Auslandsjournalismus in der Krise: Was muss sich aus Sicht von Nachwuchsreportern ändern?

Mehr Mut bei der Themenwahl, vielfältigere Sichtweisen – und mehr Vertrauen in jüngere Kollegïnnen: Zwei angehende Korrespondentïnnen erzählen, warum sie trotz Hürden aus dem Ausland berichten wollen.

vom Recherche-Kollektiv Weltreporter:
5 Minuten
Junge Journalisten stellen Fragen zum Auslandsjournalismus, hier bei einer Diskussion im Münchener Amerikahaus.

„Sinkende Budgets, schrumpfende Korrespondentennetze – Auslandsjournalismus unter Druck“ war der Titel des ersten Panels am Tag des Auslandsjournalismus am 14. Januar 2023. Das Netzwerk junger Journalisten journalists.network hatte zum 25. Jubiläum seiner Vereinsgründung nach München in den Hauptsitz der Süddeutschen Zeitung geladen, um darüber zu diskutieren, wie Auslandskorrespondentïnnen mit dem wachsenden Spardruck der Redaktionen, der zunehmend schwierigen Sicherheitslage sowie den Einschränkungen der Pressefreiheit in vielen Teilen der Welt umgehen sollen.

Ist Auslandsberichterstattung unter diesen Umständen überhaupt noch interessant für junge Journalistïnnen? Was müsste sich ihrer Meinung nach ändern, damit die Arbeit im Ausland wieder attraktiver wird?

Die langjährige Südostasien-Korrespondentin und Weltreporter-Geschäftsführerin Christina Schott hat zwei der Tagungsteilnehmerïnnen dazu befragt: Clara Gehrunger, 25, hat ihn Magdeburg Journalismus und in Castellón de la Plana (Spanien) Internationale Friedens- und Konfliktforschung studiert und arbeitet zurzeit als freie Redakteurin unter anderem in den Nachrichten beim MDR in Dresden. Weitere Auslandserfahrungen sammelte sie als Praktikantin des West Africa Think Tank in Dakar, Senegal. Jamil Zegrer, 25, hat gerade sein Studium der Kulturwissenschaften und Philosophie an der Berliner Humboldtuniversität abgeschlossen und möchte als Videojournalist aus dem Ausland berichten. Momentan arbeitet er als Förderstipendiat des Hanns-Joachim-Friedrichspreises an einer Recherche über Pflegefachkräfte, die aus Tunesien nach Deutschland kommen.

Clara Gehrunger und Jamil Zegrer, beide 25, haben gerade ihr Studium beendet und wollen gern Auslandskorrespondenten werden.
Die Nachwuchsjournalisten Clara Gehrunger und Jamil Zegrer wollen beide gern aus dem Ausland berichten.

Wir sind oft an der Entstehung von Krisen in anderen Ländern beteiligt. Es täte uns gut, das mehr zu reflektieren.

Christina Schott: Warum interessiert Ihr Euch für Auslandsjournalismus?

Clara Gehrunger: Es gibt immer irgendwelche Zusammenhänge zwischen dem, was hier geschieht, und dem, was in anderen Ländern passiert. Ich finde es daher total spannend zu sehen, wie das alles genau zusammenläuft. Wenn ich bei Recherchen meine ganzen Stichpunkte aufschreibe, und irgendwann anfange, dazwischen überall Pfeile zu ziehen – das ist dann der Moment, wo ich richtig in meiner Arbeit aufgehe.

Jamil Zegrer: Auf der Tagung heute wurde viel über Moral und Gerechtigkeit in Zusammenhang mit journalistischer Berichterstattung gesprochen. Dann gehört es aber eigentlich auch dazu, dass wir alle Länder mit in die Betrachtung einbeziehen, mit denen wir in irgendeiner Weise in Austausch stehen – das gilt für politische und wirtschaftliche, aber auch gesellschaftliche und kulturelle Einflüsse. Und da gibt es mittlerweile ja kaum ein Land mehr, das nicht dazu gehört. Gerade Ereignisse in ärmeren und krisengebeutelten Gegenden haben nicht nur direkte Auswirkungen auf uns, sondern wir sind oft auch noch an der Entstehung beteiligt. Es täte uns gut, das mehr zu reflektieren.

Auf dem Podium im Gebäude der Süddeutschen Zeitung diskutieren (von links): Crowdnewsroom-Direktor und Weltreporter Marc Engelhardt, Deutschlandfunk-Chefredakteurin Birgit Wentzien, Weltreporter-Geschäftsführerin Christina Schott und Susanne Glass, stv. Auslandsressortleiterin des Bayerischen Rundfunks.
Diskutieren über die Zukunft des Auslandsjournalismus (von links): Crowdnewsroom-Direktor und Weltreporter Marc Engelhardt, Deutschlandfunk-Chefredakteurin Birgit Wentzien, Weltreporter-Geschäftsführerin Christina Schott und Susanne Glass, stv. Auslandsressortleiterin des Bayerischen Rundfunks

Nur durch die deutsche Brille zu schauen, wird vielen anderen Kulturen und Sichtweisen nicht gerecht.

CS:Muss sich die Auslandsberichterstattung Eurer Meinung nach ändern?

JZ:Sie muss auf jeden Fall mehr unterschiedliche Perspektiven sichtbar machen. Um es mal salopp zu sagen: Ich finde die Auslandsberichterstattung in Deutschland manchmal ein bisschen nervig – wegen der Art, in der auf andere Länder herabgeschaut wird. Die Brille, durch die wir von hier aus auf andere Länder schauen, funktioniert vielleicht total gut für uns, aber nicht unbedingt für Menschen in anderen Ländern. Das heißt, wir haben gewisse Vorstellungen und dann schauen wir, inwiefern diese anderswo erfüllt werden. Das wird vielen Ländern mit anderen Kulturen und Sichtweisen aber nicht gerecht. Man muss auch Fragen stellen, die aus diesen Ländern selbst kommen.

CG:Ukraine-Korrespondentin Rebecca Barth hat auf dem Podium die Redaktionen aufgefordert, mehr Mut zu haben bei der Themenwahl. Das finde ich richtig. Ich finde, wir müssen noch auf viel mehr Länder schauen als die „klassischen“, die immer im Fokus stehen. Das ist die alte Geschichte mit den weißen Flecken – und ich hoffe sehr für den Auslandsjournalismus, dass er in Zukunft mit mehr Selbstvertrauen diesen Schritt geht.

CS:Wie wichtig war dieser Tag des Auslandsjournalismus für Euch und warum?

CG: Für mich war die Veranstaltung zum Netzwerken sehr wichtig – gerade als junge Journalistin muss ich mir erst noch ein Kontaktnetz aufbauen. Hier konnte ich schauen, in welche Richtung ich arbeiten könnte, wo andere Journalistïnnen vielleicht noch Lücken in der Berichterstattung sehen. Ich mochte es, dass die Diskussionen offen waren und dann einfach reingehen und nochmal hinterfragen zu können. Da hätte ich an manchen Stellen gern mehr Zeit gehabt, um noch ein paar Sachen anzusprechen – zum Beispiel als es heute morgen um sinkende Budgets und Korrespondentennetze ging. Aber die Tagung hat mich dazu inspiriert, genau das zu machen, was ich mir vorstelle: nämlich trotz vieler Hürden ins Ausland zu gehen und zu versuchen, mich als Freie durchzuschlagen, mir von dort etwas aufzubauen. Und dass ich genau dahin gehen sollte, wo niemand ist und von wo selten berichtet wird.

JZ: Ich fand die Tagung wichtig – sie gab gute Einblicke, um das Berufsfeld besser zu verstehen, in dem ich später vielleicht arbeiten möchte. Ich habe vor allem den Mix aus Diskussionen und Workshops geschätzt, also auch dieses praktische Knowhow. Besonders gut fand ich einen Workshop über Open-Source-Recherche, in dem gezeigt wurde, wie man Video- und Audiomaterial aus dem Internet auswertet. Wenn man anfängt zu arbeiten, ist man schnell überfordert: Wie mache ich das jetzt konkret und welche Hilfestellung brauche ich? Deswegen finde ich es immer cool zu sehen, wie andere Journalistïnnen arbeiten. Und auch zu erkennen, dass die anderen auch alle nur mit Wasser kochen – dass es kein Hexenwerk ist, aus dem Ausland zu berichten.

Poster mit Ankündigung für den „Tag des Auslandsjournalismus“
Ankündigung für den „Tag des Auslandsjournalismus“

CS:Wo seht Ihr Euch in zehn Jahren?

JZ: Mein Schwerpunkt ist gerade Videojournalismus. Ich finde, dass zumindest im deutschsprachigen Raum das Visuelle noch zu wenig gefordert wird: zum einen bei der Ausbildung, zum anderen aber auch bei der Nutzung der Möglichkeiten. Videos sind hier meist nur eine banale Ergänzung zum Textjournalismus. Mich interessiert aber, wie man über visuelle Medien Inhalte kommuniziert. Vielleicht übermitteln sie nicht immer so viele inhaltliche Informationen wie ein Textbeitrag, aber man kann damit andere Aspekte einer Erzählung auf besser ausdrücken, bestimmte Eindrücke und Wirkungen. Diese Arbeit würde ich gern im Ausland machen. Mich interessiert die arabische Welt, vor allem der Maghreb, aber auch die Länder der Arabischen Halbinsel, durchaus auch krisengeschüttelte Regionen, vielleicht Syrien, Jordanien und Libanon.

CG:Ich sehe mich noch gar nicht in zehn Jahren… Ich lebe da, wo ich bin, und hoffe darauf, dass ich die Möglichkeit haben werde, mich in verschiedenen Ländern und Regionen umzuschauen und dabei mehr über mich selbst und andere zu lernen. Dieses Wissen würde ich dann gern mitnehmen und so ausbauen, dass ich es an andere Menschen weitergeben kann, die sich dafür interessieren.

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