20 Jahre Weltreporter auf fünf Kontinenten: „Einer von uns ist immer wach“
2004 haben sich eine Handvoll freie Journalist*innen zusammengetan, um trotz widriger Arbeitsbedingungen hochwertige Auslandsberichterstattung machen zu können. Heute ist weltreporter.net das größte deutschsprachige Netzwerk freier Auslandskorrespondent*innen.
„Wir halten es mit Casanova. Der hat mal gesagt, die Liebe bestehe zu drei Vierteln aus Neugier. So ist das mit unseren Geschichten auch: Neugier – auf Menschen und Orte, auf Neues und versteckte Facetten des Vertrauten, auf Nachrichten und das, was dahintersteht. Von Tokio über Kabul, Moskau und London bis San Salvador ist einer von uns immer wach.“ Mit diesen Worten stellte sich weltreporter.net im November 2004 zum ersten Mal der Öffentlichkeit vor – als „das erste Netz freier Korrespondenten, die für deutschsprachige Medien aus aller Welt berichten“.
„Eine gute Idee“, fand das Medienmagazin Insight und Kress Express schrieb über „eine Welt voller Reporter“. Auch dpa, epd, diverse Tageszeitungen und Spiegel Online berichteten über das neue Netzwerk. Was heute fast selbstverständlich scheint, war damals noch eine kleine Sensation: freie Korrespondent*innen, über die ganze Welt verstreut, vernetzen sich – und zwar ganz unabhängig von großen Redaktionen. So etwas gab es bisher nur für Pressefotograf*innen.
Gemeinsam bessere Bedingungen für freie Korrespondent*innen schaffen
Zwei Monate zuvor hatte mich in Jakarta eine E-Mail des freien Korrespondenten Janis Vougioukas aus Shanghai erreicht. Zusammen mit drei weiteren Absolvent*innen der Deutschen Journalistenschule suchte er Mitstreiter*innen für „das erste Netzwerk freier Auslandskorrespondenten, die alle wichtigen Weltregionen abdecken“.
Das war der Beginn von Weltreporter. Den ganzen Oktober lang diskutierten wir per E-Mail über unseren Namen, während die Zahl der Mitglieder auf der Mailingliste von zehn auf zwanzig stieg. Wir hätten uns auch – wie damals unter anderem vorgeschlagen – Wortversum, verbamundi oder schlicht auslandskorrespondenten.de nennen können. Unser Ziel wäre das gleiche geblieben: gemeinsam den widrigen Bedingungen für freie Journalist*innen zu trotzen und hochwertige Auslandsberichterstattung zu machen.
Wie für viele Gründungsmitglieder war der Start von Weltreporter für mich ein entscheidender Schritt, um dauerhaft als freie Journalistin im Ausland arbeiten zu können. Bereits in ihrer ersten Mail schrieben die Weltreporter-Initiator*innen: „Das Interesse an Auslandsberichterstattung ist in den letzten Jahren nicht gesunken. Wohl aber die Zahl der Redaktionen, die sich ein eigenes Korrespondentennetz leisten oder Geld in internationale Recherchereisen investieren.“
20 Jahre später sind wir fast 90 aktive und ehemalige Weltreporter*innen
Ich wohnte damals in einer Wohngemeinschaft zusammen mit indonesischen Kulturschaffenden und Menschenrechtler*innen im Zentrum von Jakarta – das Internet war schlecht, die Auftragslage überschaubar. Ein Arbeitsvisum für ausländische Freischaffende gab es nicht, dankenswerterweise half mir mein damaliger Hauptauftraggeber Stern mit den notwendigen Papieren aus, für Versicherungen hatte ich kein Budget. Vermutlich hätte ich so nicht mehr sehr lange als freie Südostasienkorrespondentin durchhalten können.
Bei meiner Kollegin Julica Jungehülsing sah es ähnlich aus: „Australien war zu diesem Zeitpunkt nicht gerade der Nabel der Welt“, erinnert sie sich. Sydneys Olympische Spiele waren vorbei. Outback, Riff, Städte, Strände und Flüsse hatte ich bereits in diversen Reisemagazinen untergebracht. Politisch interessierte der Kontinent in Deutschland eher sporadisch, ich hielt mich unter anderem mit Surfunterricht über Wasser.„ Da machte sie ein Redakteur auf die Weltreporter aufmerksam - und dass auf deren Standortkarte unten rechts noch ein Punkt fehlte. Zwei Wochen später stand Julicas Name dort. “Plötzlich fanden mich Verlage und Redaktionen, von denen ich nicht mal geahnt hatte, dass es sie gab. Zugleich hatte ich auf einmal, was mir als Einzelkämpferin am unteren Weltende am meisten gefehlt hatte: Großartige Kolleginnen und Kollegen, die in ganz ähnlichen Situationen arbeiteten."
20 Jahre später ist das Weltreporter-Netzwerk auf fast 50 aktive Korrespondent*innen angewachsen, unterstützt durch rund 40 ehemalige Weltreporter*innen. Aus einer gemeinsamen Website ist über die Jahre ein gemeinnütziger Verein entstanden, der mit Spenden unterstützt werden kann. Wir veröffentlichen jeden Monat einen Newsletter, betreiben Social-Media-Kanäle und ein gemeinsames Recherche-Kollektiv bei RiffReporter.
Lückenhafte Auslandsberichterstattung ist eine Gefahr für die Demokratie
Doch die Lage der Auslandsberichterstattung hat sich keineswegs verbessert: Viele Redaktionen leisten sich heute nicht einmal mehr freie Korrespondent*innen, sondern verlassen sich häufig nur noch auf Agenturberichte und soziale Medien. Alternativ interviewen sie gegebenenfalls die Vertreter*innen von Hilfsorganisationen oder politischen Stiftungen zur Lage in einem fernen Land. Doch ohne unabhängige und sorgfältig vor Ort recherchierte Auslandsberichte kommt in deutschen Medien nur noch ein verzerrtes Bild der Welt an – und das wird zur Gefahr für die Demokratie.
Zu den Aufnahmekriterien, auf die sich die Weltreporter*innen geeinigt haben, gehört daher langfristige Ortskenntnis der jeweiligen Berichtsgebiete: Wir fliegen nicht erst ein, wenn ein Krieg ausbricht oder eine Naturkatastrophe geschieht, sondern leben in unseren Berichtsgebieten. Wir arbeiten auch länderübergreifend zusammen und können so internationale Entwicklungen besser beobachten. Bei unserer Jubiläumsveranstaltung am 13. Juli 2024 im neuen Publix-Haus in Berlin legen wir unseren Fokus auf die Zukunft von Auslandsberichterstattung in Zeiten von Falschmeldungen und Desinformation.
Wie hintergründige Berichterstattung gegen polarisierende Sichtweisen und Desinformation zu anderen Ländern helfen kann, stand ebenfalls schon in der ersten Vorstellung der Weltreporter von 2004 – fast zu schlicht für die heutige Zeit: „Verstehen und beschreiben, was fremd ist. Nicht mit dem Blick, der nur das Wundersame des Anderen sucht. Sondern hingucken, um den Alltag einzufangen, der mit unserer Welt zuhause mehr zu tun hat, als uns selbst manchmal klar ist.“