Frauen an der Macht? Schlaglichter auf den Stand der Gleichberechtigung rund um den Globus
Weltweit besetzen Frauen immer mehr Spitzenpositionen. Trotzdem haben sie innerhalb der Gesellschaften nicht unbedingt mehr Macht, viele Länder sind tief gespalten.
Tansania hat eine Präsidentin, in Frankreich und in Italien steht eine Frau an der Spitze der Regierung. In Australien und Indonesien leitet – wie in Deutschland – eine Frau das Außenministerium. Das ist nur eine kleine Auswahl der Frauen, die in ihren Ländern zu Staats- oder Regierungschefinnen gewählt wurden. Was das konkret bedeutet, ist von Land zu Land unterschiedlich. So trägt die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zwar rosa Kostüme, aber „ihr Weltbild ist durchdrungen von der männlich-rassistischen Ideologie ihrer Partei“, wie Weltreporterin Michaela Namuth urteilt. Auch ist nicht jeder hohe Posten mit Macht verbunden: Tunesien-Korrespondentin Sarah Mersch berichtet von der geringen Einflussnahme der dortigen Regierungschefin.
Ob Frauen tatsächlich gleichberechtigt sind, entscheidet sich zudem nicht nur an der Spitze des Staates. Auch die Gesellschaften sind weltweit in Bewegung. In Indien und Irak sind die Frauen in Aufbruchstimmung, aber wie in Kenia ist der Weg noch weit, bis Gleichberechtigung eine Realität ist, und nicht nur in der Verfassung steht. Wie steht um das #womenempowerment rund um den Globus?
Australien: Die Erste
Penny Ying-Yen Wong ist in Australien in vielem die Erste: 2007 wurde die damals 39-Jährige unter Premierminister Kevin Rudd als erste Ministerin für Klimawandel auch zum ersten asiatisch-stämmigen Kabinettsmitglied, berichtet Julica Jungehülsing aus Sydney. Seit 2022 ist sie die erste lesbische Außenministerin Australiens. Dass Wong in Europa bisher eher unbekannt ist, liegt daran, dass sie während ihres ersten Amtsjahres vor allem durch die eigene Region reiste: Kurz war sie zwar auch in Europa, den USA und Japan – deutlich mehr Zeit allerdings widmet die gebürtige Malaysierin ihren Nachbarländern in Südostasien und dem Pazifik. Als sie nach Anthony Albaneses Wahlsieg im Mai 2022 ihren aktuellen Posten übernahm, kritisierte die Labour-Politikerin, die konservative Vorgängerregierung habe den Pazifik sträflich vernachlässigt. Bei ihren Staatsvisiten geht es ums Klima, meist aber auch um Geostrategie: Australien will im Südpazifik wieder ein „wichtiger Partner“ werden und die Länder nicht Chinas Einfluss überlassen.
Indien: G20, Frauenpower und das Patriarchat
Indien entwickele eine Kultur, in der Frauen nicht nur teilnehmen, sondern auch führen könnten, erklärte Staatsminister Jitendra Singh kürzlich. Wie Weltreporterin Antje Stiebitz berichtet, kommentierte er damit die jüngsten Examensergebnisse im öffentlichen Dienst: Zwölf der zwanzig besten Absolvent*innen waren Frauen. Unter dem Schlagwort „Nari Shakti“ – Frauenpower – fördert die indische Regierung seit einigen Jahren verstärkt Frauen.
Auch im Rahmen des G20-Vorsitzes sollen die ökonomische Kraft und das Führungspotential von Frauen verbessert werden. Kritiker beklagen allerdings, dass das Patriarchat in Indien weiter tief verwurzelt bleibe. So liegt der Anteil von Frauen im Oberhaus des Parlaments bei nur zwölf und im Unterhaus bei 15 Prozent. Die indische Präsidentin Draupadi Murmu oder die Finanzministerin Nirmala Sitharaman bewiesen noch lange kein ausbalanciertes Geschlechterverhältnis.
Indonesien: Feministische Außenpolitik auf Abruf
Als erste Frau wurde Retno Marsudi 2015 an die Spitze des indonesischen Außenministeriums berufen und ist damit eine von fünf Frauen im aktuellen Kabinett der Regierung unter Joko Widodo. Zu den Schwerpunkten von Marsudis Politik zählt Indonesien-Korrespondentin Christina Schott die Stärkung der Rolle von Frauen sowie den Schutz der eigenen Bürger*innen auch im Rahmen der Außenpolitik. Einen besonderen Fokus legt Marsudi auf Gleichstellung in ihrer eigenen Behörde: Seit ihrem Amtsantritt hat sich die Anzahl der Mitarbeiterinnen im Außenministerium auf 50 Prozent erhöht, die Zahl der Diplomatinnen stieg auf 35 Prozent.
Während Frauenrechtlerinnen loben, dass die Zahl indonesischer Politikerinnen auch in Parlament und Regionalregierungen gestiegen sei, sehen sie mit Besorgnis mögliche Einschränkung von Frauenrechten durch ein neues Strafgesetzbuch sowie radikal-islamische Bewegungen.
Irak: Aufbruchstimmung am Tigris
Seit dem Einmarsch der Amerikaner und Briten vor zwanzig Jahren mussten die Frauen des Irak eine Achterbahnfahrt durchleben, schreibt Weltreporterin Birgit Svensson. Religiöse Hardliner füllten das Vakuum nach dem Sturz Saddam Husseins und propagierten einen konservativen Islam. Noch extremer waren Terroristen von Al-Qaida und dem „Islamischen Staat“ (IS), die den Alltag der Frauen bis in Einzelheiten hinein durch Vorschriften zu kontrollieren versuchten. Dazu gehörten die Vorschriften, was sie anzuziehen haben, und dass sie nicht ohne Begleitung aus dem Haus gehen durften. Nach dem Ende des IS im Irak spielten die Frauen laut Svensson eine wichtige Rolle in der Protestbewegung, die rund um den Tahrir-Platz in Bagdad monatelang Reformen forderte. Auch wenn die Proteste nach zwei Jahren brutal beendet wurden, gibt es derzeit doch einen Hoffnungsschimmer, dass es jetzt endlich aufwärts geht. Mitten in diesem Aufbruch stehen die Frauen.
Italien: Die eiserne Jungfrau in Rom
Giorgia Meloni ist die erste Ministerpräsidentin Italiens. Aber von Feminismus hält sie wenig, schreibt Italien-Korrespondentin Michaela Namuth. Meloni lässt sich in der männlichen Form als „il presidente“ ansprechen. Ihr Weltbild ist durchdrungen von der männlich-rassistischen Ideologie ihrer Partei, der rechtsnationalistischen „Fratelli d'Italia“. Wie Namuth berichtet erzählt Meloni gerne, dass sie es in der „Fratelli d'Italia“ allein an die Spitze geschafft habe. Und auch, dass Frauennetzwerke überflüssig seien. Dennoch trägt sie gern rosa Kostüme und will, dass italienische Frauen vor ausländischen Männern einen Job bekommen. Explizit gegen Abtreibung äußert sie sich nicht, pocht aber auf ein Recht der Frauen, Kinder zu gebären.
Kenia: Tief gespalten
In Kenia garantiert die Verfassung Gleichberechtigung, in allen öffentlichen Institutionen gilt eine Geschlechterquote: Kein Geschlecht darf mehr als zwei Drittel der Plätze besetzen. Allerdings wird die Genderquote nirgendwo eingehalten, die Gesellschaft ist tief gespalten, schreibt Weltreporterin Bettina Rühl über den Stand der Gleichberechtigung in Kenia. Einerseits gibt es viele extrem erfolgreiche Unternehmerinnen, Wissenschaftlerinnen, Anwältinnen. Andererseits werden Frauen vor allem im ländlichen Kenia viele Rechte verwehrt, sie können im Extremfall kaum über das eigene Leben bestimmen. 96 Prozent der Frauen beackern ein Feld, aber nur sechs Prozent besitzen Land. Genitalverstümmelung ist zwar illegal, aber immer noch weit verbreitet, ebenso sexuelle Gewalt und Teenagerschwangerschaften. Allerdings gibt es auch auf dem Land starke Frauen, die gegen diese Praktiken kämpfen – etwa Silvia Naisunko, Verwaltungschefin der Massai-Gemeinde Morijo.
Tunesien: Nur symbolischer Fortschritt
Internationale Aufmerksamkeit war Najla Bouden 2021 garantiert, als sie zur neuen tunesischen Regierungschefin ernannt wurde: Sie ist die erste Frau in Tunesien und der arabischen Welt auf diesem Posten. Ihre reale Macht ist laut Tunesien-Korrespondentin Sarah Mersch allerdings begrenzt. Es sei zwar immer gut, dass sich die Leute daran gewöhnten, Frauen an der Spitze des Staates zu sehen, sagte die bekannte Frauenrechtlerin Bochra Belhaj Hamida kurz nach der Ernennung von Najla Bouden. Gleichzeitig kritisierte sie, dass die Premierministerin im autoritären System des tunesischen Präsidenten nichts anderes tue, als Ja zu sagen. „Sie hat keinerlei Macht, keine Befugnisse. Das ist ein sehr patriarchales Verhältnis.“ In anderen Bereichen gab es zuletzt Rückschritte: Nach der Revolution von 2011 mussten die Wahllisten in Tunesien abwechselnd mit Frauen und Männern besetzt werden – im letzten Jahr wurde diese Regelung jedoch abgeschafft. Die Folge: Im neuen Parlament sind nur 25 der 161 Abgeordneten weiblich.