Zwischen Akzeptanz und Verfolgung: Auf dem ganzen Globus kämpfen LGBTQ um ihre Rechte
Weltweit gehen Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle sowie Queers auf die Straße und feiern. Doch in manchen Regionen werden sie weiterhin scharf verfolgt.
Die Rechte von LGBTQ-Menschen sorgen in vielen Ländern rund um die Welt für Kontroversen. In Kenia und vielen arabischen Ländern werden Homosexuelle stigmatisiert, auch in China ist das Leben für gleichgeschlechtliche Paare schwieriger geworden. Demgegenüber gibt es superliberale Städte, etwa Tel Aviv, wo mehr als ein Drittel der Kinder in Kindergärten gleichgeschlechtliche Eltern haben. Weltreporter*innen haben sich umgeschaut und die Situation von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen sowie Queers in verschiedenen Regionen beobachtet.
Israel/Palästina: Tel Aviv als LGBTQ-Mekka
Während es bei der Gay Pride in Jerusalem oft zu heftigen Protesten und Angriffen durch ultraorthodoxe Juden kommt, sieht es nur 60 Kilometer gen Mittelmeer ganz anders aus: Tel Aviv gilt als LGBTQ-Mekka im Nahen Osten. Ein ganzer Strandabschnitt ist schwul, die besten Partys sowieso, wie Weltreporterin Agnes Fazekas weiß. 35 Prozent der Kinder in den Kindergärten haben homosexuelle Elternpaare. Nur den Palästinenser*innen stößt das mächtig auf: Sie halten die Regenbogenfahne, die so plakativ über Tel Aviv weht, für „Pinkwashing“. Also die Weichspülung von Besatzung und Konflikt unter der Flagge der aufgeschlossenen Weltstadt. In den palästinensischen Gebieten und arabischen Orten in Israel wiederum gibt es meist wenig Akzeptanz. Viele suchen deshalb in Jaffa Zuflucht: Im ehemals arabischen Teil von Tel Aviv hat sich eine eigene palästinensische LGBTQ-Szene entwickelt.
China: LGBTQ-Gemeinde immer mehr unter Druck
Für die chinesische LGBTQ-Gemeinde ist das Leben unter Staatschef Xi Jinping deutlich schwieriger geworden. Das hat der Weltreporter Fabian Kretscher festgestellt. Dabei richte sich die Überwachung und Kontrollwut der Behörden nicht gezielt gegen sexuelle Minderheiten, sondern gegen praktisch alle zivilgesellschaftlichen Gruppen, die sich außerhalb der kommunistischen Partei organisieren. Während der Pandemie habe sich die Zensur noch einmal deutlich verschärft: Die Regierung ließ alle Online-LGBTQ-Gruppen an chinesischen Universitäten schließen. „Für viele Heranwachsende ein Schock, da die gemeinsamen Foren und Chat-Räume der einzige Ort waren, um sich unter Gleichgesinnten auszutauschen und Verständnis zu finden“, so Kretschmer. Zumindest in Shanghai herrsche für LGBT nach wie vor eine relativ freie Atmosphäre, auch wenn die Nischen der Subkultur immer kleiner würden.
USA: Von Meerjungfrauen und Wassermännern
Kalifornien ist Vorreiter unter den US-Bundesstaaten in Sachen LGBTQ. 2008 war Gouverneur Gavin Newsom noch Bürgermeister von San Francisco und als solcher Zeremonienmeister der ersten gleichgeschlechtlichen Eheschließungen in den USA. In diesem Jahr unterschrieb Newsom das erste Gesetz eines US-Bundesstaates zum Schutz von Jugendlichen, die sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterziehen möchten – eine Reaktion auf Bundesstaaten wie Alabama, Arkansas und Alabama, die solche Operationen verbieten. Ein immer beliebterer Trend in Kaliforniens LGBTQ-Gemeinde ist das Wasser: Als Meerjungfrauen, Sirenen, Wassermänner oder Meer-Volk bewegen sie sich außerhalb traditioneller Geschlechterzuordnungen. Weltreporterin Kerstin Zilm hat nachgeforscht, wie aus einem Nischenkult eine lukrative Subkultur wurde und mit Schwanzflosse im Pool ihre eigenen Meerjungfrauen-Talente getestet.
Kenia: Scheinbare Liberalität
Angst ist für viele Homosexuelle in Kenia ein alltägliches Gefühl: Angst vor einem Angriff auf der Straße, vor Übergriffen der Polizei, vor strafrechtlicher Verfolgung. In der kenianischen Gesellschaft ist Homosexualität tabuisiert, homosexuelle Handlungen zwischen Männern können mit bis zu 14 Jahren Freiheitsentzug bestraft werden. Allerdings kam es in den vergangenen Jahren nach Informationen der Weltreporterin Bettina Rühl nicht zu strafrechtlichen Verurteilungen. Trotz des Verbots gilt Kenia als vergleichsweise liberal: Es ist das einzige Land in der Region, in dem Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Asyl beantragen können. Sicher fühlen sich LGBTQ-Menschen aber auch dort nicht, und das gilt auch für Flüchtlinge, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Asyl bekommen haben. Sie fühlen sich bedroht und verfolgt und fordern immer wieder besseren Schutz.
Frankreich: Kaum eine Modenschau ohne LGBTQ
„Die Modebranche war schon immer eine Industrie, die sehr offen mit Homosexualität umgegangen ist“, erklärt die Weltreporterin Barbara Markert. Viele berühmte Modedesigner*innen seien schwul oder lesbisch – wie John Galliano, Jeremy Scott, Giorgio Armani, Jenna Lyons und viele andere. Jedoch hätten die jüngsten Modeschauen in Paris gezeigt, dass die Designer nicht bei der Homosexualität aufhören, sondern offen seien für viele andere Formen der Queer-Bewegung: Noch nie seien so viele Transsexuelle in der ersten Reihe oder präsentierten Kollektionsmodelle auf dem Laufsteg gesessen, hat Markert beobachtet. „Nachdem die Branche jahrelang Vorwürfen ausgesetzt war, vor allem schwarze Models zu benachteiligen, ist sie seit einigen Jahren bemüht, Diversität zu beweisen.“ Die Integration der LGBTQ-Vertreter*innen sei als Teil dieser Bemühungen zu werten.
Indonesien: Neues Strafgesetzbuch kriminalisiert gleichgeschlechtlichen Sex
Das indonesische Parlament hat Ende 2022 ein neues Strafgesetzbuch verabschiedet, nach dem außerehelicher Sex strafbar ist. Indirekt werden damit auch alle Angehörigen der LGBTQ-Community kriminalisiert, denn gleichgeschlechtliche Paare dürfen in Indonesien nicht heiraten. Weltreporterin Christina Schott hat die Entwicklung verfolgt. Zum ersten Mal in der Geschichte Indonesiens ist damit einvernehmlicher Sex zwischen gleichgeschlechtlichen Erwachsenen gesetzlich verboten. Für LGBTQ-Aktivist*innen, die seit Jahrzehnten für mehr Rechte kämpfen, ist das ein herber Rückschlag. Obwohl in mehreren Kulturen Indonesiens das „dritte Geschlecht“ traditionell eine wichtige Rolle spielte, sind LGBTQ-Personen zunehmender Diskriminierung ausgesetzt. Zugleich preisen Ärzte und Medien Konversionstherapien an, um Homosexuelle von ihrer „Krankheit“ zu „heilen“
Brasilien: Wahlerfolg für LGTBQ
Bei den Wahlen 2022 wählten die Brasilianer*innen 19 LGTBQ-Personen: Homosexuelle, Trans- und nicht binäre Personen zogen als nationale und regionale Abgeordnete im Januar ins nationale und regionale Parlamente ein. Mehr als 350 Kandidat*innen hätten sich selbst als LGTBQ geoutet, informiert Weltreporterin Christine Wollowski. Die LGTBQ-Gemeinschaft Brasiliens zähle 19 Millionen Menschen, seit 26 Jahren finde in Sao Paulo die größte Gay Pride Parade der Welt statt, zu der zuletzt 1, 6 Millionen Menschen angereist seien. Der Wahlerfolg strahle gerade zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine besondere Symbolkraft aus: In den vergangenen vier Jahren polemisierte der ultrarechte Präsident Jair Bolsonaro massiv gegen LGTBQ-Personen, weil sie angeblich „der Familie schadeten“. 2022 wurden 33 Prozent mehr LGBTQ-Personen ermordet als im Vorjahr, darunter vor allem homosexuelle Männer, Transvestiten und Trans-Frauen.
Tunesien: Sieg vor Gericht, aber keine Gesetzesänderung
Es ist ein kleiner Sieg für die LGBTQ-Gemeinschaft in Tunesien: Gut sieben Jahre nach Prozessbeginn hat das Kassationsgericht im zentraltunesischen Kairouan im Januar den Prozess gegen einen queeren Aktivisten wegen eines Verfahrensfehlers eingestellt. Zusammen mit fünf anderen jungen Männern, damals alle Studenten, war er im Winter 2015 festgenommen worden. Der Fall sorgte für besonderes Aufsehen, da die Angeklagten in erster Instanz nicht nur zu drei Jahren Haft verurteilt, sondern auch für fünf Jahre aus der Stadt verbannt worden waren – die maximale Strafe für Homosexualität, die auf ein Gesetz aus der französischen Kolonialzeit zurückgeht, so Weltreporterin Sarah Mersch. Während die fünf anderen Männer im Ausland Asyl erhalten haben, lebt der jetzt Freigesprochene noch in Tunesien. Homosexualität steht dort nach wie vor unter Strafe.
Spanien: Knatsch um das neue Trans-Gesetz
Spanien gilt als Vorreiter bei LGBTQ-Rechten. In dem katholisch geprägten Land dürfen gleichgeschlechtliche Paare bereits seit 2005 heiraten und Kinder adoptieren. Barcelona und Madrid zählen laut Pew Research Center zu den schwulenfreundlichsten Metropolen der Welt, erklärt Weltreporterin Julia Macher. Für den jüngsten Vorstoß der Linkskoalition gab es allerdings heftige Kritik: Laut dem Ende 2022 verabschiedeten Trans-Gesetz können Menschen ab 16 Jahren selbst über ihre geschlechtliche Identität entscheiden und den entsprechenden Eintrag im Personenregister ändern – ohne ärztliches oder psychologisches Gutachten. Bisher war neben Gutachten auch eine Hormonbehandlung notwendig. Manche spanischen Feministinnen fürchten, die unbürokratische Regelung könnte die Rechte „biologischer Frauen“ schwächen.
Naher Osten: Queer ist ein absolutes Tabu
„Homosexuelle und queere Menschen werden im Nahen und Mittleren Osten stigmatisiert wie niemand sonst“, sagt die Weltreporterin Birgit Svensson aus Bagdad. Das sei fast überall der Fall, mit Ausnahme des Libanon, des liberalsten unter den arabischen Ländern. Doch selbst dort erhöhe die schiitische Hisbollah den Druck auf die Regierung, Homosexualität zu ahnden. In Ägypten habe die Polizei kürzlich sogenannte Dating Apps durchsucht, um gegen LGBTQ vorzugehen – obwohl es dort kein Gesetz gegen Homosexualität gebe. Recherchen der BBC hätten ergeben, dass die Straftat „Ausschweifungen“ dazu benutzt werde, um Schwule, Lesben und Transsexuelle zu kriminalisieren. „Auch im Irak werden Homosexuelle verfolgt“, betont Svensson. So seien vor einigen Jahren über 90 sogenannte Emos, Anhänger einer Jugendbewegung, die als schwul oder lesbisch galten, auf offener Straße brutal erschlagen worden – mit Zementblöcken, Ziegelsteinen und Hämmern.
Südafrika: Gesetze allein schützen nicht
Südafrika gehört zu den Ländern, in denen LGBTQ-Rechte schon vergleichsweise früh gesetzlich verankert wurden. So waren etwa gleichgeschlechtliche Hochzeiten schon ein gutes Jahrzehnt vor Deutschland möglich. Im Gegensatz zu vielen anderen afrikanischen Staaten muss die LGBTQ-Gemeinschaft in Südafrika keine Strafverfolgung befürchten, erklärt Weltreporterin Leonie March. Alle Bürger haben unabhängig von Gender-Identität oder sexueller Orientierung dieselben Rechte. Dazu kommen Antidiskriminierungsgesetze. Trotzdem gibt es im Alltag immer wieder Anfeindungen und Diskriminierung, Vergewaltigungen und Morde. Die gesellschaftliche Anerkennung hinkt der rechtlichen hinterher, religiöse und kulturelle Stigmata bestehen weiter. Aktivist*innen aus Sport und Kunst wie Caster Semenya oder Zanele Muholi nutzen ihre Prominenz, um auf diese Missstände hinzuweisen.