Warum durch den Ukraine-Krieg in den USA der Kalte Krieg neue Relevanz bekommt
Menschen in den USA stellen in diesen Tagen überrascht fest, dass der Kalte Krieg nicht mehr nur ein Thema für Geschichtsbücher ist. In Kalifornien, wo viele Menschen Wurzeln in Europa haben, bringt der Ukraine-Krieg schlimme Erinnerungen wieder hoch.
Ich sitze mit meiner Freundin in ihrem Wohnzimmer auf der Couch. Wir blättern durch ein altes Fotoalbum. Die Aufnahmen darin sind schwarz-weiß und aus Dresden, wo Angela 1941 geboren wurde. Sie zeigen die Stadt vor der Zerstörung durch Bomben der Alliierten und Angela als Baby und Kleinkind – im Park, auf der Straße und zu Hause.
Das Lächeln auf ihrem Gesicht verschwindet, als unser Gespräch zur Lage in der Ukraine wechselt. Die aktuellen Nachrichten von Familien, die in Kellern und improvisierten Luftschutzbunkern Zuflucht suchen, erinnern sie an den Februar 1945. Sie war damals drei Jahre alt. „Wenn die Sirenen losgingen, mussten wir alle in die Keller flüchten. Wir haben da Kohle, Kartoffeln und Kohl für den Winter gelagert. Die Keller waren nicht dafür gemacht, uns vor Bomben zu schützen.“
Ich dachte, so etwas würde nie wieder geschehen
Sie sorgt sich vor allem um die Kinder in der Ukraine, die zuschauen müssen, wie ihre Städte bombardiert werden, hungrig und frierend zuhören, wie ihre verängstigten Eltern nach einem Ausweg aus dem Horror suchen. Diese Kinder seien für den Rest ihres Lebens gezeichnet, sagt Angela und dass sie noch immer alles beschreiben kann, was sie in der Nacht der Bombardierung erlebt hat. „Die Kinder in der Ukraine werden sich auch an alles erinnern. Das hört niemals auf.“
Angela rannte mit ihrer Großmutter und ihrer Mutter, die den Kinderwagen mit der jungen Schwester schob, durch den Feuersturm in den Park oberhalb von Dresden. Von dort sah sie die Stadt in Flammen aufgehen. Sie hat mir davon schon ein paar mal erzählt, und sogar in einem Buch darüber geschrieben. Jetzt kommen ihr die Tränen. Es fällt ihr schwerer als je zuvor, von der Nacht zu erzählen. „Ich glaube, das ist, weil etwas so Ähnliches in der Ukraine passiert. Ich dachte, so etwas würde nie wieder geschehen.“
Ich fahre von Angela Thompson zum Wende Museum, um dort Justin Jampol zu treffen, den Gründer und Direktor des Museums in Los Angeles. Es ist ein historisches Archiv des Kalten Krieges mit tausenden von Artefakten, Dokumenten, Filmen und Alltagsgegenständen aus ehemaligen Staaten der Sowjet Union, der USA und deren jeweiligen Verbündeten. Jampol hat das Museum vor gut zwanzig Jahren eröffnet. Ich kam fast zur gleichen Zeit nach Los Angeles, und habe seither oft darüber berichtet. Ich kann mich erinnern, dass Justin oft rechtfertigen musste, wozu eine solche Forschungsstätte gut sein solle. Alles, was mit der Sowjetunion zu tun hatte, schien lange überholt zu sein. Durch den Krieg in der Ukraine hat der Kalte Krieg nun wieder viel mit der Gegenwart zu tun.
Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten sind direkt von den Ereignissen betroffen
Die Besucherzahlen des Museums sind seit Kriegsbeginn in die Höhe geschnellt. Jampol findet sich plötzlich in spontanen Gesprächen und Diskussionen mit den Besuchenden. „Das ist ungewöhnlich. Das gab es so vorher nicht.“ Fast jede Show im Museum zeigt Kunst aus der Ukraine. Erst im März kamen ein paar Kisten mit Artefakten aus dem Land in Kalifornien an, erzählt Jampol. „Das war wahrscheinlich eine der letzten Lieferungen, die noch vor dem Kriegsausbruch an uns geschickt wurde. Es ist für uns auch eine Erinnerung daran, dass Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten direkt von den Ereignissen betroffen sind.“
Das Museum hat sein Programm an die aktuellen Ereignisse angepasst. Eine Serie von Diskussionen mit Studierenden unter dem Titel „In Search of Truth“ – Auf der Suche nach Wahrheit – beispielsweise hat die jüngste Ausgabe kurzfristig verändert. Anstatt um Wahrheit und Kunst ging es um Wahrheit und Krieg. Das Thema ist für Emma Larson, eine der Studentinnen des Programms, kein theoretisches Konzept mehr. Die 23-Jährige hat einen Uniabschluss in Geschichte und Russisch. Sie hat mehrere Monate in Sankt Petersburg studiert und gibt Schülerinnen und Schülern dort weiterhin Online-Englischunterricht.
Einer von ihnen erzählte ihr vor Kurzem, dass es keinen Ukraine-Krieg gebe, sondern eine “militärische Befreiungsaktion”, um Unterdrückte dort zu befreien. Intellektuell sei sie auf eine Eskalation des Konflikts zwischen den Nachbarstaaten vorbereitet gewesen, sagt Emma. „Emotional war ich aber nicht vorbereitet. Ich bin seit mehr als zehn Jahren in das Land verliebt. Ich spreche fließend Russisch. Ich habe russische Bücher gelesen. Ich habe russische Musik auf meinem Cello gespielt. Und nun begeht dieses Land, das ich so lange geliebt habe, diese schrecklichen Verbrechen. Wie gehe ich damit um?“
Auch der Direktor des Wende Museums überdenkt seine Beziehung zu der Region. Vor der Invasion war Justin Jampol vor allem an Geschichten über den Kalten Krieg interessiert, die andere erzählten. Jetzt möchte er mehr über seine eigenen Vorfahren erfahren, die Anfang des 20. Jahrhunderts vor russischen Pogromen aus der Ukraine in die USA flohen. Sie kamen aus einem Dorf an der Grenze zu Moldawien, das seinen Namen trägt: Yampol. Er hat es Online gesucht und seinen Namen auf vielen Gebäuden gesehen. „Das sind wahrscheinlich dieselben Straßen, auf denen meine Urgroßeltern unterwegs waren.“ Er fürchtet das schlimmste für den Ort, der, 10.000 Kilometer von Los Angeles entfernt, nördlich von Odessa liegt. Russland hat auf der anderen Seite des Flusses seine Truppen verstärkt, und die Bewohner*innen bereiten sich darauf vor, im Feuer einer neuen Kriegsfront zu stehen.