Indigene Künstler erobern die Biennale von Venedig: Wer passt sich wem an?

Indigene Künstlerïnnen sind en vogue und immer häufiger auf internationalen Kunstausstellungen zu sehen. Sie bringen neue Stile und Ideen in die Kunstwelt. Doch was passiert, wenn indigene Künstlerïnnen gebeten werden, auf einer der Hochburgen zeitgenössischer Kunst auszustellen?

vom Recherche-Kollektiv Südamerika+Reporterinnen:
10 Minuten
Auf dem Bild ist eine Art „Hölle“ zu sehen, die mythische Wesen und aktuelle Bedrohungen durch Militär und Mafias im amazonischen Regenwald integriert.

Können wir ihre Kunst verstehen und was macht das mit dem westlichen Kunstbegriff? Ein Gespräch mit der Kunstethnologin Natalie Göltenboth und der Yanomami-Forscherin Gabriele Herzog-Schröder über Chancen und Grenzen der künstlerischen Verständigung.

Stranieri Ovunque – Fremde überall – lautet das Motto der 60. Kunstbiennale in Venedig, die noch bis zum 24. November läuft. Der brasilianische Kurator Adriano Pedrosa hat damit die Tore der weltweit wichtigsten Kunstausstellung für Gruppen geöffnet, die in der Kunstwelt unterrepräsentiert sind: Queere Künstlerïnnen, Outsider-Artist (also Kunst von sogenannten Autodidakten und gesellschaftlichen Außenseitern), – und Folklore- und indigenen Künstlerïnnen.

Ein Mann mittleren Alters mit grauen kurzen Haaren steht vor einem in leuchtenden Farben und Mustern bemalten Gebäude
Adriano Pedrosa, Kurator der 60. Biennale Venedig, vor dem Hauptgebäude der Giardini. Es ist mit amazonischen Malereien der Künstlerbewegung MAHKU überzogen.
Ausschnitt des bemalten Giardini-Pavillion mit verschiedenen Fischen in leuchtenden Farben.
Die Künstlerbewegung der Huni Kuin, einer Ethnie aus Amazonien, hat das Hauptgebäude der Giardini mit ihren Mustern und Tierbildern überzogen. Kapewe Pukeni [Brückenalligator], 2024, Installation.
Sieben Reihen von Menschen oder Geistern
Der junge Schamane André Taniki Yanomami übersetzte in den 1970er Jahren zum ersten Mal seine Kosmovision auf Papier und macht damit die Mythen sichtbar. André Taniki Yanomami, Ohne Titel, ca. 1978–81, Farbstift auf Papier, 21 × 29 cm.)
Man sieht eine Reihung von mehreren Zeichnungen des Künstlers Taniki und darunter ein Foto von Claudia Andujar.
Die Fotografin Claudia Andujar sammelte 1977 die ersten Zeichnungen des jungen Schamanen Taniki. Sie begleitete und unterstütze die Yanomami seitdem der erste Goldrausch in den 1980er Jahren das Volk schwer traf. Bis heute geht das Drama des illegalen Bergbaus in ihren Gebieten weiter.
Die Installation im brasilianischen Pavillon mit mehreren Stationen zeigt das Zusammentreffen von traditionellem Wissen und moderner Kunst
Installation Ka’a puera, Wir sind Vögel, die gehen. Die Installation des brasilianischen Pavillons macht auf die Menschenrechtsverletzungen und den Landraub an den Indigenen aufmerksam und zeigt gleichzeitig deren Kampf auch auf künstlerischem Weg.
Indigene Frau mit Federschmuck steht neben einem aus roten und schwarzen Federn bestückten Umhang
Die Künstlerin Gliceria Tupinamba vor einem neu erschaffenen Federmantel nach alten Vorbildern, die in europäischen Museen lagern. Die Tupinamba galten als ausgestorben und kämpfen für die „retomada“, die Neubesetzung ihrer alten Territorien. Pavilion of BRAZIL.
Vor schwarzem Hintergrund staken mythische Mischwesen über die grünen Köpfe von ermordeten indigenen Aktivisten
Rember Yahuarcani, Das Territorium der Großväter, 2023, Acryl auf Leinwand. In seinem monumentalen Werk, klagt Rember Yahuarcani, einem modernen Hieronymus Bosch gleich, die Morde an indigenen Aktivist*innen an. Das Bild ist mit folgender Inschrift versehen: „Von 2013 bis 2023 wurden 32 indigene Führerinnen und Führer ermordet, die ihre Territorien gegen die Invasoren, die Drogenhändler und Holzmafias verteidigten. Sie gehören den Ethnien Kichwa, Kakataibo, Ashianinka, Kukama, Yanesha und Nomatisguenka an. Einige der Hinterbliebenen suchen nach neun Jahren immer noch Gerechtigkeit. Amazonien ist der gefährlichste Ort für indigene Bürger*innen.“
Das Bild zeigt den rosa Delfin, halb Mensch, halb TIer wie er als Verführer auftritt und die reiche mit fremden Wesen bevölkerte Unterwasserwelt.
Santiago Yahuarcani zeigt die mythische Unterwasserwelt, die dominiert ist vom verzauberten rosa Delfin. Dieser Don Juán der Unterwelt, der deutlich als westlicher Besucher mit Melone, Zigarre und Taschenuhr zu erkennen ist, entführt die Mädchen in die Fluten. Schwangerschaften ohne Vater werden in Amazonien dem Delfin zugerechnet. (El Mundo del Agua, 2024, natürliche Pigmente und Acryl auf Rindenbast (llanchama), 283 × 671 cm).
Ein Vogelwesen mit Beinen aus Blättern stakst aus dem Wasser
Rember Yahuarcani, Diese anderen Welten, Ausschnitt. Biennale Venedig 2024