Corona-Pandemie in Ostafrika: Die Freiheit der Medien leidet unter dem Virus
Auch in Ostafrika und anderen afrikanischen Ländern greifen mit Covid-19 die Falschnachrichten um sich. Journalistïnnen haben sich zusammengeschlossen, um dagegen vorzugehen.
Die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie haben auch Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Pressefreiheit. In vielen Ländern weltweit und in Afrika greifen Polizei und Militär unverhältnismäßig hart durch, um Maßnahmen zum Kampf gegen die Pandemie durchzusetzen. Menschen werden verprügelt, ausgepeitscht, gedemütigt, verhaftet – und getötet. Nach UN-Angaben starben beispielsweise in Kenia zwanzig Menschen im Zusammenhang mit angeblichen Verstößen gegen Sicherheitsauflagen. Unter den exzessiven Maßnahmen leidet auch die Presse. Ein Blick nach Kenia und Somalia.
Schüsse in Mogadischu
In der Nacht auf den 25. April 2020 fallen in der somalischen Hauptstadt Mogadischu Schüsse. Das ist an sich nichts besonderes, in Mogadischu sind etliche Milizionäre unterwegs, auch bewaffnete Mitglieder der islamistischen Terrorgruppe Al-Shabaab. Die somalische Regierung ist nach einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg immer noch schwach und hat nicht einmal in der Hauptstadt das Gewaltmonopol. Diesmal aber fallen die Schüsse aus der Waffe eines Polizisten und töten mindestens einen Menschen. Der Polizist ist im Einsatz, um die nächtliche Ausgangssperre zur Bekämpfung der Corona-Pandemie durchzusetzen. Die Nachricht von dem tödlichen Polizeieinsatz erreicht den Radiojournalisten Farhan Mohamed Hussein, kurz nachdem sich der Vorfall ereignet hat. Der Journalist des privaten Senders „Radio Kulmiye“ fährt sofort zum Ort des Geschehens, macht Fotos und führt Interviews. Noch während er arbeitet, wird er verhaftet, zur nächsten Polizeistation mitgenommen und dort gezwungen, seine Fotos und Audioaufnahmen zu löschen. Danach lassen ihn die Polizisten wieder frei.
Blankoscheck zum Vorgehen gegen die Presse
„Polizisten und Sicherheitskräfte glauben, dass sie einen Blankoscheck dafür bekommen haben, zu tun was sie wollen – auch im Umgang mit Journalisten“, kritisiert Omar Faruk Osman, Präsident des somalischen Journalistenverbandes NUSOJ. Somalia ist eins der gefährlichsten Länder für Journalisten weltweit, der Beruf für viele tödlich. Als Täter gelten meist Mitglieder der islamistischen Shabaab-Miliz, aber viele Morde bleiben unaufgeklärt. Medienvertreter leiden auch unter Repressionen der Regierung, werden eingeschüchtert, verhaftet, Sender oder Verlage geschlossen. Im Zusammenhang mit Covid-19 gehe es zwar nicht um Mord, aber die Verletzungen der Pressefreiheit seien gravierend, betont Hussein. Deren Zahl habe seit dem Beginn der Corona-Pandemie spürbar zugenommen.
Geohrfeigt, vertrieben, verhaftet
Trotz der nächtlichen Ausgangssperre in Mogadischu dürfen sich Journalisten zwar theoretisch frei bewegen, weil die Regierung ihre Rolle als „essentiell“ anerkannt hat, aber die Praxis sei oft eine andere, beklagt Hussein. „In Somalia gab es einige Fälle, in denen Journalisten nur wegen ihrer Berichterstattung über Covid-19 gewalttätig angegriffen wurden.“ Die Polizisten hätten offenbar den Eindruck, bei der Durchsetzung der Sicherheitsauflagen freie Hand zu haben – auch gegenüber Journalisten. „Sie werden geohrfeigt, mit Stöcken geschlagen, an Interviews gehindert, und ihnen wird immer wieder der Zutritt zu Orten verwehrt, von denen sie berichten möchten.“
Kein Zugang zu Informationen
Ein weiteres Problem sieht Hussein darin, dass die Regierung der Presse den Zugang zu Informationen über die Pandemie verweigere. Die offiziellen Infektionszahlen sind relativ niedrig, bis Sonntagabend hat Somalia knapp 1600 Infektionen gemeldet und 61 Tote im Zusammenhang mit dem Virus. Allerdings wird kaum getestet, vermutlich spiegeln die Zahlen nicht das reale Infektionsgeschehen. „Die Autoritäten habe keine Ahnung von ihrer Informationspflicht. Sie verstehen die Rolle der Medien nicht, begreifen Journalisten als Feinde.“ Die Lage der Journalisten in Somalia beunruhigt auch Laetitia Bader von der internationalen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. „Die somalischen Autoritäten müssen aufhören, Journalisten in einer Zeit zu verhaften und zu bedrohen, in denen die somalische Gesellschaft auf Informationen besonders angewiesen ist“, fordert Bader.
Übergriffe auch in Kenia
Auch in Kenia werden Journalistinnen und Journalisten von Polizisten und Vertreter der Regierung eingeschüchtert, bedroht und physisch angegriffen, wenn sie über die Corona-Pandemie und Maßnahmen dagegen berichtet, beklagt Human Rights Watch.
In Kenia wurde der erste Covid-19 Fall am 13. März bekannt. Seitdem hat die Regierung etliche Maßnahmen verhängt, und die Verbreitung des Virus zu verlangsamen, darunter eine nächtliche Ausgangssperre und eine Maskenpflicht. „Am ersten Tag, an dem die Ausgangssperre galt, war ein Journalist unter den ersten Menschen, die in Mombasa von einem Polizisten angegriffen wurden“, erinnert Churchill Otieno, Präsident des kenianischen Herausgeberverbandes. Peter Wainana, Reporter des kenianischen Fernsehsenders NTV, hatte in der Hafenstadt gefilmt, wie Polizisten schon zwei Stunden vor dem Beginn der Ausgangssperre anfingen, Passanten anzugreifen und zu schlagen.
Polizeigewalt zur Durchsetzung der Ausgangssperre
Zwei Tage später wurde erneut ein Journalist angegriffen, als er Polizisten und Regierungsvertreter dabei filmte, wie sie die Abstandsregeln mit Gewalt bei Händlern durchzusetzen versuchten. Andere Pressevertreter wurden verhaftet, weil sie angeblich die Ausgangssperre nicht respektiert hätten, obwohl sie sich als Journalisten zur Berichterstattung auch nachts frei bewegen durften. Die kenianische Sektion der Organisation „Artikel 19“, die sich für den Schutz der Meinungsfreiheit einsetzt, zählte allein zwischen dem 13. März und Anfang Mai 22 Angriffe auf Journalisten im Zusammenhang mit der Berichterstattung über Covid-19.
Verbesserungen in Kenia
Trotzdem sagt Otieno: „Die Situation in Kenia ist vielleicht etwas besser, als in unseren Nachbarländern.“ Denn Angriffe auf Journalisten hätten zunehmend Konsequenzen. „Gegen die Polizisten werden disziplinarische Maßnahmen verhängt, oder sie werden sogar angeklagt.“ Nach den brutalen Übergriffen am ersten Tag der nächtlichen Ausgangssperre hätten mehrere Journalisten- und Medienverbände mit dem Generalinspekteur der Polizei getroffen. „Der musste sich entschuldigen und versichern, dass die Täter bestraft würden.“ Am nächsten Tag entschuldigte sich sogar Präsident Uhuru Kenyatta bei der Bevölkerung für die exzessive Gewalt der Polizisten. Seitdem habe sich die Lage verbessert. Das bestätigt auch der Journalist und Journalismus-Dozent Henry Maina, der lange Präsident der Organisation „Artikel 19“ in Kenia war.
Fortschritte durch Covid-19?
Maina sieht in einer Hinsicht sogar eine positive Veränderung im Verhalten der Regierung gegenüber der Presse, ausgelöst durch die Corona-Pandemie: Die Regierung gehe relativ transparent mit den Fallzahlen um, veröffentliche jeden Tag die neusten Statistiken und informiere über ihre Maßnahmen gegen die Pandemie. „Dass sich Minister und leitende Regierungsvertreter fast täglich an die Presse wenden, hat es bisher noch nicht gegeben.“ Maina sieht allerdings auch eine Schattenseite: Die Öffentlichkeit habe jetzt einen besseren Zugang zur offiziellen Darstellung der Entwicklungen und Maßnahmen. „Andererseits verführt das die Pressevertreter dazu, bis zum Erbrechen von dieser offiziellen Seite zu berichten.“ Unabhängige Informationen und kritische Nachfragen gebe es kaum. „Denn jeder, der die Maßnahmen der Regierung kritisieren oder hinterfragen würde, könnte leicht als unverantwortlich und unpatriotisch gebrandmarkt werden.“
Wirtschaftskrise trifft Medienunternehmen
Die größte Gefahr für die kenianische Presse infolge der Corona-Krise sehen Maina und Otieno aber woanders: in den wirtschaftlichen Folgen. “Die Pandemie hat Schwächen zu Tage gebracht und akzentuiert, die zum Teil schon seit Jahren bestehen”, meint Otieno. Die größten kenianischen Medienhäuser hätten in den vergangenen fünf Jahren ein Viertel ihrer Wirtschaftlichkeit eingebüßt. „Und ich bin mir sicher, dass ihre Wirtschaftsleistung infolge der Corona-Krise nochmal um die Hälfte oder mehr abgenommen hat.“ Wie in Deutschland auch, sind die Erlöse aus Anzeigen eingebrochen, auch der Verkauf ist zurückgegangen. Wegen der Bewegungsbeschränkungen sind in den Städten viel weniger Menschen unterwegs, die Zeitungen werden aber vor allem auf den Straßen verkauft. Hinzu kommt, dass auch die Kenianerinnen und Kenianer wegen der Wirtschaftskrise durch Covid-19 deutlich weniger Geld haben und womöglich am Kauf der Zeitung sparen.
Lohnkürzungen in Verlagen und Sendern
Infolge der Einnahmeverluste hätten alle Medien die Löhne und Gehälter gekürzt, sagt Herausgeberpräsident Otieno, und zwar je nach Unternehmen zwischen 25 und 50 Prozent durch alle Gehaltsstufen. Für Journalisten am unteren Ende der Gehaltsskala kann das schon existentiell bedrohlich sein: die Gehälter variieren laut Maina zwischen umgerechnet etwa 450 Euro im Monat für Einsteiger und gut 10.000 Euro als Spitzengehalt.
Mediensterben befürchtet
Einige Verlage haben bereits Entlassungen angekündigt, und zwar zum Teil schon vor dem Beginn der Corona-Krise. Der „Standard“, eine der größten Tageszeitungen des Landes, erklärte schon fünf Tage nach dem ersten bekannten Infektionsfall in Kenia, der Verlag werde innerhalb des nächstens Monats 170 von seinen 1500 Angestellten entlassen. Entlassungen auch in anderen Häusern dürften folgen. Otieno geht davon aus, dass einige der kleineren Medienunternehmen die Krise nicht überleben.
Bei aller Härte gehe es aber den Journalisten in Kenia noch vergleichsweise gut, meinen Maina und Otieno. Denn in den Nachbarländern Äthiopien, Uganda, Ruanda und Tansania sei die Lage noch schwieriger, die Pressefreiheit weit stärker eingeschränkt.
Dieser Beitrag wurde gefördert aus Mitteln eines Recherchefonds der Wissenschaftspressekonferenz. Zum Thema „Die Nebenwirkungen von Covid-19 in Afrika“ werden hier in den kommenden Wochen weitere Beiträge erscheinen.