Frauenbewegung für das Patriarchat

Muslimische Predigerinnen in Niger

vom Recherche-Kollektiv Weltreporter:
6 Minuten
Malama Sakına trägt einen rosafarbenen Ganzkörperschleier. Im Hintergrund die Sitzgelegenheiten auf der Veranda ihres Hauses.

Im westafrikanischen Niger haben muslimische Predigerinnen in den vergangenen Jahren neue öffentliche Räume für Frauen erobert. In vielen Radio- und Fernsehsendungen predigen jetzt nicht Männer, sondern Frauen, so genannte Malamas. Es wäre allerdings ein Trugschluss, in dieser Bewegung eine Spielart westlich geprägter Frauenbewegung zu sehen. 

Auf dem Bildschirm erscheint Hajiya Bilkisu Abubakar Sambo. Die Moderatorin des Fernsehsenders „Sunna TV“ ist in ein weites graues Gewand gehüllt, das auch jede Haarlocke bedeckt. Im Hintergrund des Fernsehstudios ist eine mit Ornamenten reich geschmückten Kulisse aufgebaut, die an eine Moschee erinnert. Als Gast im Studio begrüßt die Moderatorin eine weitere Frau, eine Predigerin oder „Malama“, wie es in der Landessprache Haussa heißt. Das Thema der Sendung: wie es möglich ist, einander in der Ehe zu unterstützen und friedlich zusammen zu leben. Ein solches öffentlich ausgestrahltes Gespräch unter Frauen wäre noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen. Aber in den vergangenen zehn bis 15 Jahren hat die Zahl der Radio- und Fernsehpredigerinnen drastisch zugenommen. 

Ein Porträt von Malama Sabina, sie trägt einen rosafarbenen Ganzkörperschleier.
Viele gläubige Frauen suchen Rat bei der 45jährigen Malama Sakına.

Eine der Frauen, die jetzt gesellschaftlich sehr präsent sind, ist Malama Sakina. Gerade klingelt wieder einmal ihr Handy. Die 45-Jährige entschuldigt sich für die erneute Unterbrechung des Gesprächs und nimmt den Anruf an. Die Anruferin möchte vorbeikommen, Sakina beschreibt ihr den Weg zu ihrem Haus in einem der besseren Wohnviertel von Niamey, der Hauptstadt von Niger. „Sie sucht Rat wegen ihrer Ehe“, erklärt die Islamwissenschaftlerin und Arabischlehrerin, nachdem sie ihr Smartphone zur Seite gelegt hat. Die vielen Anrufe, die sie innerhalb einer Stunde bekommt, zeigen, wie präsent Sakina in der Öffentlichkeit ist. Das liegt vor allem an ihren Predigten in Radio und Fernsehen.

Der mittelalter Sounaye sitzt in einem Straßencafé im Berlin, er hat ein freundliches und offenes Gesicht. Im den Glasscheiben des Cafés spiegelt sich die Straße.
Der nigrische Wissenschaftler Abdoulaye Sounaye forscht am Leibniz Zentrum Moderner Orient Berlin.

Dass Frauen öffentlich predigen, ist in dem westafrikanischen Land ein relativ neues Phänomen, sagt Abdoulaye Sounaye. Der nigrische Wissenschaftler forscht am Leibniz Zentrum Moderner Orient in Berlin. Seiner Beobachtung nach steigt die Zahl der „Malama“ oder Predigerinnen seit etwa 15 Jahren in den elektronischen Medien rapide. „Die Frauen werden derzeit durch religiöse Organisationen und religiöse Aktivitäten gestärkt.“ Sie hätten eine neue gesellschaftliche Präsenz, neue gesellschaftliche Räume erobert.

Malama Sakina lehrt und predigt regelmäßig in einer „Makaranta“ – einer Koranschule für Frauen -, die sie 2014 gegründet hat. Davor hatte sie in der sudanesischen Hauptstadt Khartum studiert. „Als ich mit dem Abschluss in der Tasche zurückkam, habe ich mir gesagt: Ich bin jetzt dazu ausgebildet, Erwachsenen Arabisch beizubringen. Hier in Niger bin ich mit diesem Wissen genau am richtigen Ort – warum also nicht?“ Aus dem Arabischunterricht mit dem Koran als „Schulbuch“ entwickelte sich der Islamunterricht, daraus das Predigen.

Der Ehemann kontrolliert

Bald bekam Malama Sakina Sendezeit im Radio, dann auch im Fernsehen. Thema ist alles, was mit Frauen, Kindererziehung und dem Verhalten gegenüber dem Ehemann zu tun hat. Noch immer bleibt es nicht unwidersprochen, wenn Predigerinnen im Fernsehen auftreten. Aber das sei kein Vergleich zum Widerstand, den es anfangs gegen sie gab, erinnert sich die Frau im altrosa Ganzkörperschleier, der ihr freundliches Gesicht freilässt. Auch ihr eigener Mann, ein Unternehmer, habe aus Eifersucht regelrechte Dramen veranstaltet, räumt Malama Sakina ein. Er schimpfte, bei ihren Fernseh-und Radioauftritten sei ihre Stimme auch für fremde Männer hörbar, sie werde durch die Sendungen zu einer bekannten Persönlichkeit, habe sicher schon etlichen Männern ihre Telefonnummer gegeben. Einmal sei ihr Mann sogar mit ins Fernsehstudio gekommen um sich zu vergewissern, dass alles mit rechten Dingen zuging. Seitdem sei er einigermaßen beruhigt und lasse sie gewähren. 

Klage über vermeintlichen "Sittenverfall"

Wer vom Widerstand der Männer hört könnte meinen, die nigrischen Frauen hätten Emanzipation und Revolte gepredigt. Das Gegenteil ist der Fall. „Wir haben uns umgeschaut und überall den Verfall der Sitten gesehen“, sagt Malama Sakina über ihre Motivation, mit dem Predigen zu beginnen. „Daraufhin haben wir uns gesagt: Die Rolle der Frau ist es, Mutter zu sein. Wir müssen den Mund aufmachen und das verbreiten. Das hat uns den Mut gegeben, weiter zu predigen.“ 

Das Lebensziel: Die Einkehr ins Paradies

Das Frauenbild von Malama Sakina und den übrigen Predigerinnen entspricht ihrem Verständnis nach buchstabengetreu dem Koran. Ihr Ziel ist also nicht mehr Freiheit für die Frauen, sondern die Rückkehr zum muslimischen Rollenverständnis. Der massive gesellschaftliche Druck habe bei ihnen immer wieder Zweifel an ihrem eigenen Koranverständnis ausgelöst: War es wirklich richtig, dass Frauen durchaus das Haus verlassen, sogar arbeiten dürfen – wenn sie die Pflichten gegenüber Ehemann und Kindern nicht vernachlässigen? Die Frauen, die Sakinas Rat suchen, wollen vor allem eins: ins Paradies kommen. Von Sakina möchten sie wissen, wie sie sich selbst in schwierigen Situationen entsprechend dem Koran verhalten können, um ihr Seelenheil nicht zu gefährden. Um Autonomie und Selbstbestimmung geht es ihnen nicht.

"Die ersten, die das Protokoll von Maputo angefochten haben, waren islamische Frauenorganisationen." Abdoulaye Sounaye, Leibniz Zentrum Moderner Orient.

Die nigrische Frauenbewegung hat einen gesellschaftlichen Kontext: Den Salafismus, eine ultrakonservative Strömung des Islams, ist in einigen westafrikanischen Staaten auf dem Vormarsch. Sein Ziel ist die geistige Rückbesinnung auf die Wurzeln des Islams, die Rückkehr zum vermeintlich muslimischen Rollenverständnis. Weil einige wenige Salafisten gewaltbereit sind, ist die gesamte Strömung vor allem im Westen praktisch mit Gewalttätigkeit gleich gesetzt worden – so Unrecht, der Salafismus ist grundsätzlich friedlich, aber eben extrem konservativ. Immer wieder betonen die Predigerinnen, dass sie nicht über Politik sprechen, nicht über die Sphäre, die sie als Reich der Männer verstehen. Islamforscher Sounaye erkennt in ihrer Bewegung trotzdem etwas Politisches. Er erinnert an die Reaktion auf das Protokoll von Maputo, das Frauen in Afrika mehr Rechte in der Öffentlichkeit und in der Politik einräumen sollte und 2005 in Kraft trat. „Die ersten, die das Protokoll von Maputo anfochten, waren islamische Frauenorganisationen“, sagt Sounaye. Ähnlich sei es 2012 gewesen, als die Regierung von Niger beschloss, einen Gesetzesentwurf zur Förderung der Schulbildung von Mädchen vorzulegen. „Dagegen leisteten islamische Frauenorganisationen entschlossenen Widerstand.“

Mitleid mit westlichen Frauen

Eine der Anführerinnen dieser Bewegung war dem Wissenschaftler zufolge Malama Houda. Die Arabischlehrerin war vor 25 Jahren eine der ersten, die Sendezeit im Radio bekam. „Der Koran ist seit Jahrhunderten unverändert gültig“, erklärt die 65-Jährige. Das Rollenverständnis westlicher Frauen lehnt sie ab – nicht nur, weil es ihrem Auslegung nach dem Koran widerspricht. Bei Besuchen in den USA und in Kanada habe sie den Eindruck gehabt, dass die Frauen dort „wie die Roboter“ arbeiten müssten. Muslimische Frauen hingegen seien wie Prinzessinnen, da der Mann sich um alles zu kümmern habe.

Der Lehmbau einer Moschee, im Vordergrund ein Mann mit Handkarren, darauf unterschiedliche Waren. Die Straße ist ungepflastert.
Moscheen sind in Niger im öffentlichen Straßenbild sehr präsent.

Die nigrischen Predigerinnen orientieren sich an lange Vergangenem. Dabei wurde die neue gesellschaftliche Sichtbarkeit der Frauen nur durch die technische Entwicklung ermöglicht, nämlich die elektronischen Medien. Und durch die Privatisierung der Medien in den 90er Jahren. Bis dahin waren Malama Huda und einige andere frühere Predigerinnen zwar schon vereinzelt in den wenigen staatlichen Sendern aufgetaucht, doch der eigentliche Boom begann mit dem Aufkommen der vielen privaten Sender, von denen sich viele auf religiöse Fragen spezialiseren. Während staatliche Medien auf weltliche Themen und Nachrichten fokussieren, ohne religiöse Themen auszusparen. Abdoulaye Sounaye vom Berliner Leibniz-Zentrum moderner Orient beobachtet ein Paradox: „Die Predigten dieser Frauen verstärken das Patriarchat.“ Sie sind davon überzeugt, dass Frauen vor allem gute Ehefrauen seien müssten. In ihrem Verständnis bedeute das, sich um den Ehemann zu kümmern, sich um die Kinder zu kümmern, sich um das Haus zu kümmern. „In vielen Gesellschaften würde das als nicht progressiv und sehr konservativ bezeichnet werden.“ Die Frauen haben sich also Freiraum erkämpft, um wieder ganz ihre traditionelle Rolle erfüllen zu können. 

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