Rassistische Realitäten in Deutschland: „Wir stehen an einem Scheideweg“

Rassismus in Deutschland nimmt zu, während Schutzräume für Betroffene schrumpfen. Vereine und zivilgesellschaftliche Organisationen schlagen Alarm für den Schutz von Menschenleben und Demoraktie.

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Delal Atamaca schaut freundlich in die Kamera

„Wir stehen an einem Scheideweg: Entweder lassen wir zu, dass Demokratie und Menschenrechte von rechts untergraben werden oder wir verteidigen diese Werte sehr entschlossen. Weggucken ist keine Option mehr“, sagt Dr. Delal Atmaça. Sie ist Geschäftsführerin und Mitbegründerin des Dachverbandes der Migrantinnenorganisationen (DaMigra e.V.). Der Verein setzt sich für Rechte von migrierten und geflüchteten Frauen in Deutschland ein. Doch drastische Haushaltskürzungen und Sparvorgaben des Finanzministeriums bedrohen die Existenz von DaMigra wie auch von vielen anderen zivilgesellschaftlichen Trägern. Neue Projektanträge werden abgelehnt, bestehende Projekte nicht verlängert, sie müssen Mitarbeiter:innen entlassen und Büros schließen. Hinzukommt gesellschaftlicher Druck von rechts.

„Feministische, antirassistische und migrantisch organisierte Schutzräume werden zunehmend finanziell ausgehungert, politisch diffamiert und in rechten Kampagnen als Bedrohung dargestellt“, fasst Atmaça die Lage zusammen. Auch Vertreter:innen anderer zivilgesellschaftlicher Organisationen, etwa Box66, ein interkulturelles Beratungs- und Begegnungszentrum für Frauen, der Türkische Frauenverein Berlin oder die Deutsch-Afghanische Freundschaftsgesellschaft Baaham berichten, dass ihre täglichen Arbeit in Anbetracht aktueller Entwicklungen immer schwieriger wird. Menschen mit Migrationsgeschichte suchen bei ihnen Hilfe und erzählen von zunehmenden tätlichen Angriffen. Manche Betroffene erwägen einen Umzug, andere begeben sich in Therapie.

Auch die Vereine selbst erzählen von Übergriffen, etwa Hassnachrichten auf den Social-Media-Kanälen, und Hacking-Angriffen, die die Verbreitung extremistischer Inhalte auf ihren Plattformen zur Folge hatten. „Wenn wir selber so unsicher sind, aufgrund von Finanzierungslücken und Übergriffen, wie sollen wir da den Menschen, die zu uns kommen, Sicherheit bieten?“, fragt Teresa Bueno von Box66.

Generalverdacht und Ausgrenzung – Wie die Berichterstattung über Gewalt migrantische Communities belastet

Doch nicht nur Gewalt, die sich speziell gegen Menschen mit Migrationsbiografie wendet, macht den Organisationen Sorgen, sondern auch das gesellschaftliche Klima und der aktuell vorherrschende Ton in den Medien. „Es wird der Eindruck vermittelt, dass alle Afghanen kriminell und gefährlich seien und deswegen nicht zur deutschen Gesellschaft gehören“, kritisiert Mitra Hashemi, Vorstandsvorsitzende von Bahaam e. V., in Bezug auf hitzige Social-Media-Debatten und Medienberichterstattung über Anschläge und Gewalttaten, besonders in den Wochen um die Bundestagswahl.

Bei migrantischen Communities, die oft gerade erst aus einer Situation der Bedrohung und Verfolgung in Deutschland ankommen, hinterlasse der Generalverdacht Spuren: Die afghanische Diaspora erhalte vermehrt Droh- und Hassnachrichten, was wiederum Ausgrenzung und Isolation zur Folge habe. „Kriminalität ist nicht von Nationalitäten und Herkünften abhängig. Gewaltakte müssen als individuelle Taten betrachtet werden“, erklärt Hashemi. „Auch Afghanen wünschen sich eine Aufklärung dieser Straftaten. Doch es wird erwartet, dass man sich von anderen Afghanen distanziert, oder dass man sich im Namen aller Afghanen bei der Gesellschaft entschuldigt. Die Folgen von anhaltendem Rassismus sind tiefgreifend, insbesondere für Kinder, und hemmt die soziale Teilhabe, die wir so dringend anstreben. Statt differenzierte Berichterstattung, die auch ein Licht auf Erfolge von Afghanen in Deutschland wirft, werden wir immer wieder auf Bedrohungsnarrative zurückgedrängt.“

Wie unterschiedlich die Gewaltberichterstattung je nach Kontext ausfällt, bestätigt eine Analyse von BuzzFeed News Deutschland. Demnach berichteten deutsche Medien über die Anschläge in Magdeburg und München, bei denen die Täter ausländischer Herkunft waren, mehr als doppelt so häufig wie über die Tat in Mannheim, die von einem Deutschen verübt wurde.

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