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Steinmeier besucht Schauplatz von Maji-Maji-Krieg: Wird es eine historische Entschuldigung geben?
Hohe Erwartungen: Bundespräsident Steinmeier vor historischem Besuch in Songea
300.000 Tote im Maji-Maji-Krieg, menschliche Gebeine in deutschen Sammlungen und deutsche Museen voller Raubkunst. Wird Steinmeier eine Entschuldigung aussprechen?
Der Maji-Maji-Krieg war ein grausamer deutscher Kolonialkrieg im Süden des heutigen Tansanias. Bundespräsident Steinmeier reist heute an einen bedeutenden Erinnerungsort und wird Nachfahren von Opfern treffen. Wird es nach fast 120 Jahren eine Entschuldigung geben?
Heute wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Stadt Songea im Süden Tansanias besuchen. Die Reise ist historisch. Songea war ein zentraler Ort des Maji-Maji-Krieges während der deutschen Kolonialzeit. Von 1905 bis 1907 starben in diesem Kolonialkrieg und der darauffolgenden Hungersnot Schätzungen zufolge bis zu 300.000 Menschen. Mit Steinmeiers Besuch werden viele Erwartungen verbunden. Manche Beobachter:innen rechnen mit einer offiziellen Entschuldigung des deutschen Staatsoberhaupts.
Benannt ist die Stadt Songea nach Songea Mbano. Er war ein lokaler Anführer der Wangoni und wurde im Maji-Maji-Krieg von den Deutschen hingerichtet. DieNachfahren suchen noch immer nach seinem Haupt. Der Schädel war für sogenannte „Rasseforschung“ nach Deutschland gebracht worden. Er wird in der Sammlung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz vermutet. Im April 2023 war John Mbano, ein Nachfahre von Songea Mbano, in Berlin und hat DNA zum Abgleich abgegeben. Das Ergebnis ist noch nicht bekannt.
Präsident Steinmeier wird auf dem Anwesen des Maji-Maji War Memorial Museums das Grab von Songea Mbano und das Massengrab von weiteren Getöteten besuchen. Außerdem trifft er sich mit Nachfahren der damaligen Opfer. Im Anschluss könnten historische Worte folgen. Der Bundespräsident könnte im Namen Deutschlands um Entschuldigung bitten.
Die Erwartungen hat auch Steinmeier selbst erhöht, als er am 19. September 2023 bei der Eröffnung des Deutschen Historikertages in Leipzig in einer viel beachteten Rede sagte: „Wir müssen uns auch fragen, auf wessen Schultern große Teile der westlichen Moderne errichtet wurden und zu welchem Preis. Natürlich richtet sich diese Frage nicht nur an uns. Aber bei meinen Reisen in afrikanische Länder, aber auch in andere Länder des globalen Südens habe ich immer wieder erlebt, wie wichtig es dort ist, dass wir Europäer bei diesem Thema bereit sind zu einem selbstkritischen Umgang mit unserer Geschichte und auch offen dafür sind, uns mit unserer Verantwortung für den Kolonialismus auseinanderzusetzen.“
Schließlich ging der Bundespräsident sogar konkret auf die Reise nach Tansania ein: „Und ich bin ganz sicher: In wenigen Wochen fliege ich nach Tansania, und auch dort wird mich das Thema wieder erreichen. Ausweichen können wir diesen Fragen nicht, weil […] all diese Fragen auch längst unsere Debatten hier prägen. Wenn wir, gerade im globalen Süden, glaubwürdig unsere Werte vertreten und für sie werben wollen, dann können wir uns beim selbstkritischen Umgang mit unserer Geschichte keine weißen Flecken leisten.“
Mit Spannung werden nun Steinmeiers Worte in Songea erwartet. Der Besuch des Bundespräsidenten könnte ein wichtiger Schritt werden auf dem Weg, die deutsche Kolonialzeit aufzuarbeiten. In Deutschland ist gerade die eigene Kolonialherrschaft im damaligen Deutsch-Ostafrika weitgehend unbekannt.
Von 1885 bis 1918 war das Festland des heutigen Tansanias Teil der Kolonie Deutsch-Ostafrika. Grausamkeit und Gewalt prägten die Kolonialherrschaft. Die Deutschen vertrieben Menschen von ihrem fruchtbaren Land. Sie führten eine Hüttensteuer ein. Wer die Steuer nicht bezahlen konnte, musste auf den neuen Plantagen Zwangsarbeit leisten. Etablierte Gesellschaftssysteme wurden zerstört. Zwar brachten die Deutschen auch Infrastruktur wie die Eisenbahn. Doch auch das geschah aus Eigennutz: zum Abtransport von Bodenschätzen und landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Die Deutschen beuteten die Kolonie gründlich aus. Viele Menschen verarmten und litten Hunger.
In vielen Teilen des Landes leistete die Bevölkerung Widerstand. Im Maji-Maji-Krieg schlossen sich mehrere ethnische Gruppen im Süden zusammen, um gemeinsam gegen die Kolonialherrschaft zu kämpfen. Motiviert von einem Mythos, wonach es ein Zauberwasser („Maji“ ist Suaheli für Wasser) gäbe, das vor den Kugeln der Deutschen schütze, zogen sie in den Krieg – und fielen in Massen den Waffen der deutschen Truppen zum Opfer. Auch Hinrichtungen gab es viele – nicht nur in Songea. Die Deutschen verfolgten eine Politik der verbrannten Erde. In der Folge gab es eine fürchterliche Hungersnot. Am Ende waren 300.000 Menschen tot.
Alljährlich findet in Songea am 27. Februar die nationale Erinnerungsveranstaltung statt. Es ist der Jahrestag der Hinrichtung von über sechzig Kämpfer:innen. Der Maji-Maji-Krieg ist für die Nation Tansania ein wichtiger Bezugspunkt, auf dem weite Teile des Nation Buildings aufbauen.
Anders als in Deutschland lernt in Tansania jedes Kind die Geschichte der deutschen Kolonialzeit. Vor einem halben Jahr betonte dies der damalige tansanische Botschafter in Deutschland Abdallah Possi: „Mit Abschluss der siebenjährigen Grundschule, im Alter von 13 oder 14 Jahren, kennt jeder die Kolonialzeit. Sobald jemand das Grundschulsystem durchlaufen hat, ist diese Geschichte bekannt.“ Und er fügte hinzu: „Das Einzige, das vermutlich nicht so bekannt ist, selbst ich war geschockt, ist die Zahl der Human Remains und Kulturobjekte, die in dieser Zeit entwendet worden sind. Erst seit kurzem kommen diese Informationen ans Licht.“ Aber – so ergänzt Possi: „Die Gräueltaten, Unterdrückungen und Landnahmen, all die Dinge, die damals begangen worden sind, die sind in der Öffentlichkeit sehr gut bekannt.“
Mehrere Organisationen, darunter Berlin Postkolonial und das Tanzania-Network, ein deutscher Verein, der sich um die deutsch-tansanischen Beziehungen kümmert, haben anlässlich der Steinmeier-Reise gemeinsam mit anderen Organisationen einen Forderungskatalog aufgestellt, der von etlichen Akteur:innen unterzeichnet wurde. Darin heißt es unter anderem, das Wissen über die deutsche Kolonialzeit müsse kritisch reflektiert werden. Außerdem müsse auch hierzulande in den Schulen verpflichtend über Kolonialismus und Rassismus gesprochen werden.
Die zentrale Forderung der Unterzeichnenden formuliert Volker Schauer, Vorstandsvorsitzender von Tanzania-Network: „Dieser Besuch in Songea muss dazu genutzt werden, eine Entschuldigung Deutschlands bei den Nachfahren der Opfer des Maji-Maji-Kriegs auszusprechen. Eine solche Entschuldigung ist unerlässlich für jede gleichberechtigte deutsch-tansanische Zusammenarbeit, sei es auf politischer, institutioneller oder zivilgesellschaftlicher Ebene.“
Der in Tansania geborene Mnyaka Sururu Mboro, Vorstandsmitglied bei Berlin Postkolonial, ergänzt: „Es ist an der Zeit, dass sich Deutschland unmissverständlich zu seiner kolonialgeschichtlichen Verantwortung bekennt und den Worten dann auch Taten folgen lässt. Wir wollen nicht nur unsere entführten Ahnen und Kulturschätze zurück, wir wollen auch eine Entschädigung für das, was unwiederbringlich zerstört worden ist.“
(Aktualisierung, 3. November 2023: Bundespräsident Steinmeier hat am 1. November 2023 bei seinem Besuch in Songea in Tansania um Verzeihung gebeten.)