitzewelle 2003 starben allein in Frankreich 15.000 Menschen.
Das könnte nur ein Vorgeschmack auf das sein, was noch kommt. Eine Studie von 2023 zeigt, dass in keiner anderen europäischen Hauptstadt so viele Menschen bei Hitze sterben wie in Paris. Für Klimaforscher und Verkehrsexperten wie Dr. Michael Richter ist der Umbau der Stadt alternativlos. „Viele Straßen sind Hitzehotspots, weil sie nur dem Autoverkehr dienen. Straßen mit breiten, schattigen Rad- und Gehwegen, Grünflächen und Sitzgelegenheiten sind Aufenthaltsräume.“ Ein gesunder Baum kühlt durch Verdunstung seine Umgebung um bis zu fünf Grad.
Das bringt Erleichterung an heißen Tagen. Zwischen 2020 und 2026 will Paris 170.000 Bäume pflanzen, um die Temperatur zu senken und die Luftverschmutzung zu reduzieren. Diese Bemühungen sind nicht nur Hidalgos Idee, sondern eine Anordnung des französischen Staatsrats. Dieser hat den Staat wegen zu hoher Luftverschmutzung in mehreren Metropolen, darunter Paris, zu einer Millionenstrafe verurteilt.
Wenn die Opposition den Abbau von 10.000 Parkplätzen verhindern will, sollte sie die Folgen benennen: eine weiterhin hohe Luftverschmutzung und anhaltende Sommerhitze. Beides macht krank und kostet Leben. Auch in Deutschland nehmen Politikerïnnen das in Kauf, um Parkplätze vor der Haustür zu retten.